Stadtgeschichte
Für alle, die es dereinst verpassten, bietet YouTube dieser Tage ein wichtiges Zeitdokument in Blau:
Heute weder Fisch noch Stein: Das Nostalgiefoto zum Donnerstag
Die zur Kategorie "Geographie" gehörige Gruppe "Die Hüttenstädter" im StudiVZ ist leider überraschend selten Quelle für spannende Inhalte, die sich hier im Blog nachverwerten lassen. Manchmal wird ein bisschen auf den Kulturausfall im Club Marchwitza verwiesen oder - als anderes Extrem - auf www.extraordinary-clubbing.com. . Aber was ich daraus so basteln kann, weiß ich gerade nicht. Natürlich kaufe ich mir das nächste Paul van Dyk-Album, da er das, was Stadt und Stadtfestveranstalter für seinen Auftritt im August bezahlen, gleich in Eisenhüttenstadt lässt:
"Er stellt sein Honorar für ein Jugendprojekt zur Verfügung", verkündet Eisenhüttenstadts Bürgermeister Rainer Werner am Dienstag auf einer Pressekonferenz im Rathaus. Die "fünfstellige Summe", die Paul van Dyk der Stadt sponsern will, wird Werner zufolge in die Skateranlage auf der Insel investiert. Der Sohn Eisenhüttenstadts stand schon lange auf der Wunschliste der Stadtfest-Veranstalter - nun endlich klappt es. (Märkische Oderzeitung, 09. Mai 2007)Dies allerdings eher aus Anerkennung als aus Liebe zur Trance-Musik. Das Begehren, hier aus dem Ausnahmetanzmusiker auch einen Eisenhüttenstädter Ehrenbürger zu machen, will ich angesichts der neuesten Ereignisse noch einmal bekräftigen! .... Auch aus den meisten anderen Diskursgruppen der "Hüttenstädter" lässt sich für uns wenig Fruchtbares abspalten, denn dort geht es häufig einfach um private Verabredung und die üblichen Webblödeleien. Für mich am Interessantesten ist das Sammelthema "Fotos von der Stadt und Umgebung", sieht man doch in diesem Kommunikationsforum recht regelmäßig ein paar andere Bilder von anderen Fotografen als beim Eisenhüttenstadt-Flickr-Pool.
Und manchmal findet man auch ein paar persönliche Ansichten zu Stadt und Entwicklung, meist gepaart mit persönlicher Erinnerung.
Aktuell berührt hat mich diese Aussage einer jungen Exilantin:
der 7te war zwar hässlich, aber man hatte nen dach überm kopf u für mich waren es die schönsten jahre meiner kindheit
Dies dürfte keine Einzelsicht sein, denn Eisenhüttenstadt hat, wie auch das Beispiel Paul van Dyk zeigt, nicht nur indifferente Holzklötze sondern überwiegend ganz normale Menschen mit einer gesunden nostalgischen Einstellung zu ihrer Kindheit hervorgebracht.
Für diese - und für alle, die sich zum Donnerstagabend etwas kürzeres vom Blog als dieses hier versprechen, gibt es dieses Sonnenuntergangsbild des WK VII Süd:
An diesem Septemberabend des Jahres 2004 gab es am Plattenbaugiebel noch einen Fisch (ιχθύς) zu sehen, der bald darauf zu Sushi-großen Betonstückchen zerraspelt wurde. Wer genau hinsieht, erkennt an den leeren Fensterhöhlen, dass die Behausungen zum Aufnahmezeitpunkt bereits unbemenscht waren.
Die ungebaute Planstadt. Heute: Das Jugendklubheim der Bauarbeiter-Lehrlinge.
Jüngst stieß ich auf eine sehr schöne Ansichtspostkarte aus dem Jahre 1953, die eine Entwurfsskizze für ein "Jugendklubheim der Bauarbeiter-Lehrlinge" als Thema hat. Errichten wollte dieses als Geschenk für die noch Errichter der jungen Stalinstadt die Freie Deutsche Jugend des Bezirkes Dresden, aber soweit ich mich aus der Ferne in meiner Fantasie in der Stadt zu orientieren vermag, kann ich kein solches Gebäude in der heutigen Eisenhüttenstadt verorten. Was ist da geschehen? War es die Wut über den Bauarbeiter-Ungehorsam des 17. Juni? War es ein Mangel an Bausteinen, der dem Vorhaben einen Strich durch den Bauplan machte. Oder baute die Freie Deutsche Jugend am Ende nicht soviel auf, wie sie sich in ihrer Aufbauhymne aufs Textblatt für die Singegruppe druckte. Wer mehr zu diesem Objekt weiß, ist sehr aufgerufen, dies hier kundzutun!
Apropros Aufbau - am 30. Mai empfängt das Fußballteam der SG Aufbau Eisenhüttenstadt mit der vietnamesischen U21-Nationalmannschaft internationale Gäste (meldet der Frankfurter Stadtbote der Märkischen Oderzeitung) Mal sehen, wer in diesem nicht ganz alltäglichen Match für wen zum Aufbaugegner wird...
Bevor ich mich ein paar Tage auf Reisen begebe und vermutlich mit anderen Dingen, als Eisenhüttenstadt-Blogging befasst bin, gibt es heute eine meiner absoluten Lieblingsansichtskarten zur Stadt:
"Liebe (ehemalige) Kolleginnen und Kollegen!
Recht viele Grüße aus Eisenhüttenstadt sendet euch G. Es ist alles noch ein bißschen fremd hier, aber Stadt und Umgebung gefallen mir ausgezeichnet. Grüße an alle Bekannten!"
So schreibt es die Neubürgerin G. der Diehloer Straße im Oktober 1965 an ihre verlassene Arbeitsbrigade in Calbe (Saale) und als Motiv hat sie sich eine der schönsten Ecken herausgegriffen, die die junge Stadt - damals im besten Konfirmantenalter - zu bieten hat: das Gartenfließ mit Durchblick auf den Höhenzug, der später als Rosenhügel eine der attraktivsten Parkanlagen der Stadt werden sollte.
Was den Betrachter, der mit der heutigen Situation rund um den Gartenfließteich vertraut ist, sofort auffällt, ist dass das kleine Gewässer völlig unbeschattet in der Sonne liegt. Die umgebenden Bäume sind zwar schon gepflanzt, aber eben um die 40 Jahre jünger als heute, so dass die Stadtenten - nicht auf dem Bild sichtbar - unter freiem Himmel ihr Entenleben führen konnten.
Was ebenfalls ins Auge fällt, ist, wie direkt die Stadt in freie Kulturlandschaft übergeht: die Gärtnerei hat den vorderen Hügelhang noch nicht erschlossen und an die sterbensöde Wohnanlage, die jetzt den Blick vom Fließ zum Berg so unangenehm beeinträchtigt, ist natürlich auch noch nicht zu denken. Was bereits steht, ist das wunderbare Hochhaus (links am Bildrand), welches im Zusammenspiel mit der Blockzeile am rechten Bildrand den Rahmen für den offenen Blick hinauf zu den sanft bewaldeten Kuppen bildet. Nach oben bleibt die Fotografie offen, während am unteren Bildrand das Wasser des Teiches über ein winziges Wehr aus dem Bild fließt.
Trotz des der Weite eröffneten Fokus' ist das Bild streng auf ein ganz bestimmtes Detail zentriert: die Kinder.
Aber was war das für ein Kontrast zu der in dem ergreifenden Film von Bernhard Wicki. Anders als Hans, Siggi, Walter, Karl und Klaus sollten diese Jungs eigentlich nie etwas mit Militarismus und Krieg zu tun haben, geschweige denn ihre Spielbrücke gegen eine Panzerarmee verteidigen, wobei der ursprüngliche Anspruch des jungen sozialistischen Staates schon nach dem 17. Juni durch die Einrichtung von Betriebskampfgruppen und ab 1962 durch das strikte allgemeine Wehrpflichtgesetz ad absurdum geführt wurde. Die Geschichte hat es glücklicherweise so eingefädelt, dass diese Militärverbände Zeit ihres Bestehens weder in Krieg noch Bürgerkrieg zogen. Das System hat es unglücklicherweise so eingerichtet, dass es dennoch zu nicht wenigen psychischen Verstümmelungen kam.
Wer die drei, die am Fließufer spielen, sind, verrät uns die Karte nicht. Aber dass sie eine symbolische Funktion erfüllen ist eindeutig: dem Empfänger der Karte sollte klar vor Augen treten, unter welch paradiesischen Bedingungen (kein Verkehr, keine Automobile, viel Licht, viel Grün, viel Frei- und Spielraum) Kinder in Eisenhüttenstadt aufwachsen können. Die Stadtraumarchitektur (Brücke, Laterne) ist leicht und zurückhaltend und doch verbindlich, die Bäume, nicht viel älter als die Kinder und die Grünflächen selbst strahlen Harmonie von Stadt und Umwelt aus.Dies alles vollzieht sich unter einem blauem bzw. leicht bewölktem Frühlingshimmel, wobei die Kleidung der Kinder auf eine angenehme Wetterlage schließen lässt.
Kein Wunder, dass es der Zuwanderin aus Calbe "ausgezeichnet gefällt" und sie war sicher nicht die einzige, die dem Charme dieser städtebaulich vielleicht am schönsten gelungenen Wohnumfeldsituation erlegen ist und sich für Eisenhüttenstadt entschied. Hier ließ man gern seine Kinder aufwachsen, hier hatten sie Platz, hier war es schön, hier lag die Zukunft des Gesellschaftprojektes DDR.
Das mit dem Platz stimmt nach wie vor, jedoch ist die Quartiersqualität für viele Bewohner der Stadt im frühen 21. Jahrhunderts anders als im mittleren 20sten nicht von vordringlicher Bedeutung. Heute geht es um bezahlte Arbeit und schön einrichten kann man es sich mit Geld auch anderswo, mitunter sogar schöner als hier. Denn die Bäume sind groß, die Kleinplastiken von Wind und Wetter patiniert und das Gartenfließ ein etwas angemoderter Seniorentreff mit zersplitterten Bierflaschen statt Goldfischen im Wasserlauf.
Na gut, Flickr-Kollege komplex* hat seine Aufnahme vor der Pflanzsaison gemacht und da das Fließ bislang jedes Frühjahr mit schönsten Blümereien ausgeschmückt wurde, ist davon auszugehen, dass dies auch anno 2007 so sein wird, auch wenn die gegenüberliegende Häuserzeile der Diehloer Straße mittlerweile weitgehend entvölkert ist.
Immerhin ist das Fließ noch stärker Grundbestandteil der Stadt als z.B. der Heimattiergarten und den hat man ja auch fast nicht aufgegeben...
Damit harmoniert es ganz gut mit der restlichen Stadt. Wenn aber die älteren Stadtbewohner tatsächlich im Sommer ihre Enkel aus Berlin, Recklinghausen oder Kornwestheim während der Ferien so durch die Landschaft tollen lassen, wie es einst die Kinder auf der Postkarte taten, ist das nicht das Schlechteste. Dazu gilt es jedoch, die entsprechenden Bedingungen zu eralten. Denn mit den exquisiten Brückengeländern allein lockt man höchstens ein paar Architekturfreunde an.
Nostalghia Ehst.: Eine alte Stadtaufnahme.
Heute zum Sonntag gibt es ein Sonntagsbild, wie es die Eisenhüttenstädter sehen konnten, als die Welt noch in Sepia war und man des Sommers im Familienverband auf die Höhenzüge der Diehloer Berge picknicken ging:
Der Obelisk oder: Asterisk und Obelisk
Sehr verehrte Blogsberge! Der neue Monat ist fast schon wieder zweistellig, höchste Eisen(hüttenstadt)bahn also, ein neues Motiv des Monats festzulegen. Nachdem Blogwart Ben als Initiator dieser recht ansprechenden Idee dafür sorgte, dass der Bahnhof Eisenhüttenstadt im goldenen Monat Oktober in ein neues Licht gerückt wurde, möchte ich nun den Obelisken auf dem Platz des Gedenkens zum Motiv des Monats November erklären. Der Platz der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft gehört zum ältesten Stadtareal der Neustadt an der Oder, hier wurden die allerersten Häuserblogs Häuserblocks errichtet.
Wer nun bei dem Obelisken in Gedenken an die gleichnamige Kurzerzählung von Vladimir Sorokin laut mit irgendwelchen darin enthaltenen Schweinereien herausplatzt, der sei daran erinnert, dass in dieser Geschichte lediglich ein Roter Stern auftaucht, ein Obelisk – wie der Titel leicht vermuten lässt – jedoch nicht.
Im vormaligen Stalinstadt ist das anders: hier gibt es sowohl einen Obelisken als auch einen Roten Stern, denn letzterer krönt ersteren. Der Obelisk fungiert hier als Platzhalter – wie ein Asterisk (*) –, denn er steht für etwas anderes: Der Obelisk soll uns nachfolgende Generationen an die gefallenen Soldaten der Roten Armee erinnern, die Ostdeutschland 1945 von der braunen Soße befreit haben und die in der als Zweiten Weltkrieg bekannt gewordenen Riesenschweinerei ihr Leben lassen mussten. Einige von ihnen sind auf dem Platz des Gedenkens beerdigt. Auch aus diesem Grunde sei der Obelisk das Motiv des Monats November. *Zur Mahnung. *Zum Gedenken. *Als ein Zeichen gegen Krieg.
Bitte flickert eure Bilder und stattet sie mit den folgenden Tags aus: Eisenhüttenstadt, Obelisk, Platz des Gedenkens, Platzhalter, Ehrenmal. Ein paar Obelikse gibt es auch hier.
Kommentare