Zwei kleine Ereignisse öffneten letztes Eisenhüttenstadt als Thema für eine breitere Öffentlichkeit. Einerseits sendete Samstagnachmittag das Deutschlandradio Kultur eine Stunde Programm live aus der Kleinen Bühne des Friedrich-Wolf-Theaters. Andererseits eröffnete das von einer städtischen Finanzierungslücke bedrohte Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR seine in den ersten Reaktionen hochgelobte neukonzipierte Dauerausstellung.
Beides verknüpfte sich kurzzeitig als die Moderatorin des Berliner Kulturradios zum Außenreporter in der Erich-Weinert-Allee schaltete, der dem Zentrumsleiter Andreas Ludwig einige Minuten für die Ausstellungsbeschreibung einräumte. Letzterer hielt sich sehr höflich hinsichtlich der Unklarheiten, vor die seine Einrichtung gestellt wird, zurück und schwärmte zufrieden, wie gut man mit der neuen Präsentation an sich zu Rande kam.
Man versteht das ein bisschen, bedauert es aber auch. Natürlich ist das Konzept der Deutschlandrundfahrt eher das der harmlosen Begleitung des Nachmittagtees der Zuhörer an den Lautsprechern daheim. Dennoch war die kreuzbrave Nummernrevue, zu der Moderatorin Miriam Rossius die ausgewählte Stadtprominenz von der Bürgermeistern über die medial sehr präsente Stadtplanerin Gabriele Haubold bis hin zu Stahlwerksvertretern zum Kurzvortrag auf die kleine Bühne der Kleinen Bühne bat, als wären es Pennäler bei einem Schulfest, auf eine Art enttäuschend lasch. Einzig die O-Ton-Collage aus der Stadtgeschichte zu Beginn der Sendung lies etwas Aufbruchsgeist spürbar werden. Dieser jedoch stammt aus einer ferner, heute verkehrten Zeit, nämlich einer, in der der Fackellauf des Jungpoiniers Werner Garkisch zum Anblasen des Hochofens noch unkritisch zum identitätsgrundieren Ereignis erhoben werden konnte.
Nun ist es vielleicht ein wenig gemein, zu behaupten, diese wattige Ausgabe der Deutschlandrundfahrt knüpfte in ihrer Ausstrahlung ein bisschen an solche Traditionslinien an. Ab so ganz abseitig ist der Eindruck, den eine Zuhörerin danach mit dem Zusatz "wie die Aktuelle Kamera" äußerte, leider nicht. Dabei wäre es tatsächlich spannender gewesen, bei den Beteiligten bis Verantwortlichen, wenn man sie schon einmal ohne Fluchtpunkt vor dem Mikrofon hat, etwas intensiver nachzuhaken, wie denn eigentlich die Stadtgesellschaft den Exodus eines Großteils ihrer Bevölkerung verkraftet? Oder was man mit den unendlich weiten neuen Freiflächen vorhat? Oder inwiefern die gefeierte Musealisierung der Stadt in Gestalt des Flächendenkmals dem verbliebenen Rest an Stadtkultur zureichende Zukunftsaussicht sein kann? Die Desintegration einer alternden und schrumpfenden Stadt aufzuhalten scheint nach wie vor die vordringliche Herausforderung in Eisenhüttenstadt zu sein - und zwar wenigstens solange, bis sich das Problem schlicht demografisch erledigt. Die Konzentration auf denkmalgeschützte Fassaden dürfte dafür nicht reichen.
Immerhin hat man sich nachvollziehbar in den 1990er Jahren noch heftig gegen die Aussicht, auf ein "DDR-Museum" reduziert zu werden, gewehrt. Heute geht man leicht anders aber immer noch sehr halbherzig mit diesem Ansatz um und stellt darüber hinaus mit DOK-Zentrum das Wenige an kulturellem Kapital, was in den frisch verputzten Wohnkomplexen verblieb, fahrlässig zur Disposition. Eigenartigerweise pflegt man also schmale Tellerränder wie gewohnt weiter, poliert dieses Geschirr und stellt es auch gern mal zur Schau, nimmt aber zugleich in Kauf, dass der Rest an substantiellem Gehalt verloren geht.
Was man in Eisenhüttenstadt, vielleicht auch aus allgemeiner Überforderung, nicht versteht, ist, dass die Verwaltung dieser Stadt mit ihrer spezifischen Vergangenheit nicht nur eine Verantwortung für die paar verbliebenen Einwohner im Hier und Jetzt besitzt, sondern auch eine übergeordnete Verantwortung der Konservierung und Nutzbarmachung der Stadt als nationales Zeitdokument in Stein und Struktur. Natürlich schafft sie es nicht allein. Sich aber mit der abgedroschensten aller Erklärungen aus der Verantwortung zu ziehen, sendet ein denkbar falsches Signal aus:
"Wir haben an vielen Ecken sparen müssen. Das Zentrum ist kein Ausnahmefall", sagte Stadtsprecherin Kathrin Heyer auf Anfrage.
Dabei müsste gerade hier gerade dieses Zentrum ein Ausnahmefall sein. Und es müsste mittlerweile fest im Bewusstsein stehen, dass Planstadtanlage und -geschichte auch als idealtypisches Symbol dessen, was die DDR war und sein sollte und die wahlweise nostalgische oder kritische Erschließung und Vermittlung dieser Eigenschaften das darstellen, was von Tom Hanks bis zu den Veranstaltern der Berlin Biennale externe Akteure reizt, sich hierher und in eine wie auch immer geartete Auseinandersetzung zu begeben. Dazu kommt die völlig unterbelichtete Dimension der unmittelbaren Nähe zum riesigen Transformationsraum Osteuropa. Allein dass diese geographische Positionierung in Eisenhüttenstadt und der Stadtentwicklung so gut wie keinen Niederschlag findet, ist einer zusätzlichen Reflektion wert - so wie sehr häufig genau die Dinge, die fehlen, am spannensten sind.
Daraus könnte/müsste man durchaus mehr (soziales, kulturelles und sonstiges) Kapital schlagen. Dass sich die entsprechende externe Zielgruppe aber vor dem vollkommen fantasie- und stadtbezugslosen Souvenir-Sortiment des Tourismusvereins mutmaßlich in keiner Weise ernst genommen fühlen kann, zeigt, wie man hier Gelegenheiten, aus dem Stadtmarketing wirklich etwas zu machen, aus welchen Gründen auch immer, vergibt. Vielleicht gibt es tatsächlich Interessenten für "Ein Wochenende Feuerwehr". Aber vermutlich gäbe es ein bis zwei Potenzen mehr Interessenten für "Ein Wochenende Erste Sozialistische Stadt (im ewigen Auf-, Ab- und Umbruch)". Vielleicht hätte man zu diesem Zweck das zentral zerfallende Hotel Lunik mal den Betreibern des Berliner Ostels ans Herz legen sollen.
Man kann von der Deutschlandrundfahrt des Deutschlandradio Kultur sicher nicht wirklich erwarten, dass das liebenswürdige Konsensprogramm der Landrundschau viele wirksame Impulse für solche Diskurse setzt. Es wäre aber schön gewesen, wenn sowohl die Auswahl der Gesprächspartner wie auch der Gesprächsthemen wie auch der Gesprächsführung die Chance genutzt hätte, ein paar Nuancen jenseits eines rundum affirmativen Kaffeekränzchens einzustreuen. Das Schlimme an dem auch aus provinzjournalistischer Sicht grausigen Bericht Jürgen Pahns zum Ereignis in der Märkischen Oderzeitung ist denn auch, dass er der Veranstaltung weitgehend gerecht wird. Einzig das Schlagwort Deutsche Demokratische Republik setzt ein Pünktchen Orginalität daneben. Insgesamt muss die Sendung auch als eine verschenkte Chance gelten, die Stadt vor einem größeren Publikum ein Stück weit differenzierter abzubilden. Aber die immer stetig lächelnde Moderation kündigte ja an, dass man (nach 2004) auch ein drittes Mal für diese Sendung nach Eisenhüttenstadt reisen wird. Und zwar ca. im Jahr 2018.
Bis dahin (und völlig unabhängig davon) bleibt das Anliegen dieses Weblogs nach wie vor, bestimmte Facetten der Stadt in einer Art digitalem Archiv festzuhalten. Wobei naturgemäß die breite stadtbiografische Spur, die aus der Zeit bis 1989 stammt und bis heute nachhallt, im Mittelpunkt steht und stehen wird. Im Gegensatz zum touristisch-informationellen Mainstream mit seinen Tom-Hanks-Wanderungen und Feuerwehrstadtausflügen sind es gerade die Brüche, Idiosynkrasien und auch das Scheitern der Idee einer heilen sozialistischen und heute einer gern verheilt seienden post-sozialistischen Stadt, die diese Spurensuche und -sammlung prägen.