Leninallez hopp! Noch eine Ansichtskarte.
So lautete eine offene Frage der TOPOS-Erhebung zu im Rahmen des Stadt 2030 Projekts aus dem Jahr 2003. Das Antwortspektrum spiegelt vor allem eines wieder: Selbstverleugnung bzw. gewollte Nicht-identifikation der Bewohner mit der Stadt, denn obschon es gut ein Dutzend architektonische bzw. städtebauliche Außergewöhnlichkeiten von der Erich-Weinert-Schule über den Rosenhügel bis zum Hochofen gibt und daneben auch noch mit Womackas fast überdominantem Mosaik am "Magnet" und Johannes Hanskys Stadtwappen mindestens zwei für die Stadtikonographie beinahe zwingende Identifikationsobjekte existieren, wählten erschreckende 37 % der Befragten die Ausfluchtkategorie "Keine Angabe". Das EKO erwählten sich als Wahrzeichen immerhin 28 %. Aus dem Pool des baulichen Wahrzeichenpotentials griffen sich 11% die ehemalige Leninallee heraus und als Eisenhüttenstadtliebhaber freut man sich darüber schon fast wie ein Schneekönig. Und dass das City Center als vermutlicher Haupttotengräber der schönen Magistrale in dieser Disziplin so gar nicht punkten konnte, lässt dann doch eine Resthoffnung zu. Dies ist dick herauszustreichen, denn bei der Frage "Was würden Sie auswärtigen Besuchern zeigen?" gelangte das farblose Einkaufzentrum mit seiner gesichtslosen Nicht-Architektur - vor dem Stahlwerk - auf den 6. Platz, wobei bei dieser Frage auffällt, dass die Top 2 für Eisenhüttenstadt genannten ikononischen Symbole in diesem Zusammenhang gar nicht in Eisenhüttenstadt zu finden sind: Es handelt sich nämlich um die "grüne Umgebung" und um "Neuzelle". Platz 3 belegt die "Insel" und Platz 4 die "historische Altstadt Fürstenbergs". Warum auch nicht - die Lindenallee jedenfalls erscheint nach dieser Erhebung nicht mehr so recht als herzeigbares Stadtmerkmal."Wenn Sie ein Wahrzeichen für Eisenhüttenstadt wählen könnten, welches würden Sie nennen?"
Um einen stichhaltigen Längsschnittvergleich ziehen zu können, fehlt es mir leider an vergleichbaren Angaben aus der Zeit vor 1989, aber meine, selbstverständlich nicht-repräsentative, erinnerungsverklärte Selbstauskunft führt unweigerlich auf die Vermutung zu, dass die Identifikation der Bewohner mit den überdeutlichen konzipierten und weitgehend ebenso überdeutlich gebauten Stadtsymbolen einst ein wenig selbstbewusster war als heute und dies bestimmt nicht nur aus dem Grund, dass sich an der Stelle des Einkaufszentrums damals u.a. die, zugegeben architektonisch noch einfältigere, Baracke meiner Patenbrigade befand.
Auf der heute präsentierten Bildpostkarte, die aufgrund ihrer ungewollten Aussagekomplexität zu den mir allerliebsten Stücken zählt, sieht man eine Reihe der Elementen, welche die glückliche Magistralenwelt der 1960er Jahre prägen sollten.
Im Vordergrund die Kinder der Stadt, ein Geschwister an der Hand und sich selbst im Spiegelbild der Leninallee-Schaufenster betrachtend und darin das identische Abbild der echten Welt erkennend: Hier gibt es auch in den blankgewienerten Scheiben des HO-Konsums keine Gegensätze, hier ist alles im Einklang. Etwas im Hintergrund tragen zwei Frauen ihre Last - jedoch aufrecht und gemeinsam. Alles vollzieht sich in einer himmelblauen Schäfchenwolkenweite, in der der Mensch Raum findet und doch nicht allein ist. Ranke Bäume, drei oder vier parkende Autos, ansonsten ruht der Verkehr und innerhalb des Rahmens, den die Ladenzeilen vorgeben, kann der Eisenhüttenstädter frei laufen, wohin er möchte. (Vielleicht nicht unbedingt über den penibel gemähten und geharkten Rasen.) Am Ende der Straße, der wo man heute ausgerechnet eine grelle Burger King-Bräterei als Endersatz für das nie verwirklichte Werkstor im monumentalen Stalinstil sieht, gab es damals eine Baumreihe.
Insgesamt vollzieht sich alle Bewegung, auch die der Häuser, in geradliniger Bahn auf diesen friedlichen Fixpunkt zu. Die Hochhäuser, nur durch die angebrachten (bzw. abwesenden) Giebelsymbole (DER im Kreis und NEUER TAG) zu unterscheiden, betonen diese allgemeine Ausgeglichenheit. Einzig ein Fahrradständer ist aus der Reihe gerückt, bildet aber gerade dadurch eine schöne Horizontalachse mit dem parkenden Automobil, der Uhr und der hinteren Balkonreihe des vordersten Hochhauses, bis heute Schauplatz des weihnachtlichen Turmblasens, das in Ermangelung eines innerstädtischen Kirchturms vom Balkon eines profanen Wohngebäudes mit der Adresse Lindenallee 18 vollzogen werden muss. Interessant ist dabei, dass sich der, zugegeben eher verweltlichte, Brauch aus christfestlicher Vergangenheit auch in der ersten sozialistischen und damit vermutlich ersten bewusst kirchenarmen Stadt im Nachkriegsdeutschland durchsetzen konnte, zumal "Türmen" in jeder Bedeutungsvariante aus dem Kanon DDR-konformer Handlungen gestrichen war. Wer das ungewöhnliche Abblas-Schauspiel erleben möchte, hat am 24. Dezember 2006 ab 16 Uhr wieder die Gelegenheit, den Stadtpfeifern zu lauschen und obendrein den Mittelteil der Lindenallee derart dicht bevölkert zu sehen, wie es sonst nur zu Stadtfestzeiten und früher am Maifeiertag der Fall war.
Stadt umstanden von Ruinen und der Zukunft abgewandt...
Sprüher und Vandalen, hört die Signale: Am Bahnhof kann man ruhig malen.
Das stimmt natürlich nicht so ganz, denn Taggen, T-Uppen, Fenster einschlagen, die Kippen ins Gleisbett schnipsen und auf den Boden aulen sind nach wie vor Tabubrüche, die man nicht gern sieht und die z.T. entweder eigentumschutzrechtlich oder nach dem Recht der guten Sitte verboten sind und bleiben.
Ansonsten ist es der Bahn aber relativ schnuppe, was am zugigen Bahnhof der Stadt geschieht:
Es werde zwar ständig kontrolliert und Gefahren beseitigt, aber das Entfernen von Graffiti und die Durchführung von Schönheitsreparaturen können aus finanziellen Gründen nicht erfolgen.
Das vermeldet Jürgen Pahn heute im Ruinenrundblick in der Märkischen Oderzeitung. Die Bahn kann sich glücklich schätzen, dass es nicht nur ihr, sondern auch den Sprayern an Geld fehlt, sonst würden die sich nach einer solch freundlichen Einladung gleich hektoliterweise Bombingchrome holen und das tun, was der Bahn AG mit dem Objekt bisher anscheinend nicht gelingt: Versilbern. Wenn es so weiter geht, dann ist der Eisenhüttenstädter Bahnhof irgendwann so heruntergekommen, wie der in Bad Homburg, was nur hinzunehmen wäre, wenn das Einkommensniveau sich parallel angleichen würde.
Ebenfalls mittelos zeigt sich der Eigentümer der ehemaligen Konsumverwaltung und später improvisierten Hip Hop- und Drogenhöhle in der Beeskower Straße, der Ende 1997 gemeinsam mit der Stadtverwaltung den vielleicht lebendigsten, offensten, multikulturellsten (Es war sogar mal ein Algerier da. Und der fuhr sogar richtig ordentlich Skateboard!) und illegalsten "Jugendklub" in der Stadtgeschichte auflösen, wobei die zum traditionellen Hausbesetzer wirklich alternativen Hausbesetzer von einige Vertretern der Stadtverwaltung mit vielerlei Versprechungen auf Ausweichobjekte geködert und verschaukelt wurden, so wie sich die Stadtverwaltung selbst augenscheinlich von einigen Vertretern vorwiegend westdeutscher Immobilienfreunde jahrelang mit leeren Versprechungen ködern und verschaukeln ließ. Die Beeskower Straße 3 ist dafür vielleicht das augenfälligste, aber bei weitem nicht das einzige Beispiel. Der Niedergang des einstmals vornehmsten Gasthauses am Zentralen Platz, des Lunik, ist ein weiteres Exempel. Und das, was uns Jürgen Pahn als "Positives" berichtet, ist allein deshalb erschreckend und Symptom für die armselige Lage der Stadt, weil hier Vorschußlorbeeren verteilt werden, obschon bislang noch gar nichts geschehen ist und das, was geschehen soll, etwas vollkommen Selbstverständliches ist:
Das ehemalige Hotel Lunik, dessen abgeblätterte Fassadenfarbe schon von Weitem ins Auge fällt, ist kürzlich versteigert worden und harrt nun seiner baldigen neuen Nutzung.
Die andere "positive" Nachricht offenbart endgültig die Erbärmlichkeit der aktuellen Stadtentwicklung:
Die ehemalige Kaufhalle Mittelschleuse, so lautet eine Information des Eigentümers vom 2. November, soll künftig als Modemarkt für Kinder und Lebensmitteldiscounter genutzt werden und auch für die ehemalige Gaststätte Mittelschleuse ist demnächst die Wiedereröffnung vorgesehen.
So naiv konsumistisch kann man doch gar nicht denken, dass man einen weiteren(!) Lebensmitteldiscounter und einen ähnlich überflüssigen Kleiderhandel (was ist denn aus den Ernstings Family Filialen geworden) als Zeichen für einen Umschwung wertet. Hier geht es nicht einmal um Lerneffekte: Hier geht es darum, dass man in Eisenhüttenstadt offensichtlich absolut erfahrungsresistent geworden ist.
Und das eigene unglückliche Händchen so rechtfertigen wollen, zeugt auch von einer gewissen Dreisigkeit:
Schnell wird nach dem Rathaus gerufen, wenn es um die ruinösen Zustände in der Stadt geht. Doch der Kommune sind die Hände gebunden, wenn die Immobilienbesitzer nicht reagieren oder sogar pleite sind. Eigentum verpflichtet eben.
Vielleicht sollte man sich vorher einfach mal anschauen, mit wem man Geschäfte macht und sich nicht von jedem, der eine S-Klasse vor dem Rathaus einparkt, irgendetwas erzählen lassen. Derart entscheidungsunfähig kann man auch bei desolater Haushaltslage gar nicht sein, dass man das Immobilien- und Handlungsvermögen der Stadt in dieser Manier verheizt. Ich persönlich warte ja immer noch auf den Besuch der alten Dame...
Insgesamt gibt es im Stadtgebiet 59 desolate bzw. sanierungsbedürftige Objekte, 23 westlich des Oder-Spree-Kanals, 21 zwischen Oder-Spree-Kanal und Bahnlinie und 15 östlich der Bahnlinie,
heißt es in dem Text. Ich kenne nur eines.
Ein "Romeospion" wie der legendäre Wilhelm Markusch war Omar Nasiri nicht. Dafür aber Al-Qaida- und später (nur für kurze Zeit) BND-Mitarbeiter unter dem Namen "Finov". Das denkwürdige Einstellungsgespräch (für die Beschäftigung beim BND) fand an keinem anderen Ort als Eisenhüttenstadt statt, wie der SPIEGEL im Begleitartikel zum aktuellen SPIEGEL-Buch berichtet:
When Nasiri appeared at an office for political asylum applicants in the eastern German town of Eisenhüttenstadt on Dec. 22, 1998, he was expected. The DGSE had already notified the German domestic intelligence agency of his arrival and had asked the Germans to take care of Nasiri. The official who traveled to Eisenhüttenstadt to meet with him was an experienced manager of undercover agents who specialized in Algerian sources. Germany became Nasiri's third government employer, and its agents gave him the cover name "Finov." - The Mole and the Terrorists
Wenn man dieses Eckchen sieht, glaubt man fast, dass es in der Ferne manchmal schöner sein könnte als daheim: Solch ein schmuckes Portalrelief hat die Nationale Bautradition in der Neubaustadt wohl nicht hinterlassen. Aber um welches Gebäude handelt es sich? (Hier darf sich unser Blogkollege Andi Leser vollends und sofort beteiligen und ich denke, auch für das literarische Rätsel ist die Karenzzeit vorüber...)
Die sonnigen 70er Jahre - auf einer Bildpostkarte.
Die bisher im Blog präsentierten Bildpostkarten hatten herausragende städtebauliche Umsetzungen der Stalinstadt als ihren Gegenstand. Nun wird völlig berechtigt angemerkt, dass es einer Realitätsverzerrung gleichkommt, die Ansichtskartengeschichte der Stadt auf diese ersten 10, 11 Jahre der Stadtentwicklung zu beschränken. Um dem Rechnung zu tragen, gibt es nun eine Karte aus dem Jahr 1978 als Postkarte des Tages zu sehen. Abgebildet ist der süd-östliche Teil der damaligen Leninallee, die heute - im Gegensatz zu dem von manchen böswilligen Agrarchemikern angesichts der Entstädterung der Stahlstadt verbreiteten Kalauer - nicht Lindanallee sondern Lindenallee heißt.
Wer Adleraugen hat, erkennt, dass zu diesem Zeitpunkt die buchstäblich fabelhafte Bronze-Arbeit "Der Löwe und die Maus" von Peter Fritzsche noch nicht an ihrem Ort vor dem Uhrengeschäft stand. Außerdem hieß das exquisit noch nicht exquisit. Aber - so das interaktive Element dieses Postings - wie hieß es denn dann? (Auf der Originalpostkarte kann man es mit Lupe und Mühe über dem blassgrünen Sonnenschutz entziffern, auf der Abfotografie zugegebenermaßen leider nicht...)
"Es ist wie beim Rollsport:" Wenige geben alles, die meisten geben nix. Manche leben Kicks auf Skateboards oder BMX. Einige stehen, ganz viele reden Tricks. Es ist nicht wesentlich. Nur ein Nebenbericht. Ich such den Inhalt, also halt ich gegens Licht, was mir so durch mein Leben bricht."
Eine der unerfreulichen Nebenwirkungen des Internets ist, dass manchmal an einem launigen Nachmittag irgendwo aus der Tiefe des Server-Universums Dinge zu Tage treten, die man so nicht mehr erwartet und so auch nicht mehr sehen mag. So geht es mir mit einem furchtbar fernen Fortune-City-Account, den ich dereinst, als ich noch dachte, dass das Rapgeschäft auch meines sein könnte, anlegte. Natürlich sind Login und Passwort längst vergessen und die angegeben e.mail-Kontaktadressen aus den Frühzeiten des Alles-möglichst-gratis-WWW (glücklicherweise) auch nicht mehr aktiv. Was bleibt ist die Selbstdarstellung in HTML und bevor mir jemand anderes einen Strick daraus dreht, tu ich es schnell selbst: Ehst-Coast Hip Hop. Die ganz großen Peinlichkeiten finden sich glücklicherweise nicht, aber man/ich muss das ganze Unterfangen in seinem Entstehungsumfeld betrachten, um es halbwegs ernst nehmen zu können.
Immerhin kann ich nun - und damit ist eine Art Tagebucheffekt erreicht - wieder wachrufen, wie ich vor 7-8 Jahren zur Eisenhüttenstadt und besonders zu mir stand: Idem Ehst. Wem das dort Heruntergereimte zu plakativ und zu wenig differenziert ist, dem pflichte ich gern bei und bringe als meine Verteidigung die fröhlich platte Alltagsweisheit der Cora E. hervor: "Es wäre heut' nicht wie es ist, wäre es nicht gewesen wie es war."
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