Selbstverständlich plädieren auch wir dafür, die wenigen Spuren, die sich auffinden lassen, zu sichern und entsprechend auszuzeichnen. Denn es fällt auf, dass der Erinnerungsort "Schwimmbad in der Buchwaldstraße" nicht existiert, die Johannes R. Becher-Schule ihren Bildungsauftrag verloren hat und beinahe niemand mehr The Smiths hört. Der Wohnblock im Diesterwegring scheint allerdings, entgegen Andis Vermutung, noch zu stehen. Vielen Dank für den Hinweis! Der Einrichtung einer "kultigen Pilgerstädte" ("einmal im Leben muss jeder Trancejünger in Trance um den Block tanzen" oder etwas in dieser Art) spricht also nichts entgegen. Jetzt muss nur noch die Abteilung Stadtmarketing die Chance ergreifen.
Logbuch Eisenhüttenstadt - Hallo Leute!
Ich habe gerade das Interview mit Paul van Dyk gefunden. Schön, daß Ihr den Versuch gestartet habt und er geantwortet hat. In der Tat wäre es etwas, wenn man Eisenhüttenstadt als seine Geburtsstadt stärker in des öffentliche Bewußtsein bringen würde. Es gibt da übrigens Hoffnung: Da ich beruflich mit dem "Sechsten" zu tun habe, kann ich Euch mit Sicherheit sagen, daß der "Diesterwegring 10" noch steht. Es ist (für alle Ortskundigen) der Eckeingang des Blocks der parallel zur Cottbuser steht und Richtung benachbarter KiTa zeigt (auf dem Foto noch eingerüstet).
Also dann, herzliche Grüße und viel Spaß noch,
matse
Tranc-iert: Andi (Leser) befragt Paul van Dyk. Und ein Kommentar.
Aus der Bahn geworfen: Ein langer Ritt zur Hauptstadt.
Ein kurzer gnadenloser Jalapeno-Rausch vertreibt den Kummer für einen Moment, schaut man sich allerdings um, in welcher Gesellschaft man sich dort aus der Realität futtert, ergreift man gleich wieder die Flucht. Andi führte diese zum Bahnhof in die lichterne Hochburg des gepflegten Nachtlebens Frankfurt an der Oder, mich dagegen nur in die Leere des DSF-Abendprogramms (Stickwort: Carstuck Girls): verfahrener kann man sich gar nicht fühlen, als wenn man in einer Freitagnacht Jill & Sue und die anderen beim fröhlichen Schlammringen vor dem in die Pampe der Pampa gesetzten Lada Niva beobachtet. Und wenn ich davon ausgehe, dass es irgendwo Menschen gibt, die sich diesem regelmäßig aussetzen, erstaunt es mich auch nicht mehr, dass uns der Niedergang des Freitagabendlandes so oft so penetrant vor die Augen drängt.
Nein, es ist: Johanna vom Comeniusplatz. Sie erwartete Schimpf und Schande der ob ihres Films ins Mark getroffenen Bürger der Hüttenstadt und was sie bekam war ein "Richtig so, es kann gar nicht hart genug sein." Bald wird es ihren Film vermutlich - wie ich heute erfahren durfte - in einer vom Ex-EKO zuschussfinanzierten Edition geben und nach Veröffentlichung vielleicht sogar noch etwas mehr Diskussion. Die gestrige war wohl eher als Startschuss zu werten und man hofft, dass die eifrig den Film Bestätigenden und noch ein paar mehr nun auch richtig loslaufen.
Zum Beispiel auf dem Bahnhof der Stadt, dessen Seitengebäude wieder ein paar eingeworfene Scheiben mehr vorzuweisen haben und auf dem sich heute kurz vor Abfahrt nach Berlin zwei junge Bundesgrenzschützer in knittrigen Uniformen drei offensichtlich polnische Schwarzfahrer vorknöpften. Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bedeutet nicht, freie Fahrt in deutsche Zügen. Dem ist zuzustimmen und folgerichtig darf sich das Trio mit vier Taschen auch nicht beschweren, wenn sie in dem für sie wirklich ungünstigen Ort Eisenhüttenstadt plötzlich auf dem Bahnsteig stehen und dem Regionalzug nur noch hinterher winken können. Diese Tatsache fällt also eindeutig in die Rubrik "Dumm gelaufen". Was allerdings nicht das Verhalten der Burschen vom BGS rechtfertigt, die sich allerlei amtsunwürdige Scherzerei erlaubten und mal wirklich heraushingen ließen, wer denn hier der Chef am deutschen Bahngleis sei. Auf eine penible Personenkontrolle folgte eine penible Gepäckkontrolle und immer mal ein dummer Witz, den die Polen nicht verstanden, was den Reiz für die vermutlich sonst zu gelangweilten Grenzsicherer natürlich noch erhöhte. Und als dann nichts zu finden war, außer ein bisschen Wäsche, verwies man die Drei des Bahnhofs und sparte nicht daran, darauf hinzuweisen, dass sie die 25 Kilometer zu Grenze nun laufen müssen - oder "Fliegen" (Flugbewegungen der grünbemantelten Arme), "Hahaha. Aber "nix drive" mit dem Zug. Außer ihr habt 'Penunse'".. und prompt wurde einem der drei Polen die Geldbörse aus der Hand gerupft und nachgesehen, ob sich darin nicht vielleicht doch noch eine Kreditkarte oder ein paar EURO-Noten verstecken. Nichts drin, Spaß groß. Also Abmarsch, immer am Gleis lang, aber bitte durch den Tunnel am Ende des Bahnsteigs in Richtung Cottbus, da sonst vielleicht noch ein Bußgeld für das unerlaubte Betreten der Gleisanlagen fällig wird.
Natürlich weiß man, dass die überaus fügsamen Gäste der Stadt hochwahrscheinlich einmal um den Block wandern und wenn die Jungs mit ihrem grünen Bus vom Bahnhofsvorplatz verschwunden sind, eben in den nächsten Zug nach Guben klettern und sich vor dem Schaffner verstecken werden. Das wirklich Unappetitliche an dem Vorgang war vielmehr das hämedurchtränkte Verhalten der beiden Staatsrepräsentanten, die in ihrer spätpubertären Machtspielerei das Bild des unsympathischen Deutschen kräftig zu verfestigen wissen. Einfach mal Siezen, einfach mal nicht erniedrigen und zeigen, dass man befugt ist, jederzeit alles durchzukontrollieren, vielleicht einfach mal in der deutsch-polnischen Grenzregion einen Grundkurs Polnisch (oder wenigstens Englisch) absolvieren und einfach mal ein bisschen Würde zum Amt ausstrahlen - das wäre etwas, was man sich auch an der östlichen Außengrenze der BRD wünschen würde. Und nach diesem Ereignis vielleicht: einfach mal schämen, dass man sich über die Tatsache sichtlich und unverblümt von Herzen zu amüsieren versteht, dass nun drei Leute samt Gepäck eigentlich 25 km im Regen durchs vermatschte Land laufen müssen, um den nächsten Grenzübergang in ihre Heimat erreichen zu müssen. Kurzum: Ein Rechtsverstoß rechtfertigt - in meinen Augen - keinesfalls eine solche erniedrigende Behandlung.
Gut eine dreiviertel Stunde später allerdings stand ich ebenfalls kurz vor der Situation, etliche Kilometer im Nebelzelt aus mittlerweile abziehendem Regen und mittlerweile aufgezogener Dunkelheit wandern zu dürfen. Im Bahnhof Fürstenwalde gab es nämlich einen Zugunfall mit Personenschaden, was im Regelfall einen mehrstündige Streckensperrung zur Bergung der sterblichen Überreste zur Folge hat und bedeutete, dass die schätzungsweise 200-300 Passagiere des RE 1 Richtung Magdeburg in Berkenbrück Endstation hatten. Die Bahn AG bewies in diesem Zusammenhang ein wiederholtes Mal, dass sie für solche Ereignisse, die nicht selten sind, keinerlei Notfallpläne vorzuhalten scheint und vor allem wenig Erfahrung mit Deeskalationsstrategien bzw. einfach verlässlicher Informationsversorgung zu haben scheint.
Der angekündigte Schienenersatzverkehr gen Fangschleuse, der laut Schaffnerauskunft auf uns warten sollte, ließ leider auf sich warten und entsprechend neben dem Gleis standen Männer, Frauen, Kinder und ein paar Betrunkene und wussten nicht so recht wohin. Später kam ein Bus samt leicht genervten Fahrer, der allerdings vor dem Zustieg erst wenden wollte, was wiederum die Militanteren unter Wartenden nicht wollten und überhaupt waren ja die Schranken unten, solange der Zug, der dann nach Frankfurt zurückfuhr, am Bahnsteig stand. Also ca. 20 Minuten. Der Reisebus mit dem nunmehr bedauernswerten, weil hoffnungslos mit der Lage überforderten und von allen guten Geistern und besonders der Bahn ordentlich verlassenenen, Busfahrer konnte dann sein Wendemanöver jenseits des Bahnübergangs absolvieren und schöpfte dabei gleich einmal einige der dort befindlichen Reisenden in einer Nachwinternacht ab, so dass für die Grüppchen diesseits der Schranke der Bus erst einmal abgefahren war. Einen Zwischenstopp legte der Fahrer nämlich nicht ein und so militant oder verzweifelt um sich vor den Bus zu werfen, war dann nach gut 35 Minuten auch noch niemand. Aber die Spannung stieg natürlich enorm und ein paar kleinere Rangeleien gab es auch. Insofern erwies sich als günstig, dass einige Seniorenreisegruppen als lebende Puffer zwischen den ganz Heißspornigen fungierten. Ich wurde dann glücklicherweise mit einem freundlichen und gesprächigen englischen Geschichtsprofessor, der weder die deutsche Sprache noch die Situation verstand, in den Fußraum der Mitteltür eines zweiten Busses von der Menge hineingedrückt und daher hieß es auch für mich relativ früh "Abfahrt". Ein paar dutzend Gestrandete mussten allerdings weiterhin ausharren und man wundert sich, warum die Fürstenwalder Taxichauffeure nicht die Marktlücke nutzten und zuhauf die nach Berlin-Reisenden abgriffen. Kein Taxi weit und breit und auch sonst keine Menschenseele zu sehen, nur einmal kurz zu hören, als die Bahnhofsbesatzung per Lautsprecher kundtat, dass der nach Frankfurt/Oder abfahrende Zug abfährt.
Allerdings war es heute abend nicht ganz leicht, die Strecke von der mausetoten Königsstraße zur katzigen Oranienburger mit ihren sieben Metropolenleben zu überbrücken. Jedenfalls mit der Bahn. Ein kleiner und eigentlich schwacher Trost ist, dass es andersherum auch nicht besser lief.
In Fürstenwalde gab unser Mumbai-Expressbus - den wir aufgrund der in ihm gegebenen Bevölkerungsdichte einfach so taufen musste - einen kurzen Zwischenstopp am Bahnhof, damit einerseits alle mit eigenen Augen sehen konnten, dass die Strecke tatsächlich gesperrt ist und damit andererseits noch ein paar weitere Fahrgäste zusteigen konnten. Auf das Dach ist jedoch keiner gestiegen und auch hier machte sich der hohe Seniorenanteil als deeskalierend bemerkbar. Was allerdings passieren würde, wenn solch ein auf doppelte Kapazität angefüllter Bus selbst verunfallen sollte und wie Bahn- und Busunternehmen diese Situation dann mit ihren Versicherungen ausdiskutieren, mag man sich in diesen Situation nicht ausmalen.
Diesmal kamen wir halbwegs wohlbehalten nach innigem Körperkontakt mit allerlei Mitmenschen in Fangschleuse an, wo der Park+Ride-Parkplatz ein bisschen an ein Heerlager erinnerte: wiederum ein paar hundert Menschen mitten im Nichts, alle in größter Anspannung und man hätte sich über ein Lagerfeuer nicht wundern dürfen. Die Türen des Busses öffneten sich dann gleich Schleusentüren, nur dass die Sturmfluten gleich von zwei Seiten aufbrandeten, was ein hübsches Gemisch ergab. Anscheinend, so ließ sich aus dem Rufen und Gestikulierenden der Außenstehenden ablesen, war dies der erste Bus seit Stunden (?) und damit es auch wirklich schwierig wird, rauschte justament in diesem Moment der aus Berlin kommende und im hübschen Fangschleuse endende Regionalexpress aus Berlin samt einer respektablen Anzahl von enttäuschten - weil von den Bayern geschlagenen - Hertha BSC-Anhängern ein. Wie durch ein Wunder wurde die mir in überaus sympathischer Erinnerung stehende Lisa D. aus Eisenhüttenstadt fast an die Brust gedrückt, die allerdings nicht den Weg nach Berlin und damit mit mir und meinem historischen Begleiter antreten, sondern ausgerechnet zum Samstag abend nach Eisenhüttenstadt wollte, weshalb ich sie leider gegen jeden Schutzinstinkt der blauweißen Meute überlassen musste. Ich hoffe inständigst, sie hat es überstanden und ist mittlerweile ohne größere Blessuren in ihrer Heimatstadt angelangt.
Im Zug ab Fangschleuse war dann alles wieder völlig nach den Erwartungen, die Durchsagen der Schaffnerin sehr freundlich und Berlin wurde ohne weitere Störungen erreicht. Allerdings wird an dieser kleinen Eisenbahnepisode wieder einmal deutlich, wie beschwerlich es unter Umständen sein kann, aus der Kleinstadt in die Großstadt zu gelangen und auch, wie wenig es braucht - nämlich buchstäblich einen Schritt über die Kante - um dem weichgespülten Alltagsmenschen unserer Hemissphäre ein paar Elementarerlebnisse zu verschaffen.
Die Bahn setzt offensichtlich auf den intrinsischen Bildungswert solcher Erfahrungen und opfert zwar ein paar Busfahrer einer derangierten Masse, behält sonst aber alle Notfallpläne vornehm in der Schublade. Ich klage nicht weiter, denn das Ende ist (für mich) gut und ich sitze im warmen Bibliothekszimmer im schmucken Berlin und kann all dies niederschreiben. Was ich jedoch nicht kann, ist als regelmäßig RE-1-Reisender den Optimismus eines Thomas Mann zu teilen:
„Ja, das war das Eisenbahnunglück, das ich erlebte. Einmal musste es ja wohl sein. Und obgleich die Logiker Einwände machen, glaube ich nun doch gute Chancen zu haben, dass mir so bald nicht wieder dergleichen begegnet.“
Eine offizielle Ankündigung habe ich leider nicht im Netz finden können und umso wichtiger ist dieser Hinweis: Morgen, Freitag 02. März 2007, beginnt um 18 Uhr im Kulturzentrum KUZ in der Friedrich-Engels-Straße die Eisenhüttenstadt-Premiere von Johanna Ickerts Film "Huettenstadt" (eine Besprechung haben wir hier).
Die junge Filmemacherin wird selbst anwesend sein und freut sich schon auf eine intensive Rückkopplung mit dem Premierenpublikum.
Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, sind folgende Veränderungen zu beachten:
- der Film heißt nun "Huettenstadt"
- er läuft nur einen Tag und der ist zwar Freitag, aber der 02. März
- Peter van Eyck, Susanne Cramer, Horst Frank und Kai Fischer spielen nicht mit
- das Jugendverbot erwies sich als nicht angebracht, im Gegenteil freuen sich die Veranstalter durchaus über die Anwesenheit jüngerer Alterskohorten
Die Tagline ist für "Huettenstadt" in etwa so passend, wie sie es für den auf der Ankündigung stehenden Titel war.
Ich weiß nicht, wie sie es gemacht hat, aber dieses Bild unserer Flickr-Kollegin Zickenines lässt den Zentralen Platz samt dem Haus der Parteien und Massenorganisationen in einer derart gelungenen Vefremdung erstrahlen, dass man meint, direkt ins Herz Utopias zu blicken. Mir jedenfalls gefällt es sehr!
Aus der realen Welt erreicht uns übrigens so eben diese Pressemeldung:
Eisenhüttenstadt. Eine Filiale der Supermarktkette Kaufland wird seit Montag in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) erpresst. Nach Informationen der Märkischen Oderzeitung drohte ein unbekannter Mann in einem Brief damit, Lebensmittel zu vergiften. Die Chefin der Filiale, Liane Winkler, bestätigte gestern einen derartigen Fall. Weitere Informationen lehnte sie mit Verweis auf Ermittlungen der Kriminalpolizei ab. Experten der Polizei gehen davon aus, dass es sich bei dem Täter um einen Mann zwischen 15 und 20 Jahren handele, sagte der Sprecher des Polizeipräsidiums Frankfurt (Oder), Peter Salender.via Presseportal
Wer die aktuelle Ausgabe (März 2007) des traditionsreichen Unterhaltungsmagazins "Das Magazin" auf Seite 74 aufschlägt, findet eine von der Perspektive her klassische und vom Zustand des Baumbewuchses her aktuelle und insgesamt seitenfüllende Aufnahme der Magistrale von Eisenhüttenstadt. Auf der Seite 75 gibt es dazu ein zum Glück nicht ganz so groß geratenes Bild von Silvio und mir. Das hat darin seine Ursache, dass in der Rubrik Nachwuchs eine Art Homestory zum Eisenhüttenstadt-Blog Eingang ins Heft gefunden hat. Und neben ihm und mir wird Andi Leser auch ganz kurz erwähnt...
Kathrin Schrader hat einen sehr schönen Text aus unserem Treffen im letzten Herbst geformt. An manchen Stellen "mythologisiert" er zwar ein wenig (Silvio und ich haben uns nicht während des Stadtfests am Pfadfinder-Stand, sondern über das Internet verknüpft), und der eine oder andere Fakt (Ich bin nicht in Eisenhüttenstadt geboren, sondern nur aufgewachsen...) wurde vermutlich etwas unklar kommuniziert und manche Aussage wird kontextuell vielleicht etwas überspitzt wieder gegeben. Solches ist aber dem Reportagejournalismus nun mal eigen und wir machen es hier im Blog auch nicht in jedem Fall anders. Insofern kann ich weiterhin ruhig schlafen und freue mich, dass unsere sehr angenehmen Stadtwanderungen sowohl mit Kathrin Schrader wie auch mit dem Fotografen Sten Fischer zu einem ganz schönen Ergebnis führten.
(Schrader, Kathrin: Bloggen. Jobben. Beten. In: Das Magazin, März 2007. S. 74-77)
Beinah misnopotamisch: Der Kampf der gelben Schilder.
Noch zieht man keine Kuh auf die Gebäudedächer der Stadt, auf denen Birken und Gräser wurzeln. Aber man rüstet momentan in Eisenhüttenstadt schon buchstäblich auf zur Schildbürgerschaft, die laut Urtext ausgerechnet "hinter Utopia gelegen" ist. Passender ginge es nicht. Seit neulich wird nämlich in Fürstenberg zurückgeschildert und der externe Beobachter sieht dem Schlagabtausch - bislang noch - mit großem Amusement zu. Ausgangspunkt war die Außenmontage von Banntafeln an verwaisten Objekten durch die Stadtverwaltung, die damit darauf hinweisen möchte, dass sie die entsprechend gekennzeichneten Ruinen in Stadtbild nicht selbst zu verantworten hat (vgl. hier). Der Gegenschlag erfolgt nun durch die Bürgervereinigung "Fürstenberg (Oder)". Sie schildert Objekte aus, die im Auftrag der Stadtverwaltung ihrer Meinung nach nicht oder nur mangelhaft erhalten werden. Andreas Wendt schildert heute in der Märkischen Oderzeitung die Gesamtlage: Mit dem Fingerzeig Richtung Stadt
"Wenn die Stadt solche Schilder aufstellt", sagt Erich Opitz [von den vereinten Fürstenberger Bürgern], "dann muss sie selbst fehlerfrei sein."
So naheliegend die Idee der Gegengeißelung städtischer Versäumnisse ist, so irritiert bis bauchgrimmig schaut man auf die Initiatoren, die schon ihrem berühmt-berüchtigten Abrissgebiets-Ansichtskartenaktion ihre Einstellung zu bestimmten Vorgängen ganz handlich vermittelten. Die Bürgervereinigung als politische Kraft der Stadt vertritt selbstredend eigene (politische) Interessen und der plakative Hinweis auf die mangelnde Sanierung des Fürstenberger Marktplatzes folgt der unsinnigen Motivation, die auch ihren "Gegenspieler" trieb und die sich in nicht allzu weiter Ferne eines boulevardesken Populismus befindet: Durch die öffentliche Bloßstellung soll hier ein bestimmtes Handeln (hier im Handeln ihrer Interessen) erzwungen werden:
Andere kleine Städte hätten ihre Märkte in all den Jahren längst zu Schmuckstücken verzaubert - in Fürstenberg stagniert es nach Ansicht der Bürgervereinigung.
Für die Qualität des politischen Diskurses in den politischen Gremien der Stadt, denen die Bügervereinigung auch angehört, wäre es nicht unbedingt förderlich, wenn dieses Beispiel Schule macht. Was ironisch gemeint ist, entwickelt sich zu einer Eigentorflut, die vor allem eines zur Folge haben könnte: Einen Stellungskrieg aus Versäumnisvorwürfen. Dass Stadtmanager Wolfgang Perske nicht verschnupft reagiert, sondern zum Gespräch lädt, ist hier die einzig sinnvolle Reaktion. Und wer meint, irgendetwas mit pauschalen Fehlerlesen und gegenseitigem öffentlichen Abstrafen tun zu müssen, kann zur Rückbesinnung auch mal wieder im Johannes-Evangelium blättern und nachlesen, was dort über Steinewerferei steht. So fragwürdig die Aktion der Stadt ist, so fragwürdig ist auch die Gegenschilderei der Bürgervereinigung. Natürlich amüsant zum Ansehen und Kopfschütteln, aber am Ende doch nicht mehr als leicht bittere Realsatire.
Der weltberühmte so genannte Zuckerbäckerstil wird immer wieder schnell wie aus der Tortenspritze gedrückt als Kerncharakteristikum des sozialistischen Klassizismus (bzw. auch der Nationalen Bautradition der DDR) von so ziemlich jedem angeführt, der sich irgendwie in der Architekturgeschichte der DDR ein wenig auszukennen glaubt. So auch von mir.
Allerdings ist das, was wir in Eisenhüttenstadt an architektonischer Confiserie vorfinden, nur selten champagnertrüffeln und häufiger eher solider Butterkeks. Ein paar Ausnahmen gibt es schon, allen voran das schöne Theater, aber so etwas ausufernd Zuckeriges wie beispielsweise das Moskauer Peking Hotel ist hier in der Stadt des Eisenhüttenkombinates leider nur auf dem Papier entstanden.
Und eigentlich sieht Zuckbäckerarchitektur sowieso ganz anders aus, wie folgende Abbildung beweist:
Wie auch immer - was man deutlich sieht, ist die Bestätigung der alten Alltagsregel: Adler verpflichtet. Doppelter vermutlich doppelt.
In diesem Sinne ist dieser Beitrag als ein virtueller Ansichtskartengruß zu sehen. Ich grüße sehr und verbleible mit der alten Schwedenhymne: The Wiener takes it all.
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