„Du wolltest etwas anderes als ich, höre ich dich sagen. Die Zweige brechen wie Glas. Ein Mann und eine Frau, aber sie sehen nicht mehr so aus, als ob sie zusammengehörten.“ – Franz Tumler: Volterra (Innsbruck: 2011, S. 23)
So ist alles prima (vera) im Lot im Frühling: Eben brach das Radio mit einer Variation des Bill Evans Trios über die Urfrage der Zwischenmenschlichkeit in den Abend: What is This Thing Called Love? Dabei fällt es zugegeben nicht leicht „Just who can solve this mystery? Why should it make a fool of me?“ über diese Version so zäh- bis zartschmelzend zu singen, wie man es von Lena Horne kennt.
Aber letztlich ist die bekanntere Fassung von Billy Holiday ja auch die schönere. Und die von Sarah Vaughan die schwungvollere. Und die Frage an sich das Entscheidende. Und Cole Porter stellte sie nur als Stellvertreter, wenn auch in einer Weise, die die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts außerordentlich prägte. Sein Lied saust um die Welt und immer wieder mal plötzlich auch zu per Funkwelle auf einen leise tönenden Lautsprecher. Und so erinnert es mich plötzlich daran, dass ich schon längst auf die Spuren natürlich mehr des Verliebtseins als des hochkomplexen Phämonens der Liebe in Eisenhüttenstadt aufmerksam machen wollte.
Eigentlich weiß es jeder: Wenn man als junger verliebter Eisenhüttenstädter ein kleines Händchen für Romantik beweisen möchte, dann ist ein Ausflug in einer milden, tiefbestirnten Sommernacht auf die Hänge der Diehloer Berge keine schlechte Wahl. Und obwohl man von der Plattform der stillgelegten Sprungschanze eher einen schlechteren Blick über die Stadt hat, als vom einen Steinwurf entfernt in die Landschaft gebeulten Hollywood-Hügel, empfiehlt es sich, einmal halbschüchtern mit dem Mädchen der Wahl dort angekommen zu sein, den Aufstieg auf die Schanze vorzuschlagen.
Denn freundlicherweise muss man dafür eine Absperrung überwinden, die eigentlich kein Hindernis darstellt. Sondern vielmehr etwas zutiefst Verbindendes. Die nicht allzu komplizierte Hürde ist nämlich exakt schwierig genug zu übersteigen, dass man seiner Begleitung ohne Aufdringlichkeit wie selbstverständlich die Hand zur Hilfestellung reichen kann. Das Händchen für die Romantik trifft so zufällig das Händchen des Ziels der Romantik. Und wo sich Hand und Hand finden, finden sich nach gemeinsamen Aufstieg vielleicht auch Mund und Mund und wo man frisch verliebt küsst, stört es kein Bisschen, wenn sich dichtes Blattwerk in die Sichtachse auf die Planstadt schiebt. Diese Form des Zueinanderfindens über der Stadt ist eine der sympathischsten Traditionen der Stadtgeschichte und wer sich dieser in seiner Jugend nicht unterwirft, wird hier vielleicht einen bisschen weniger jung gewesen sein. Aber man kann es natürlich jenseits der Teenager-Jahre noch nachholen.
Wenn man sich an einem Sonntagnachmittag allein zur Schanze begibt, um nachzuprüfen, ob sie überhaupt noch steht, schwingt mehr oder weniger bedauerlich etwas weniger Romantik mit. Die frühen Falter des Märzes machen die Unternehmung für diejenigen, die einen Nerv dafür haben, immerhin zu einer angenehmen lepidopterologischen Exkursion. Alltagssemiotiker wie ich erfreuen sich dagegen an den Narben und Zeichen, die die verliebten Stunden der Anderen auf dem Blech des Sprungschanzengerüstes hinterließen. Hinter jedem dieser A.+B.=Love forever stehen mindestens zwei Lebensverläufe, manchmal halbe (oder gar ganze) Dramen, mitunter auch ein Happy End mit drei Kindern und nahezu immer Schmetterlinge nicht auf dem Feldweg sondern irgendwo südlich der Sonnengeflechte.
All das ist, wie auch immer die Sache ausgeht, ein Glück vor allem im Moment. Nicht nur Fritz Kreisler wusste: „Die Liebe kommt, die Liebe geht“ und so vergeht einem durchaus auch mal auch die Lust, beim „Frühling in der Schönhauser“ eine gebissene Lippe zu riskieren, weil man das Lied in großem Überschwang des Herzens an jemanden band, der es mitnahm, als die Liebe wieder einmal gerade ging. Aber glücklicherweise ist die Welt der Liebeslieder nahezu unerschöpflich. Selbst bei einem hochpromisken Lebenswandel dürfte immer noch ein neues unübertrefflich schönes und unbelastetes Musikstück für den nächsten siebten Himmel über den sieben Wohnkomplexen (bzw. was davon nach all den Jahren übrig ist) bleiben. Man muss einfach nur mal im 80. Stockwerk nachsehen.
Die Erinnerungskultur blüht derweil stahlstadtadäquat auf dem Metall der Schanzenfassung und es ist ein der angenehmsten Aufgaben dieses Weblogs, diese Repräsentationen flink und frühlingsglücklich flatternder Herzen ins Digitale zu retten. Und dass das als Einstieg gewählte Zitat aus dem vermutlich gelungsten Text des nicht mehr allzu bekannten Schriftstellers Franz Tumlers schmerzlich wahr aufzeigt, wie man bedauerlicherweise nach den meisten der konsequent durchlebten Verliebtheiten wieder vom Berg hinuntersteigt, soll nichts daran ändern, dass man dennoch immer wieder mal hinaufgeht, um nachzusehen, ob die Schanze mit der Hoffnung, dem Glück und dem wilden Herzgeklopfe der weiten Sommernächte noch da ist.
Nachfolgend also ganz unkommentiert ein paar Dokumente lokaler Herzensangelegenheiten.