Die Weltgeschichte der Literatur weiß so gut wie nichts von einer Dichterin namens Mia Klinkhardt. Sogar die Eisenhüttenstadt-Literaturgeschichte weiß wenig von ihr. Mein Blogkollege Andi Leser verlieh bereits 2007 im Angesicht eines schönes Wintergedichtes selbiger Autorin seiner Ratlosigkeit in einem kleinen Beitrag im Lobbuch Stahlinstadt Ausdruck. Und das Eisenhüttenstadt-Wiki biografiert Mia Klinkhardt mit nur einem Satz:
„Mia Klinkhardt war Schuldirektorin in Eisenhüttenstadt und schrieb Gedichte, die in Buchform publiziert wurden.“
Das ist ein wenig handfester als das berühmte „Aristoteles wurde geboren, lebte und starb“. Aber mehr auch nicht. Die Deutsche Nationalbibliothek, die bekanntlich alles sammelt, was im deutschsprachigen Raum erscheint, verzeichnet sechs Publikationen, davon eine vermutlich aufgrund einer Erfassungsvariation (Kalabums und Kala bums, jeweils Weimar 1947) doppelt. Diese laufen unter der Gattungsbezeichnung „Jugendschriften“, sind also für die Zielgruppe der ab 12-Jährigen (der 1950er Jahre) konzipiert. Der Antiquariatsmarkt hält ab und an noch ein Exemplar dieser Titel zu vergleichsweise recht hohen Preisen bereit. Allerdings liegt uns keines vor.
Was uns aber vorliegt, ist ein hübsches, literarisch nicht übermäßig forderndes Beispiel von Eisenhüttenstadt-Lyrik, in der die zu diesem Zeitpunkt sicher bereits lange pensionierte Lehrerin einen dieser Erinnerungsorte Eisenhüttenstadts beschreibt, der zuletzt als Ort eines mehr oder weniger Kunstraubs in den Regionalschlagzeilen noch einmal aufblühte:
" „Wie es an dem Abend genau war, weiß ich nicht mehr“, sagt Steffen K. Auf jeden Fall haben er und die anderen sich im „Schluckspecht“ an der Holzwolle getroffen, auf ein „Feierabendbier“. Wer auf die Idee gekommen ist, zunächst die „Schimpansenkinder“ zu stehlen, das weiß nun keiner der Angeklagten mehr. Laut Staatsanwältin wollten die Männer mit den Metallarbeiten im Schrotthandel ein wenig Geld verdienen. Mit dem Mazda, den sich Sven S. von seinen Eltern geliehen hatte, geht es irgendwann nach 22 Uhr zum Rosenhügel - ohne jegliches Werkzeug. Deshalb rütteln die fünf jungen Männer an den Bronzeaffen, die sie selbst noch aus der Kindheit kennen. „Als Erstes ist ein Arm abgebrochen“, erzählt Gerd S. Doch sie rütteln weiter. Irgendwann gibt auch die Verankerung nach, die laut Richter Peter Wolff bereits etwas angerostet war. „Das ging ziemlich schnell, zwei Minuten vielleicht“, schätzt einer der Angeklagten. Mit vereinten Kräften schleppen sie ihr Diebesgut zum Auto und bringen es in eine Garage.“ -(Janet Neiser: „Wir hatten alle die Hosen voll", Märkische Oderzeitung / www.moz.de am 07.02.2012 - www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1008284)
Die deprimierende Kombination einer solchen Gefährdungslage durch wilde Sägereien mit den ortsüblichen Sparzwängen führte dazu, dass sämtliche dieser Metallarbeiten auf dem Rosenhügel versetzt wurden. Glücklicherweise jedoch nicht im Pfandhaus sondern in den belebteren Stadtraum – hauptsächlich naheliegend den Hügel hinunter ins Gartenfließ, wo sich nun eine fast museumsartig hohe Skulpturendichte findet.
Der Rosenhügel selbst verwaist dagegen wie auch der Stadtpark Insel, denn mit den Skulpturen geht auch letzte Quantum Anziehung für die meisten Menschen. Beide Orte addieren sich zu den zahlreichen aufgebenen Räumen Eisenhüttenstadts und vielleicht sind sie auch als Erholungszonen, als die sie einst für linde Sonntagsstimmungen angelegt wurden, nicht mehr notwendig.
Stadträumlich ist dieser Verlust aber nicht weniger einschneidend als der Rückbau im V., VI. und VII. Wohnkomplex. Und da Rosenhügel und Insel noch weitaus intensiver (u.a. da stadtgeschichtlich länger) als Zonen herausgehobener Momente in den Biografien sowohl der Stadt wie auch vieler ihrer Bewohner eingeschrieben sind, wiegt der Verlust fast noch schwerer. Der Rosenhügel war etwas, ohne das Eisenhüttenstadt seit seiner Anlage in den 1960er Jahren nicht denkbar war. Sämtliche Selbstdarstellungen von der Propaganda zur Ersten Sozialistischen Stadt bis zum Tourismusmarketing der Stahlstadt bezogen ihn ein und sei es nur als Perspektive für die Werbefotografen.
Mia Klinkhardt hat diesen Zeitgeist irgendwann vor langer Zeit in etwas holprige aber dafür vermutlich grundständig authentische Reime genagelt. Und weil wir uns als Sammelbecken solcher Fragmente der Identitätsdokumentation verstehen, können wir nicht umhin, sie hier aufzuheben:
Unser Rosenhügel
Der Rosenhügel schmiegt sich an den Hang
vom Laubwald bis zum Rand der Stadt.
Die Luft vibriert in buntem Vogelsang
und saugt sich an dem Rot der Rosen satt.
Die Plastiken an steilen Wegessäumen
sind lichtbehauchte Splitter der Kultur.
Sie lassen uns mit offenen Augen träumen,
verschmelzen mit dem Pulsschlag der Natur.
Am Eingang liegt ein Esel aus Metall,
von einem frechen Mückenschwarm umschwirrt.
Ein Pärchen spannt den Schirm auf für den Fall,
daß es trotz Sonne doch noch regnen wird.
Hoch oben auf dem Rosenhügel
trabt ein Mongole mit dem Enkelkind
auf einem Esel, ohne Zaum und Zügel,
im friedevollen, durftverbrämten Wind.
(Mia Klinkhardt)