I
Die Anreise zum Stammtisch von Antenne Brandenburg in Eisenhüttenstadt am 21.11. war zwar buchstäblich eine Nacht- und Nebelaktion. Hatte man es aber bis zur Bierschwemme im Gebäude des ehemaligen Aktivisten geschafft, fand man einen mit Scheinwerfern wenigstens einseitig bestens ausgeleuchteten Veranstaltungsraum vor.
Auch wenn ich vor Ort eher Unschlüssigkeit hinsichtlich einer Nachbereitung der Veranstaltung für das Eisenhüttenstadt-Blog kundtat, zeigt sich mit einem Tag Abstand, dass es vielleicht doch anbietet, wenigstens die persönlichen Eindrücke und Notizen noch einmal aufzuarbeiten.
Denn wichtig war die Veranstaltung zweifellos und zwar nicht etwa nur für das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, dessen unklare Perspektive erwartungsgemäß die Debatte dominierte und weitere Aspekte des gröber gefassten Themenrahmens Nationales Erbe – Alltag und Kunst der DDR Sammeln – dokumentieren – vergessen? auf die Randplätze verwies. Sondern auch für die politische Kultur in Eisenhüttenstadt: Es war ein seltenes Beispiel für einen öffentlichen Experten-Entscheider-Bürger-Trialog und gerade dass die Aufstellung zum Austausch eher unbequem an Stehtischen erfolgte, bewahrte auch das Abgleiten in eine etwaige Talkshow-Seligkeit.
Wenigstens für die an der Sachlage Interessierten – wobei der übervolle Raum auf ein erhebliches öffentliches Interesse hindeutete – waren so gut wie alle Redebeiträge hoch relevant. Besonders natürlich die, bei denen man spontan den Widerspruch aufsteigen spürte. Dass es entsprechend öfter einmal ziemlich quer durcheinander ging, gehört zur Natur dieser Angelegenheit und war auch nicht weiter dramatisch, da es ja vor allem darum ging, jeweilige Positionen deutlich zu benennen. Die Moderatoren Andreas Oppermann und Andreas Rausch hakten diesbezüglich denn auch mal direkt nach, wenn die Aussagen etwas zu sehr an Kontur zu verlieren drohten.
II
Ein Fazit zu formulieren fällt schwer, zumal aus einem subjektiven und daher zwangsläufig verzerrten Blickwinkel, der alles andere als die Weiterführung und den Ausbau der Einrichtung als lebendigen Ort zum aktiven und aktivierenden Austausch über Erinnerungskulturen an die DDR anhand alltagskultureller Phänomene als allzu herben Verlust für Eisenhüttenstadt empfinden würde. (Und, auch das, als einen Grund, seltener hinzufahren.) So sind die nachfolgenden Aussagen auch streng persönliche Bewertungen und Einschätzungen.
Es wurde in jedem Fall einsichtig, dass es um eine vergleichsweise übersichtliche Summe geht, die notwendig ist, um das Haus in gewohnter Form zu erhalten. Und dass schon diese – diesbezüglich äußerte sich unter anderem Ilona Weser, erste Beigeordnete des Landrates und Dezernentin im Landkreis Oder-Spree, sehr deutlich – eine nicht zu bewältigende Herausforderung für die strapazierten Haushalte in Kommune und Kreis darstellt. Wichtig wäre also für die weitere Planung eine Art Einheitsfront von DOK-Zentrum, Stadt und Kreis zur gemeinsamen Akquise der entsprechend fehlenden Mittel zu formieren. Aus für Außenstehende schwer verständlichen Gründen scheint dieser nah liegende Ansatz nicht umsetzbar.
Der Landkreis, so wurde ersichtlich, möchte eigentlich nur ungern Verantwortung für das Haus übernehmen, würde aber bei einem Kompromiss nach dem von Bürgermeisterin favorisierten Modell zahlen. Die Stadt möchte schon, kann aber nicht ohne den Landkreis. Argumentativ blieb dessen Vertreterin erstaunlich eindimensional und fast schon verkrampft unbeeindruckt von dem Stapel an Belegen für die Tätigkeit des Zentrums. Sie walkte hauptsächlich an der mangelnden Einbindung von Schulen herum, auch ohne anzuerkennen, welche weiteren Chancen abgesehen von der Bildungsarbeit in Haus und Sammlung stecken. Andreas Ludwig, Noch-Leiter des DOK-Zentrums, verwies dagegen auf Aktivitäten und Möglichkeiten der Einbindung in die Aus- und Erwachsenbildung sowie die Ausrichtung auch auf die Zielgruppe Senioren - also beispielsweise der so genannten Aufbaugeneration Eisenhüttenstadts. Gerade wenn man der Aussage Martin Sabrows, Leiter des Zentrums für Zeitgeschichtliche Forschung in Potsdam, folgt, der von verschiedenen Gedächtnisebenen in Bezug auf das Leben in der DDR sprach, ist diese Zeitzeugenebene ein bisher nahezu ungehobener Schatz.
Die Aktivierung der Sammlung als Verbindungselement zum intergenerationalen Dialog könnte hier noch ein ganz anderes Spektrum und Aktivitäten eröffnen, um gerade auch die Bevölkerung Eisenhüttenstadts, der ersten und vielleicht konsequentesten Planstadt der DDR, zu integrieren. Die Schulklassenführungsdidaktik wirkt hinsichtlich des Möglichen eher wie ein vergleichsweise schlichtes Modell. Ob der Leiter des Städtischen Museums, in dessen Zuständigkeit das Haus wohl übergehen soll, diese Neuausrichtung oder auch nur die geforderten Führungen neben seinen anderen Verpflichtungen mitzuleisten vermag, ist doch eher fraglich.
III
Möglicherweise vernachlässigte das Dokumentationszentrum bisher wirklich ein wenig, neben den fast durchweg als exzellent besprochenen und rezipierten Objektausstellungen, diese direkte interagierende Arbeit mit den Zielgruppen und damit einhergehende dialogisch gerichtete Vermittlungsformen intensiver auszuschöpfen. Andererseits brauchen sowohl diese als auch die von Ilona Weser vehement eingeforderten schulpädagogischen Aktivitäten die zureichende Betreuung auf Personalebene. Nun war die Personaldecke im DOK-Zentrum kaum so, dass man von überschüssigen Kapazitäten ausgehen konnte. Vielmehr operierte es durchaus meist – und meist erfolgreich – an der Grenze des Leistbaren.
Statt den Mitarbeitern zum Ende des Jahres zu kündigen, wäre aus inhaltlicher Sicht sogar eher eine (temporäre) Erweiterung des Stamms sinnvoll gewesen. Und zwar umso mehr, wenn es darum geht, wie Dagmar Püschel und Ilona Weser mehrfach betonten, dass Haus neu zu erfinden oder, schlichter, ein anderes Finanzierungskonzept zu entwickeln. Dies als Nebenaufgabe in einem lokalen Kulturausschuss erfolgreich zu bewerkstelligen erscheint derart undurchführbar, dass der Verweis auf den Zauber des Anfangs, der einem Ende inne wohnte, fast (und sicher unfreiwillig) zynisch wirkt.
Der Schwachpunkt des Kompromissmodells bleibt die Frage, welche konkreten Akteure die Rolle der Neuausrichtung und der Entwicklung eines nachhaltigen Betriebskonzepts übernehmen. Die offensichtliche Stoßrichtung, den bisherigen Leiter und seine Expertise in diesem Kontext für verzichtbar zu halten, erscheint auch personalökonomisch widersinnig. Mitunter sind Personen eben einfach nicht ohne Übergang und Nachfolgeregelung ersetzbar. Bei aller generellen Sympathie würde ich – unter Einschluss der Tatsache, dass ich mich diesbezüglich nur zu gern widerlegen ließe – nicht allzu viel auf den Erfolg des vorgeschlagenen zweijährigen Übergangsmodells setzen. Expertise kostet. Man wird kein tragfähiges Langzeitkonzept ohne spezifische (externe) Fachexpertise entwickeln können. Hierbei wäre wieder zu klären, wer dafür bezahlt. Wenn man jedoch bereits die vorhandene Expertise zu bekannten Kosten in der Stadt hat – nämlich in Form der Mitarbeiter des Hauses, denen nach ihrer Kündigung anzutragen, hier quasi ehrenamtlich auszuhelfen einer sich von selbst verbietenden Unverschämtheit gleichkäme – erscheint es sehr angebracht, sie auch entsprechend zu nutzen. Jedenfalls wenn man es mit einem nachhaltigen Weiterbetrieb des Hauses ernst meint, der nicht nur die Rückforderung der Fördermittel für die Dauerausstellung vermeiden soll.
Möglichkeiten für ergänzende Finanzierungswege gibt es auch abseits der konkreten Haushaltslage. So wies Martin Sabrow auf die Möglichkeit von Drittmitteln, beispielsweise der Volkswagen-Stiftung, hin, die im Rahmen einer Basisstruktur derartige, wenn man so will, kulturelle Überschussprojekte möglich machen. Nutzte man nun das Jahr 2013, um mit den bestehenden Ressourcen intensiv die Konzeptionsarbeit und die Drittmitteleinwerbung anzugehen, erschiene mir jedenfalls eine konzeptionelle Redefinition für den Zeitraum ab 2014 wahrscheinlicher umsetzbar. Deutlich wurde gestern übrigens, dass nicht unbedingt die Stadt, auch nicht das Ministerium, sondern vor allem der Landkreis, vorsichtig formuliert, ein Problem mit der derzeitigen Ausrichtung des Dokumentationszentrums hat. Sollte es an seiner Zustimmung für eine Weiterführung und -entwicklung scheitern, befände er sich natürlich in besonderer Erklärungsnot, zumal wenigstens die Antenne-Stammtisch-Diskussion keine sonderlich überzeugenden Gründe für seinen Rückzug offenbarte.
IV
Persönlich wäre ich denn auch viel lieber in einen Dialog zu den Chancen der Entwicklung von Angeboten zur Erinnerungskultur bzw. zur Möglichkeit der politischen Bildung anhand der Sammlung eingetreten, als in die Finanzierungsdiskussion. Angesichts der Tatsache, dass es auf der Ebene des Geldes um einen Betrag im Gegenwert eines Dienstwagens geht, wirkt diese Diskussion tatsächlich sogar etwas kleinlich und man wünschte sich natürlich einen spendablen Mäzen oder eine offenherzige Stiftung, die diesen Aspekt wenigstens für ein oder zwei Jahre vom Tisch räumte, damit man sich in Ruhe um die Desiderate und Kritikpunkte kümmern kann. In anderen Regionen bzw. zu anderen Themen könnte man diese Summe womöglich sogar mit Benefizveranstaltungen einspielen. Nachhaltig wäre diese Lösung selbstverständlich nicht, aber man hätte erst mal Luft genug, um auf der bedeutsameren Ebene stressreduziert Konzeptarbeit zu leisten.
Für das Verständnis der Situation scheint mir sehr wichtig, dass die Einrichtung von Stadt und Kreis offenbar weitgehend (und nicht unberechtigt) als Dienst für die regionale Bevölkerung verstanden wird. Die Herausforderung liegt darin, dies mit dem wissenschaftlichen Anspruch überzeugend zu harmonisieren. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit alltags- und erinnerungskulturellen Phänomenen ist bisher weitgehend überregional und international von Bedeutung und dort vor allem für bestimmte Forschungsnetzwerke relevant. (Diese können zum Beispiel die Bundesregierung bei Fragestellung beraten, ob bzw. inwiefern bestimmte autoritätsfixierte Verhaltensweisen, die nicht zuletzt zu Phänomenen wie einem unterschwelligen oder offenen Rechtsradikalismus führen und in Ostdeutschland signifikanter sichtbar werden, in bestimmten kulturellen Praxen historisch verankert sind. Alltagskultur muss nicht unpolitisch erforscht werden. Sie kann auch als Analysewerkzeug für übergeordnete Probleme zum Einsatz kommen. Wissenschaftlich ist der eigentliche Spielraum, denn diese Einrichtung an dieser Stelle bietet, nach meiner Wahrnehmung bestenfalls angerissen.)
Gerade aber weil sich der Gesamtzusammenhang und die daraus entstehenden Perspektiven erst sukzessive entfalten, scheint mir der Rückbezug zur öffentlichen Wahrnehmung und zum öffentlichen Diskurs unter anderem mit Besuchern, die im Bezugszeitraum gelebt und diesen gestaltet haben, entscheidend. Zweifelsohne ist es eine Herausforderung, die Balance zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Erkenntnisbedürfnis der allgemeinen Besucher eines solchen Hauses umzusetzen. Die Dauerausstellung zeigt aber, in welcher Weise man dies erfolgreich angehen kann. Gelänge es auch langfristig, böte Eisenhüttenstadt ein solides Beispiel dafür, wie sich Tiefgründigkeit und Popularität verbinden lassen. Es wäre zudem auch für das Image der Stadt nicht verkehrt, auf diesem Weg die Tom-Hanks-Juxereien ein wenig abzufedern, die leider mehr ein (weiteres) Stigma als eine positive Wahrnehmung der Stadt nach sich zogen. Eisenhüttenstadt als Disneyland erscheint weder der Stadtgeschichte noch ihrer alles andere als niedlichen Gegenwart gerecht zu werden.
Stadt und Kreis sind mit Sicherheit nicht die Akteure, um die übergeordnete Bedeutung allein aufzufangen und zu finanzieren. Sie sollten sie aber in jedem Fall anerkennen. Im Moment, so wirkt es leider, neigt man eher dazu, sie wegzustreichen.
Was man meines Erachtens noch viel zu wenig realisiert, ist, wie man mit dem Dokumentationszentrum ein Alleinstellungsmerkmal, dass der Stadt von der Geschichte in gewisser Weise als Geschenk zufiel und das sich perfekt mit dem stadtgeschichtlichen Alleinstellungsmerkmal integrieren lässt, am Ende doch leichtfertig in eine Abstellkammer räumt (bzw. verwandelt). Dieser Schritt erreicht vielleicht nicht den Skandalisierungsgrad, mit dem sich Stralsund derzeit nach dem Verkauf eines seiner Kulturschätze – der Gymnasialbibliothek – konfrontiert sieht. Aber die Delle, die bleibt, wenn in der Rückbetrachtung sichtbar wird, was man hier eigentlich zu Disposition stellte, dürfte doch erheblich sein. Sicher ist, dass die Auseinandersetzung mit Erinnerungskulturen der DDR kulturhistorisch ein Thema der Zukunft ist. Unter anderem die 3te Generation Ostdeutschland setzt diesbezüglich ein deutliches Signal. Selbst wenn einzelne Akteure in Entscheidungspositionen solche Prozesse für die Gegenwart nicht allzu prioritär einschätzen, bleibt die Verursachung entsprechender Flurschäden in der Infrastruktur dafür notwendiger Kulturspeicher wenigstens aus ethischer Sicht sehr problematisch. Denn so werden Möglichkeiten zur Beschäftigung mit diesen Themen maßgeblich und langfristig behindert. In einigen Jahren könnte man vielleicht wieder mit hohem Ressourcenaufwand beginnen, eine entsprechende Sammlung zu rekonstruieren. Die Verursacher einer möglichen aktuellen Aufgabe dieser einzigartigen Basis für solche Auseinandersetzungen würden sich also wenigstens Kurzsichtigkeit vorwerfen lassen müssen.