Einträge für November 2007
P.S. Diese aktuelle Meldung in der Märkischen Oderzeitung vom Montag gilt manchen irgendwie als alter Hut bzw. - je nach Geschmack - als "olle Kamelle".
(Und dieser Hinweis war mangels spezifischer kultureller Kompetenz (vermutlich) auch unser einziger Beitrag zur Eisenhüttenstädter Karnevalsaison 2007/2008.)
Entscheiden sich die Kreistagsabgeordneten für die Gesamtschule, würde das das Aus für das berufliche Gymnasium am OSZ Gottfried Wilhelm Leibniz bedeuten. Das möchte Günter Luhn, Fraktionsvorsitzender der Kreis-CDU, keinesfalls. Er favorisierte bereits im Bildungsausschuss das OSZ, durfte aber aus "Befangenheit" nicht abstimmen, weil er im Oberstufenzentrum arbeitet. Nun hat Michael Buhrke, Rechtsamtsleiter im Kreis, entschieden, dass Luhn nicht "befangen" war. Er sei nicht unmittelbar betroffen, da er in einem anderen Bereich des OSZ tätig ist. (MOZ)Man kann sich's natürlich auch hinbiegen. Allerdings würde der Beobachter aus der Ferne womöglich annehmen, dass Günter Luhn aufgrund seiner offensichtlichen Interessen soviel Anstand besitzt, seine gegebene Vorteilsstellung nicht derart zu nutzen. Denn zur entsprechenden Ausschusssitzung hieß es:
Er war stellvertretend für einen Partei-Kollegen im Ausschuss und hätte die Vorlage abgelehnt, bestätigte er Donnerstag. "Das OSZ bietet mehr Möglichkeiten", begründete er. Da könne man dann ein berufsorientiertes, technisches und allgemeinbildendes Abitur ablegen.
Allerdings ist schon das Ausspielen der beiden Schultypen gegeneinander eine Schurkerei und wirft erneut einen ziemlich düsteren Schatten auf die Bildungspolitik im Land Brandenburg, die kurzsichtig funktionierende Strukturen demontiert. So zwingt der Landkreis die Schulen in eine unglückliche Konfrontation und hat es beim Durchbügeln seiner Interessen umso leichter.
Eigentlich kommt es hier zum Zusammenprall von und zur Entscheidung
über zwei divergierende Bildungsvorstellungen: Auf der einen Seite die
technisch-ökonomisch orientierte, die vor allem eines will:
Gerade, weil die Industrie nach Ingenieuren und hochspezialisierten Fachleuten ruft, scheint mir zum Beispiel die Kopplung Beruf und Abitur eine sehr gute, Fachabitur und Ähnliches ebenso anstrebenswert, wie das ganz allgemeine Abitur. Spezialisierungen und Ausprägung spezifischer fachlicher Voraussetzungen, gerade für angehende Ingenieure und Diplom-Ingenieure ist in meinen Augen der entscheidende Vorteil bei den Möglichkeiten am OSZ. (Jörg Hanisch in seinem Oder-Neiße-Journal)Auf der anderen Seite steht ein primär gesellschaftlich ausgerichtetes Verständnis, das den Menschen bilden und gerade nicht nur ausbilden möchte und die Welt nicht vorrangig durch die Brille des Arbeitsmarktes sieht. Gerade weil es solch ein Denken in dieser Region Deutschlands eher gering ausgeprägt scheint, sollte man hier fördern und nachholen.
Für die Stadtgesellschaft Eisenhüttenstadts scheint der integrierende und auf die lokalen Realitäten von allen Schultypen am besten angepasste Ansatz der Gesamtschule jedenfalls der geeignetere. Eine Milieuspaltung, wie sie beim Gymnasium häufig der Fall ist, aufzuheben, ist bekanntlich das Ziel des Schultyps Gesamtschule und in einer traditionellen Arbeiterstadt bietet sich ein solcher Schultyp mit höherer Durchlässigkeit wie von selbst an. Da geht es nicht um "mehr Möglichkeiten", sondern um einen demokratisch-gesellschaftlichen Auftrag und damit auch um die Stabilisierung der Stadtgesellschaft. Durch seine Spezialisierung stellt das berufsorientierte OSZ dagegen in dieser Hinsicht eher eine Verengung dar.
Mehr auch in der gestrigen Ausgabe der Märkischen Oderzeitung: Schülerprotest wird lauter
"Bei der sozialen Auslese durch das Schulsystem bildet Deutschland das unrühmliche Schlusslicht. Die Hälfte der Kinder aus der Oberschicht geht aufs Gymnasium, die aus Arbeiterfamilien zu einem Zehntel."(Grözinger, Gerd; Maschke, Michael; Offe, Claus: Die Teilhabegesellschaft. Modell eines neuen Wohlfahrtsstaates. Frankfurt/Main: Campus, 2007. S. 110)
Auf einer Lesung in der schönen Pankower Buchhandlung bei Saavedra sprach der Schriftsteller Jens Sparschuh am Dienstag abend von einer "Chronistenpflicht". Und auch gerade weil wir nicht Schriftstellern sondern Stadtbloggen nimmt uns diese Pflicht in die Pflicht. Mit der Schriftstellerei verbindet uns obendrein das halbwegs freie Arrangement: es geht nicht um die lückenlose, systematische Erfassung der Geschehnisse in geordneter Reihenfolge, sondern eigentlich um das Notieren dessen, was uns so zwischendurch auffällt.
Gerade fiel uns beim Transport der Fotoordner in unserem Bildarchiv eine Aufnahme auf und aus dem Rahmen, die irgendwann im November 2003 im VII. Wohnkomplex Süd entstand und die Frühphase der staatlich geförderten Marktbereinigung - sofern man bei dem Duopol der hiesigen Wohnungsbaugesellschaften überhaupt von einem Markt sprechen kann - von den Wohnungsüberhängen in Eisenhüttenstadt dokumentiert :
Stadtumbau und Call Center - zwei Themen am Mittwochabend
Grundsätzlich sei dazu noch einmal gesagt, wir waren uns von Anfang an zum Stadtumbau darüber einig, dass die Relation zwischen Abriss und Aufwertung sich in den Jahren verschieben wird und muss. Anfänglich stand der Abriss sehr stark im Vordergrund – was dem Umstand geschuldet war, dass eine Vielzahl von Objekten bereits leer stand und dem Stadtbild nicht zuträglich war. Auch galt es, mit dem Abriss vermehrt der wirtschaftlichen Situation in den beiden großen Wohnungsunternehmen Rechnung zu tragen. Auch leer stehende Objekte kosten Geld und müssen bewirtschaftet werden.
Obschon davon auszugehen, dass jeder an der Stadtentwicklung Eisenhüttenstadts Interessierte das Interview mit Stadtmanager Wolfgang Perske im aktuellen Stadtspiegel bereits gelesen ist, sei hier für's Archiv noch einmal darauf hingewiesen: Bauen in Eisenhüttenstadt.
Ansonsten gibt's unsererseits heute wenig zu melden, außer vielleicht, dass der Wirtschaftsaufschwung Eisenhüttenstadt packt, wie sonst fast keine andere Stadt im Lande Brandenburg. Denn nun drängt auch noch mit d+s europa AG einer der einer "der führenden Lösungsanbieter für integriertes und wertorientiertes E-Commerce- und Kunden-Kontakt-Management" nach Eisenhüttenstadt und plant - womöglich - ein Call Center mit 400 Dauerarbeitsplätzen. Die Märkische Oderzeitung hat heute ein Interview mit Markus Frengel, Bereichsvorstand Kundenservice, im Programm: "Wir schaffen seriöse Dauerarbeitsplätze".
Als Bild zum Tag liefern wir einen kleinen aktuellen Eindruck aus dem - wie es offiziell heißt - "1. Bauabschnitt der Komplexsanierung Denkmalbereich Innenstadt":
[…]durch Gesetze ist eine Einheit wesentlich. (Rudolf Carnap, völlig aus dem Zusammenhang gerissen)
Es war also im November 1961 Chico Marx war gerade einen Monat tot und Karl Marx bereits 78 Jahre, aber beide lebten, der eine mit seinem Pistolen-Piano-Spiel und der andere in Form einer ganz spezifischen Auslegung seiner Schriften, in den Köpfen der Menschen fort, als in der Stalinstadt das geschah, was man in Wien schon sechs Jahre zuvor tat: Stalins Name verschwand.
Erinnerte dort der Stalinplatz bald wieder statt an den grusinischen Generalissimo an den Generalfeldmarschall Schwarzenberg, viel hier alsbald jeder Personenkult hinten herunter und ein Name wie aus einem Schwermetallguss huldigte dem Industriefortschritt: Eisenhüttenstadt führte die Planstadt des neuen, sozialistischen Menschen, das Braunkohledorf Schönfließ und das kiezige Ackerbürgerstädtchen Fürstenberg/Oder zu einer ganz eigenen, geografisch aber folgerichtigen Melange zusammen. Ob das, was hier zusammen- nicht -wuchs, sondern gelegt wurde, auch zusammengehörte, ist bis heute umstritten. Aber die Partei hatte bekanntlich noch immer recht und das Recht und die Entscheidungsposition, aus der heraus man den Stalins Namen über Nacht aus dem öffentlichen Leben nehmen konnte.
Und die Parteien der Bruderländer taten es gleich. Die Polen und Bulgaren waren etwas schneller und entledigten sich des Ballastes eines solch schwierigen Namens bereits 1956 (Stalinogród wurde Kattowice und Stalin Varna), die Albaner etwas langsamer (1990 wurde aus Qyteti Stalin Kuçovë). Blogkollege Andi Leser hat einmal alle ihm bekannten Stalinstädte dieser Welt in einer Liste zusammengestellt.
Nun fragt man sich heute verständlicherweise, ob denn die Trauer über den Namensverlust bei den Stalinstädtern nicht sehr groß war. Das Ergebnis eines Oral-History-Projektes des Historikers Lutz Niethammer, der einst von einem "byzantinischen Zynismus, die größte Vertriebenenstadt der DDR auch noch nach Stalins Tod auf dessen Namen zu taufen" sprach, weist in eine andere Richtung:
"Den meisten Erbauern der Stadt war der Name "scheißegal", wenn sie dort nur Wohnungen bekamen." (zitiert nach Elke Scherstjanoi: Die Folgen von Stalins Tod für die DDR. In: Zarusky, Jürgen (Hg.) (2006): Stalin und die Deutschen. Neue Beiträge der Forschung. München: Oldenbourg (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Sondernummer). S. 207-216, hier: S. 214)
Daher dürften sich das Entsetzen und die Depression im Herbst 1961 halbwegs in Grenzen gehalten haben, zumal stalinistische Nostalgie auch bzw. gerade in höheren Parteikreisen zu diesem Zeitpunkt sicher nicht das beste Gebot der Stunde war.
Wir, die Nachgeborenen, erinnern an all das mit einem Bild, dass gleich an zwei dahingeschiedene Eigenheiten der ersten sozialistischen Stadt auf deutschem Boden erinnert: der Name, dessen Klang westdeutscher Besucher schon auf der Landkarte acht Jahre lang hat erzittern lassen und die Wurst- und Fleischwarenproduktion, die weit später interessanterweise unter dem Namen "Fürstenberger Fleischwaren" ihr marktwirtschaftliches Heil suchte. Zur Knacker gab es dann eine Eisenhüttenstädter Schrippe aus dem nebengelegenen und ebenfalls vergangenen Backwarenkombinat...
Im Schweinsgalopp zum Sozialismus und zwar bis die Schwarte kracht. In direkter Konkurrenz zum Entwurf Johannes Hanskys konnte sich der Mittelkreis als Stadtwappen allerdings nicht durchsetzen.
P.S. Was den Titel angeht, werden alle Experten auf dem Gebiet der neuen und neuesten tadschikische Geschichte sofort wissen, wie der Hase läuft, hieß doch die Hauptstadt der ehemaligen Tadschikischen SSR bis eben 1961 Stalinabad. Der heutige Namen bedeutet übrigens Montag und wer sich das merkt, kann schon ein Wort persisch. Weihnachten heißt dagegen krismas und wird so كرسمس geschrieben.
Ich stelle fest, dass durch den Rückbau von stadtnahen Wohngebieten ganz neue Möglichkeiten hier entstehen. So sitze ich hier quasi mitten in der Stadt in einem Flächenmall von gewaltigen Ausmaßen. Und dieses “Citycenter” ist genau an der Hauptstraße der “Innenstadt” gelegen. Da Eisenhüttenstadt nur etwa 35.000 Einwohner hat, erscheint mir das hier etwas groß. Aber es scheint zu funktionieren. Nur zwei Geschäftsnischen stehen leer und es ist eine wirklich hohe Frequentierung zu erkennen. Ich frage mich allerdings wie das der eigentlichen Innenstadt damit geht.
Wir uns irgendwie auch, obwohl wir natürlich wissen, dass der Einzelhandel in der Magistrale (die "eigentliche Innenstadt") durch die Center-Kultur nachhaltig Schaden genommen hat.
Die Fachschaft des Fachbereichs "Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung" der Universität Kassel, vertreten durch Janne, erkennt es so ähnlich in ihrem Reisebericht von einer "Exkursion mit anschließender Feier" nach Eisenhüttenstadt:
Und je später, je stärker ging es hin zu billig und zu Fertigteilen.Die Shopping Mall, die sich als neues Zentrum gerierte, kam übrigens mächtig spät. Und dennoch scheint's zu funktionieren...
Kommentare