Und da wir alle so frivol Suchenden wenigstens mit einem Brustbild in die Nacht schicken möchten, gibt es dieses:
Gesucht: Nackt und ungehemmt. Gefunden: Bei uns.
Ich will nach Eisenhüttenstadt! Nein, nicht "zurück", sondern wirklich nach Eisenhüttenstadt, als wäre es das erste Mal und ich Tourist. Die Ursache für diese eigenartige Wochenend-Endstimmung ist die aktuelle Tourismusbroschüre "Mehr Brandenburg...das Oder-Spree-Seengebiet", die man hier bekommt: vor dem Zuckbäckerglanz der Kameltränke schwingt sich ein junges Mädchen lachend über zwei Seiten gedruckt auf dem Fahrrad um die Kurve und der dazugehörige Beschreibungstext träufelt dann noch den Zuckerguß auf das Zuckerbäckerbackwerk der Eisenhüttenstadt - "ein lebendiges Denkmal".
Ein wunderschönes Leitbild hat der Tourismusverband Oder-Spree-Seengebiet e.V. da entworfen und es ist zu hoffen, dass der Funken dann auch tatsächlich auf die Stadt überspringt: "Die Planstadt Eisenhüttenstadt ist wirklich jung und dynamisch" und obendrein die "kleine Schwester" der Autostadt Wolfsburg, wobei ein solcher Vergleich der sozialistischen Idealgemeinschaft mit der nur 12 Jahre älteren Volkswagen-Metropole vor 1989 ganz sicher eine Aktennotiz und eventuell den Verlust des Studienplatzes nach sich gezogen hätte. Und auch ohne ideologische Aufladung hinkt er ein klein wenig, ist aber als rhetorisches Mittel, um dem ahnungslosen, am Brandenburg-Tourismus Interessierten einen Leitanker zu geben, legitim.
Ja es gab und gibt sie noch: die Eisenhütten in der Eisenhüttenstadt. Allerdings wird diesen Repräsentanten der lokalen Bautradition im Gegensatz zu den Bauwerken der nationalen keine touristische Qualität zugeschrieben, denn sie wirken weder jung noch dynamisch noch denkmalschutzwürdig...
Die eigentliche Stadtbeschreibung (S. 48/49) in der Broschüre wird
eröffnet mit dem Slogan "Gegensätze ziehen sie an?...", der seine
optische Unterstreichung durch die Gegenüberstellung eines Metallurgen
am "Wildbach" Hochofenstahl mit zwei Anglern in der grünen
Oderauenlandschaft erhält.
Das Pfund, mit dem man hier kräftig wuchert, ist natürlich die "ehemalige Modellstadt", d.h. das heutige
"Flächendenkmal, das auch aus zeitgenössischer Sicht soziale Lebensqualität und kulturelle Nähe zu den Menschen ermöglicht."
Das Potential hierfür ist in jedem Fall gegeben, an der Umsetzung wird noch ein bisschen geschraubt. Nächste Programmpunkte sind erwartungsgemäß das Dokumentationszentrum "Alltagskultur der DDR" ("Wie war das dort, wie war das doch..."), ein Besuch im AEH, das hier netterweise noch EKO ("EKO-logisch!") heißt und ein Ausflug in die "Beschaulichkeit im historischen Stadtteil Fürstenberg an der Oder.":
"Enge Gassen mit liebevoll restaurierten Häusern zeigen, dass hier das Leben auch vor dem großen Stahlboom lebenswert war."
Für ein vollständiges Bild der Stadtgeschichte wäre eigentlich auch ein kleiner Informations- und Erinnerungsort zu Rolle Fürstenbergs als Standort kriegswichtiger Industrien und eines Kriegsgefangenenlagers angebracht, was allerdings weniger eine Aufgabe des Tourismusverbandes und mehr die der Stadt selbst ist. Die Nische, die es im Städtischen Museum dazu gibt, ist für den normalen Besucher vermutlich nur schwer zu entdecken und wird der Sache vielleicht auch nicht so ganz gerecht...
Der Wassertourismus wird gezielt mit der Aussicht auf einen "moderne Marina errichtet mit allen Versorgungsmöglichkeiten" und "ausgezeichnet mit der Gelben Welle" angesprochen. Und schließlich können alle, die nicht mit eigenem Boot anreisen, auf der MS Fürstenberg auf Oder-Rundfahrt gehen, ein Vergnügen dem wir uns hoffentlich im Sommer auch mal einmal hinzugeben versuchen.
Dann wandern Sie am besten an der himmelblauen Speckarchitektur der Vorzeigeschule 2 vorbei zum ehemaligen Versorgungszentrum des fünften Wohnkomplexes.
Eine derartige Verwahrlosung inmitten eines bewohnten Stadtquartiers zu entdecken, dürfte selbst in hart vom Abwanderungsschicksal geschlagenen Gemeinden Ostdeutschlands Seltenheitswert besitzen.
Alles in allem wird hier ein exzellentes und erstaunlich frisches Stadtbild gezeichnet und gerade die Steilvorlage "jung und dynamisch" sollte für zukünftige Stadterneuerungsmaßnahmen zum Leitmotto werden. Denn selbst wenn hier - wie es nun mal für solche Broschüren notwendig ist - das, was da ist, auf Hochglanz poliert wird, zeigt sich doch ganz deutlich, wo und in welcher Form touristische (und stadtkulturelle) Potentiale aktivier- und ausbaubar sind.
Desiderat bleibt meiner Meinung nach die Erschließung der Wohnkomplexe I-III mit entsprechenden Erklärungstafeln und/oder ein Stadtführer, der im Stile eines ambitionierten Kunstreiseführers nicht nur die Oberfläche kurz beschreibt, sondern auch Tiefenwissen vermittelt. Solange so etwas fehlt, gerät die Aufforderung "Gehen Sie auf Spurensuche" (S. 49) für alle Interessierten nur zu leicht zur einer mühsamen Schnitzeljagd. Die Spuren sind natürlich auch so vorhanden, aber für Ortsfremde nicht immer und leicht erkennbar und einzuordnen. Wer übrigens als Tourist nicht unbedingt im Hotel Berlin - das allerdings preislich immer noch ganz günstig liegt - nächtigen möchte, findet eine überraschend große Auswahl an Privatzimmern und Ferienwohnungen, in denen man nicht nennenswert mehr zahlt, als in einer normalen Jugendherberge. (aufgelistet auf den Seiten 101f.)
[Mehr Brandenburg...das Oder-Spree-Seengebiet. Broschüre des Tourismusverband Oder-Spree-Seengebiet e.V. Beeskow: 2006(?)]
Eine weitere aktuelle und sehr zur Lektüre empfohlene Broschüre mit Bezug zur Stadt ist ausgerechnet nicht auf die Flächendenkmal-Quartiere bezogen: 40 Jahre WK VI: Den Sechsten im Sinn [Eisenhüttenstadt: Stadt Eisenhüttenstadt, Dez. 2006]. Als Zielgruppe gilt laut Vorwort die Wohnbevölkerung des Wohnkomplexes, was ein bisschen schade ist, denn entgegen dem Klischee stellt auch der VI. Wohnkomplex wenigstens für am Thema DDR-Architektur- und/oder Kulturgeschichte Interessierte eine äußerst reichhaltige Fundgrube dar, die der Kernstadt in der touristischen Vermarktung unbedingt als Ergänzung zur Seite gestellt werden sollte. Wenn auch städtebaulich nicht durchgängig spektakulär, gibt es doch einige Bereiche, allen vorran die Achse der Fröbelringpassage bis zur heutigen Gesamtschule III, mit einer nicht geringen stadträumlichen Qualität.
Und während die denkmalgeschützten Komplexe der Stadt für die Stadtentwicklung nur relativ enge Entwicklungsspielräume zulassen, scheint hier perspektivisch das vom Tourismusverband so betonte dynamische Element am ehesten und grundlegensten kreativ umsetzbar zu sein.
Das Heft bietet einen Rückblick auf die Entwicklung von der Grundsteinlegung im Diesterwegring 1965 bis zur Umgestaltung der Fröbelringpassage und dem Vorplatz von 2002 bis 2005. Während die redaktionellen Begleittexte sich mehr oder weniger auf einen chronologischen Abriss beschränken, liegt das eigentlich Originelle der Publikation in den zahlreichen Zeitdokumenten. So kann man sich mithilfe der Zeitungsausrisse in den damaligen journalistischen Duktus und in das Lebensgefühl der jeweiligen Zeit nähern:
"Mit einem dreifachen Hurra dankten am Sonnabendvormittag die Schüler der jüngsten Eisenhüttenstädter Oberschule im VI. Wohnkomplex den Bauschaffenden für die termingerechte Fertigstellung ihrer Schule. ... Genosse Heinz Plöger, Sekrektär der Bezirksleitung Frankfurt (Oder) der SED, rief den Schülern zu: Haltet das Vermächtnis Gerhart Eislers in Ehren! Kämpft zur Ehre und zum Ruhm unserer Republik."
schrieb beispielsweise die Lokalzeitung "Neuer Tag" am 02.09.1969 anlässlich der Eröffnung der Gerhart-Eisler-Oberschule. Wir wissen natürlich, wie sehr die Mehrzahl der bei solchen Fahnenappellen anwesenden Schüler diese Aufrufe auf sich persönlich bezog und dass es irgendwie - entgegen Adornos Diktum - auch ein subjektiv richtiges Leben im objektiv falschen zu geben schien. Die Schlagzeile "Guter Einkauf in der neuen Kaufhalle" (Neuer Tag, 17.12.1974) war dann für den Alltag des DDR-Bürgers doch relevanter als die Ehrerhaltung des verstorbenen Leiters des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR.
Erste Kundin in der Blech-Kaufhalle am Mittelganghaus war "Frau Melde aus dem VI. Wohnkomplex". Sie bekam zu ihrer Einkaufseinrichtung um die Ecke auch noch den obligatorischen Nelkenstrauß - und das mitten im Dezember. Sowohl Mittelganghaus als auch die Kaufhalle sind mittlerweile verschwunden und heute wäre der Netto-Markt in der Passage Einkaufshegemon des Wohnkomplexes, gäbe es nicht das von der Passage fußläufig erreichbare Kaufland, das nun vermutlich auch nennenswert Kundschaft aus der 1970 vom Architektenteam Klaus Krok, Hans Joachim, Dietrich Kloppstech und Wolfgang Timme sehr vorausschauend als Wiederverwendungsobjekt entworfenen Versorgungszentrum abzieht.
Der angedachte neun Meter hohe Werbeturm wurde dann bis heute nicht mehr realisiert, dafür grüßt eine kleine Leuchtfigur von grafisch etwas fragwürdiger Güte an der neu geschaffenen Einfahrt auf den den neugeschaffenen Parkplatz. Ob der Lockeffekt auch auf andere Kunden als die Rabauken, die manchmal das Glas eintreten, wirkt, vermag ich nicht beurteilen. Immerhin: ein kleines Leuchten.
Auch wenn der Futurismus eines Otto Schutzmeister mittlerweile etwas abgenutzt daher kommt bleibt die Frage nach der Zukunft eine zentrale für den sechsten Wohnkomplex.
Die Vergangenheit gibt es jetzt im offis auf 50 Seiten zusammengefasst.
Die einst in der Passage angesiedelten Nahversorgungseinheiten verschwanden nach 1990 peu à peu bzw. wurden umfunktioniert: aus der Schulspeisung wurde eine Videothek, aus dem Klubraum das Cafe-Bijou und aus dem Aufschwung lange Zeit nichts. Besonders schade ist natürlich die Auflösung der Stadtteilbibliothek. Nicht ganz so sehr vermisst man die Öffentliche Bedürfnisanstalt (3 WC Frauen, 2 WC Männer und 2800 mm PP-Rinne).
Am meisten vermisst man auch nach dem Umbau ab 2002 die kaufkräftige Kundschaft (und als Architekturnostalgiker den schönen Sonnenschutz der Gaststättenterasse, später Videothekenvorplatz).
Wie es mit der Fröbelringpassage weitergehen wird, liegt zum einen an der Kreativität und den Möglichkeiten des Quartiersmanagement (sh. auch hier), an der Bereitschaft der Wohnbevölkerung des Viertels, die Passage als (quasi-)öffentlichen Raum zu nutzen und am Ende sicher auch an den Plänen des Objekteigentümers.
Aufenthaltsqualität oder gar eine Begegnungskultur erzeugt diese "Bitte-Billig"-Einkaufskultur leider nicht. Das müssen die Menschen schon selbst leisten - und zwar idealerweise jenseits des Konsums.
Die Aufarbeitung der allgemeinen Vergangenheit des Wohnkomplexes ist mit der Broschüre "Den Sechsten im Sinn", die übrigens auch den sehr lesenswerten, allerdings schon älteren, kleinen Aufsatz "Moderne Zeiten oder Das Ende der Gemütlichkeit" von Gabriele Haubold enthält, gelungen. Und da man mit dieser Broschüre als Bündelung der lokalen Erinnerungskultur vermutlich die Einheimischen gut erreicht, fällt der nächste Schritt, die gemeinsame Ausgestaltung der zukünftigen "Belebung" des WK VI hoffentlich umso leichter.
Denn der sechste Wohnkomplex verdient Perspektive. Und zwar eine, die über eine bloße Wohnsiedlung hinaus reicht.
Parallel dazu sollte man tatsächlich darüber nachdenken, auch in Hinblick auf den WK VI ein auf Architektur- und Erinnerungskulturtourismus zugeschnittenes Angebot beispielsweise in Form eines kleinen Stadtteilführers zu entwickeln, der sowohl die schmucken Kameltränken-Fassaden in der Kernstadt wie auch die Schmetterlingsdecher des Diesterwegrings und auch den bald verschwundenen siebenten Wohnkomplex erklärt.
Nun denn, der Newsflash Eisenhüttenstadt präsentiert heute kein Gewehr, aber Kupferdiebe und das Einzelhandelselend in der südlichen Lindenallee. Nicht nur Christel Jachning schätzt die nähere Zukunft der nominellen Haupteinkaufsstraße nicht unbedingt euphorisch ein. Ob sie schon ein Schaufenster mit "Bonjour Tristesse" ausdekoriert hat, kann ich leider nicht beurteilen. Und ich kann ebensowenig einschätzen, ob sie das Buch, aus dem die Passage unseres heutigen literarischen Rätsels stammt, welches allerdings - soviel sei verraten - diesmal nicht Dichtung sondern vielmehr Zeitdokument ist, im Regal parat hat:
"Mir bereitet es physisches Unbehagen, wenn ich durch die Stadt gehe - mit ihrer tristen Magistrale, mit Trockenplätzen zwischen den Häusern, wo Unterhosen und Windeln flattern, mit einer pedantischen und zudem unpraktischen Straßenführung, die die Erfindung des Autos ignoriert, mit Typenhäusern, Typenläden, in den man eben nur seinen Bedarf an Brot und Kohl deckt, mit Typenlokalen, die nach Durchgangsverkehr und Igelit riechen.
Ich sträube mich zu glauben, daß andere dies alles nicht sehen und als bedrückend empfinden. Wahrscheinlich lässt sich in den fertigen Wohnkomplexen nichts mehr korrigieren, aber es müßte doch mögliche sein, die Pläne für die nächsten Komplexe in irgendeiner Weise zu beeinflussen."
Und doch ist nicht jeder dem Charme der Eisenhüttenstädter Magistrale erlegen. Ist sie es aber auch, die in eine solch trostlose Beschreibung, wie es das obige Zitat darstellt, eingebettet wurde? Eigentlich kaum denkbar - aber man weiß ja nie...?
Die dazugehörigen Fragen lauten nun, wer es denn ist, der hier das Unbehagen an der sozialistischen Stadtstruktur in Worte kleidet, welche Stadt gemeint ist und vielleicht auch noch, aus welchem Jahr diese ausformulierte Empfindung stammt.
Und wenn wir schon einmal bei kniffligen Rätseln sind, so schiebe ich gleich noch einmal die Frage nach, von wem die folgende Überlegung stammt:
"Kann man nicht unsere sozialistische Heimat so gestalten, daß man nach ihren Städten Heimweh empfinden kann?" ...
Und wer auf die Frage nach dem Heimweh daselbst eine Antwort formulieren kann, sollte dies ebenfalls tun. Denn das ist eigentlich noch interessanter als irgendein Personenname aus der DDR-Architekturgeschichte...
REMIXing Thomas & Kara (& Sebastian) - in und durch Ehst.
So finden zwei Kunstformen (in einer dritten) zueinander, die ansonsten recht wenig Berührungspunkte aufweisen. Weitere Eisenhüttenstadt-Abstrakta sind uns herzlich willkommen.
Weiterhin ist zu vermelden, dass es in unserem Wiki nun endlich einen ersten Beitrag zu dem vielleicht großartigsten Schauspieltalent, das Eisenhüttenstadt in seiner Geschichte hervorgebracht hat, gibt: Sebastian Nakajew.
Das Programm "Soziale Stadt", das die rot-grüne Bundesregierung 1999 zur Verteilung von EU-Mitteln ins Leben rief, ist auf die Finanzierung von Baumaßnahmen ausgerichtet: Fassadensanierung, Errichtung von Spielplätzen, Renovierung von Jugendzentren. Für Vorhaben, die die aufgehübschten mit Leben füllen, steht nur ein Bruchteil des Geldes zur Verfügung. Von den gut fünf Millionen Euro, die das Quartiersmanagement im Rollbergviertel seit 1999 ausgegeben hat, entfallen mehr als drei Viertel auf Bauttätigkeit, Personalkosten und Stadtteilfeste. Für alles Weitere bleiben weniger als fünzigtausend Euro pro Jahr.Erst gestern erfuhr ich, dass man im VI. Wohnkomplex der Eisenhüttenstadt versucht, über das Programm der Bundestransferstelle "Soziale Stadt" die Weiterführung des zweifellos gelungenen Quartiersumbau (=Baumaßen) und des durchaus fruchtenden Quartiersmanagement (=Stadtteilbüro) abzusichern und schon berichtet heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Andeas Kilb von den Nebenwirkungen des Programms und speziell dem anscheinend an der berühmt-berüchtigten Berliner Verwaltungssturheit scheiternden Quartiersmanager auf dem Neuköllner Rollbergkiez, Gilles Duhem: Der Mann, der integrieren kann, muss gehen.
Jedenfalls liegen Welten zwischen den/m hiesigen/m Ringen und Gebieten wie dem Rollbergkiez oder Mümmelmannsberg. Und das in fast jeder Hinsicht.
Viel Baugeschehen gab es in Eisenhüttenstadt in den dort durchgeführten fünf bisherigen Soziale-Stadt-Projekten allerdings nicht: Im VII. Wohnkomplex wurde das Kinderhaus "Wi-Wa-Wunderland e.V." ein bisschen umgestaltet, vorrangig ging es jedoch um Programme. Für den WK VI erstellte man den Stadtteilkalender 2005 und die dazugehörige Ansichtskarten-Edition, mit dem Ziel die Bewohner für ihren Wohnkomplex zu sensiblisieren und eine stärkere Identifikation hervorzurufen. Gleiches gilt für die Zeitzeugen heute-Ausstellung und den Stadtteilführer. Schließlich gab es noch das "Streifzüge mit Kindern und Jugendlichen"-Projekt, bei dem es um die Ermittlung der Nutzung des Quartierraumes durch die dort lebenden Kinder und Jugendlichen ging.
Hier stand also wirklich und ganz konkret das Leben hinter den - zum Teil über andere Fördertöpfe - "aufgehübschten" Fassaden im Mittelpunkt, wobei den Projekten, die so kurzfristig angelegt waren, wie es solchen Projekten nun mal eigen ist, weniger ein nachhaltig absichernder Charakter sondern eher die Aufgabe eines Impulses zuzuschreiben ist. Insgesamt erscheint mir konkret die Arbeit, die in den letzten Jahren im VI. Wohnkomplex geleistet wurde, von allen Aktivitäten, die sonst in Eisenhüttenstadt wahrnehmbar waren, am gelungensten.
Dieses Jahr nun läuft die ZiS-Förderung aus und entsprechend wird die Arbeit weitgehend eingestellt. Dabei wäre es in jedem Fall sehr sinnvoll, wenigstens das offis-Büro in der Fröbelringpassage längerfristig über städtische Mittel abzusichern. einerseits da es sich ja nun halbwegs erfolgreich als lokale Anlaufstelle etabliert hat und andererseits da es auch noch eine Art "Leuchtturm" in der leider vom Vermietungskonzept bisher erfolglosen Passagenvermarktung darstellt. Vielleicht verhandelt man ja schon mit dem Eigentümer des Objekts. Wünschenswert für das Klima im Viertel wäre es jedenfalls. Eine Schließung erwiese sich nicht zuletzt auch deshalb als ungünstiges Zeichen, als dass das vordringliche Teilziel "Stärkung der Wirtschaft und Förderung von Beschäftigung" im Zielgebiet nicht einmal in Ansätzen realisiert werden konnte. So hat man dann ein renoviertes Nahversorgungsobjekt, das allerdings weitgehend selbst, und zwar mit Mietern, unterversorgt ist. Wie magnetisch dieser Zustand wirkt, kann man hervorragend z.B. in der Königsstraße sehen.
Auf- und Umbau sind das eine, aber auch auf die Köpfe kommt es an. Wir jedenfalls wollen auch Leben hinter den neuen Fassaden - denn nur dadurch wird die Stadt zur Stadt. Und das gilt auch im Land Brandenburg.
Der sechste Wohnkomplex ist nunmal doch kein Ziel 2-Gebiet mit großartigem Innovationspotential, sondern - wie der Rest der Eisenhüttenstadt - durchgängig und durchschnittlich Wohnbezirk, dabei allerdings noch einzigartig isoliert. Innovations- und Wirtschaftsförderung erscheint hier bestenfalls punktuell machbar - interessanter ist langfristig vielleicht die Perspektive, die nun im Bettenhaus am Kanal Einzug zu halten scheint und sich am Ende bei allem Anspruch an Familienorientierung eventuell als am vielversprechensten erscheint: Altersgerechtes Wohnen. (die EWG zieht in der Holzwolle nach und "liftet" ihre Liegenschaften, vgl. heute in der Märkischen Oderzeitung)
Denn die dafür relevante Zielgruppe wird ganz sicher und hier im Anteil noch mehr als anderwo wachsen, da der Ort für alle Nichtmetallurgen unter den jungen Alterskohorten kaum Perspektiven bietet und man sich nicht sonderlich sichtbar um die Entwicklung solcher bemüht. Und es werden sicher nicht alle die Altersmigration in die Sun Cities Südspaniens wagen können, wobei ein solcher Schritt u.U. auch rein klimatisch womöglich in den kommenden Jahrzehnten immer mehr an Attraktion einbüßt. Dass die hiesigen Rentner aufgrund ihrer Erwerbsvergangenheit und deren Anrechnung mitunter ökonomisch nicht durchgängig auf Vollpension abgesichert sind und auch deshalb bleiben müssen, ist noch ein ganz anderer Aspekt. Dazu addiert sich z.T. noch die Identifikation der Aufbaugeneration mit ihrer Stadt, die diese Alterskohorte gerade hier hält.
Generell fällt auf - und zwar ernüchternd - dass man in Eisenhüttenstadt, wie auch in anderen Teilen Ostdeutschlands, noch auf lange Zeit Stadtentwicklung und Quartiersmanagement rein auf Förder- und Zuschussbasis durchzuführen vermag, die Kommune also öffentliche Aufgaben nicht aus eigener Kraft übernehmen kann. Die Aufgabe des hiesigen Heimattiergartens über den Umweg der Übertragung in die Zuständigkeit eines Fördervereins und der nahezu vollständigen Streichung aller städtischen Zuschüsse ist nur ein weiterer Indikator, der sich gut mit der allgemeinen Vernachlässigung weiter Teile der Insel ergänzt. Soll sich doch jemand anderes kümmern. Dass sich der vermeintliche Rettungsanker Förderverein für einen dauerhaften Erhalt des Minizoos eignet, erscheint mir insgesamt allerdings eher fraglich - jedenfalls wenn ich an das im Durchschnitt wahrnehmbare Ausmaß von bürgerlichem Engagement und der Annahme des Gemeinswesens als persönliche Aufgabe denke. Hier kümmert man sich nunmal nicht so gern sondern zieht sich leider lieber zurück ins Nicht-Öffentliche. Es ist dieses Desiderat, was sich für mich als die eigentlich brüchige Stelle im Stadtgefüge erweist. Gerade hier fand das ZiS-Projekt für den WK VI gute Anknüfungs- und Wirkungspunkte.
Dennoch fehlt neben einer Absicherung der Nachhaltigkeit nach wie vor über weite Strecken die Gesamtidentifikation mit dem Stadtraum als Gemeinschaftsaufgabe und Handlungssphäre von Öffentlichkeit. Zwar ist man hier schon etwas entwickelter, als es die von Gilles Duhem geschilderten Zustände im Neuköllner Rollbergviertel ("Die Araber und Türken, die hierherkommen, sind Bauern und sie leben wie in einem Dorf. Sie respektieren keinen öffentlichen Raum. Sie werfen Müll aus dem Fenster, wenn wir es ihnen nicht verbieten."), aber soweit ausdifferenziert, dass man durchgängig von einem diesbezüglichen "Bewusstsein" sprechen kann, scheint die Beziehung Bürger-Stadt leider bisher nicht in der Gesamtheit der Eisenhüttenstädter Einwohnerschaft zu sein.
Solange dies nicht der Fall ist, bleibt dem Stadtumbau immer auch ein Akzeptanzproblem bzw. wird er als von Außen verordnet wahrgenommen. Insofern wünscht man sich als überzeugter Urbanist von zukünftigen Projektanläufen, dass diesem Aspekt - dem der Differenzierung von Perspektiven - mehr Gewicht eingeräumt wird.
Da wir hier im Blog die Entwicklung verschiedener Blickwinkel auf ein und dasselbe (nämlich Eisenhüttenstadt) gern fördern möchten, bringe ich hier wieder einmal den Link zur Mitwirkung unter. Bitte nutzen.
Ich gebe zu: Es ist verdächtig still im Blog. Die Ursache dafür ist allerdings nicht, dass es nichts zu berichten gäbe, sondern ganz im Gegenteil, dass ich spontan für ein und einen halben Tag in Eisenhüttenstadt bin und zwar im internetfernen Fürstenberg. Hier ist das WWW so langsam, dass ich mir die Märkische Oderzeitung in Papier beim Zeitungshändler abgeholt habe und das zum Glück, denn dort findet sich ein Beitrag, der wenigstens die Hoffnung auf Breitbandblogging auch aus dem Nicht-Exil zulässt: DSL für Fürstenberg und Ziltendorf.
Ansonsten wirkt die Stadt an einem schnöden Alltagsdienstag wie diesem recht grau und öde, immerhin konnte ich beim Bäcker im Kaufland eine - vermutlich länger dort befindliche - Wandmalerei entdecken, die klassische Stadtmotive gar liebevoll abbildet. Ebenfalls erfahren durfte ich, dass die Stadtteilprojektförderung für den WK VI inklusive des Stadtteilbüros demnächst ausläuft und niemand so recht weiß, was man dann damit und der sich prospektiv 2007 weiter leerenden Gewerbefläche in der Fröbelringpassage macht. Man versucht wohl auf das Projekt "Soziale Stadt" aufzuspringen.
Die größte Verblüffung rief bei mir allerdings die von verschiedenen Seiten bestätigte Tatsache hervor, dass es in der Abrissmetropole Eisenhüttenstadt momentan akuten Wohnungsnotstand gibt. Wenn man - so der Eindruck - normal verdient aber nicht für sich selbst mit einem Fertighaus auf Abzahlung den vorstädtischen Unsinn mitmachen mag, stehen die Chancen irgendwo unterzukommen sehr sehr schlecht. Mit Wohnberechtigungsschein ist man wohl besser bedient, darf sich bei der Jagd nach diesem auch noch einmal so fühlen wie in der DDR, wobei man deren Lösung der Wohnungsfrage momentan recht radikal noch einmal löst. Wer nicht zurück in die Lokalzeit, in der Beziehung alles war, möchte, zieht dann lieber gleich davon. So fragt sich der ahnungslose - und in Berlin vergleichsweise viel billiger wohnende - Beobachter, ob die real praktizierte Stadtumbaupolitik vor Ort wirklich der rechte Pfad zum städtischen Glücke ist oder ob man (ich schieb's es mal auf die mangelnde Koordination von Bedarf und Angebot) momentan nicht auch irgendwo das "Humankapital" der Stadt, d.h. junge Menschen im Arbeitsprozess, nach Frankfurt oder sonst wo hinforttreibt. Es gibt nicht wenige Menschen, die am Morgen zur Arbeit nach Eisenhüttenstadt einpendeln, ansonsten mit dem Ort herzlich wenig zu tun haben wollen. Bald sind es - sofern man Glück hat - noch einige mehr. Im Regelfall bleiben die jungen aufstrebenden Fachleute, Macher, Familiengründer, Enthusiasten (im Ex-EKO /AEH hat man, wie ich hörte, schon auf mancher Position Probleme, qualifizierten Nachwuchs anzulocken) jedoch gleich z.B. dort, wo der Pfeffer wächst. Denn da verdient man als Fachmann mindestens nach deutschem Tarif und bekommt andererseits auch problemlos Wohnraum.
Nostalghia Ehst.: Eine alte Stadtaufnahme.
Heute zum Sonntag gibt es ein Sonntagsbild, wie es die Eisenhüttenstädter sehen konnten, als die Welt noch in Sepia war und man des Sommers im Familienverband auf die Höhenzüge der Diehloer Berge picknicken ging:
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