Pressespiegel
Wenn alle an einem Strang ziehen, reißt dieser vielleicht leichter. Vielleicht geht aber auch ein Ruck artig durch Eisenhüttenstadt und die Stadt hier bewegt sich. Erst neulich, als wir flanierend durch die nach wie vor weihnachtlich ausgeleuchtete Magistrale flanierten und uns unseren Erinnerungen hingaben, als gäbe es unter all den Leidenschaften dieser Welt keine schönere, warf Andi Leser ein Kindheitsbild in den Raum, das besagte, dass man hier dereinst nur unter großer Gefährdung quer Beet, also einfach so ohne zu schauen, über die Straße eilen konnte.
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Alexander Fromm Death Valley: Eine Diplomarbeit in der MOZ
Andi Leser wirft heute in seinem Logbuch Eisenhüttenstadt noch einmal die Mutter aller Eisenhüttenstadt-Fragen in die diskursive Waagschale. Und der Zeitpunkt könnte nicht besser sein, bespricht doch "gf" im Oder-Spree-Journal der Märkischen Oderzeitung ebenfalls heute als halbseitenfüllenden Aufmacher die Diplomarbeit, die Andi Leser unter seinem bürgerlichen Zweitnamen Alexander Fromm vor einiger Zeit an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina einreichte. leider nicht publizierte und auch seinen besten Freunden nicht zum Lesen gibt.
Ganz klar: Eisenhüttenstadt hat eine Identitätskrise, was fehlt sind Visionen jenseits der materialistischen Konsumwelt. Sozialismus und Volkseigentum sind nicht mehr, doch was tritt nun an ihre Stelle?
Der Journalist/die Journalistin der Märkischen Oderzeitung fand dagegen Zugang und gibt den Hinweis, dass der Text im Stadtarchiv Eisenhüttenstadt einsehbar ist. Da sich aber vermutlich nicht jeder Leser der MOZ auf den Weg dorthin machen wird, fasst "gf" den Inhalt gleich noch einmal zusammen. Und darin liegt die versäumte Chance und - da dies kein Einzelfall ist - der Grund, warum ich der Zeitung so wenig abgewinnen kann: Anstatt den Diplom-Text als Auslöser zu nehmen und im Rahmen größeren Entwicklungszusammenhangs eingebettet, die oben genannten Gretchenfrage zu diskutieren, wird hier bieder im Stile eines Schulaufsatzes mit einem Wust von Formulierungen a la "beleuchtet Alexander Fromm", "Fromm erwähnt", "heißt es in der Arbeit", "Fromm schlußfolgert", "wie der junge Kulturwissenschaftler feststellt", "nennt Alexander Fromm" usw. usf. wirklich jeder Satz derart an der gelesenen Diplomarbeit festgenagelt, dass man den Eindruck gewinnt, "gf" ginge es vorrangig darum, soviel Distanz als möglich zu wahren und jede Form des Einfließens einer eigenen Position zum Text oder gar zum Thema zu vermeiden.
Natürlich kann man es dem Blatt durchaus hoch anrechnen, die Diplomarbeit überhaupt derart ausführlich mit einem großen und sehr passenden Foto, allerdings mit falscher Bildunterschrift, denn ein Wohnhaus war das gezeigte Abrissobjekt nie, ausgestattet, zu behandeln. Die Mutlosigkeit, mit der das geschah, führte am Ende allerdings leider dazu, dass der Artikel tüchtig in die Binsen ging und man als interessierter Leser unter der viel versprechenden Überschrift "Auf der Suche nach einer neuen Identität" leider nur mit diesem (grammatikalisch abenteuerlichen) Fazit allein gelassen wird:
"Die Diplomarbeit besitzt ihren Wert vor allem durch ihre Bestandsaufnahme von Eisenhüttenstadt. Sie kann anderen, die sich mit der besonderen Geschichte der Stadt und ihrer Zukunft beschäftigen, als Quelle dienen."Herzlichen Dank "gf". Den ganzen Artikel gibt es bei MOZ-online: Auf der Suche nach einer neuen Identität
Und es gibt, einmal abgesehen vom Stadtfest, nur wenige Anlässe, an denen sich die sonst oft menschenarme Lindenallee heute noch so wunderbar mit Menschen füllt. Dies ist umso höher zu schätzen, da es am 24.Dezember gemeinhin immer noch ganz anders durch die Magistrale wettert ("plus fünf Grad und Dunkelheit sind sicher nicht ideal, um jemanden vor die Tür zu locken"), als bei der üblichen sommerlich-sorgenfreien August-Verlustigung, die am Ende die Eisenhüttenstädter in einer Vollzähligkeit am Friedrich-Wolf-Theater vorbeiflanieren lässt, welche selbst in längst vergangenen Zeiten nur durch die Mai-Demonstration erreicht wurde.
Von diesem Publikumszuspruch sind die Turmbläser natürlich weit entfernt, aber 400 Zuhörer kamen wohl zusammen, wie "jp" im Oder-Spree-Journal der Märkischen Oderzeitung berichtet.
Und die, so die Überschrift des Artikels "sparten nicht mit Beifall". Und vergaßen, so Helga Boehm, ihren Kummer und ihre Sorgen und zogen fröhlicher Stimmung davon in die mollig warmen Weihnachtsstuben:
"Keine Klagen bezüglich Arbeitslosigkeit oder Krankheit seien zu hören gewesen. Es habe Fröhlichkeit auf Eisenhüttenstadts Straßen geherrscht, die Menschen hätten Optimismus versprüht."
Der Weihnachtsgeist versöhnt anscheinend nach wie vor und zeigt, dass auch in der nach Plan als Stadt und Jugend ohne Gott konzipierten Gemeinschaft, ein Bedürfnis nach religiösen Sammelpunkten geblieben ist, welches bedient werden will.
Man wünschte sich, der daraus resultierende Optimismus hielte sich so hartnäckig, wie es die Turmblastradition tut, die ja eigentlich nur
mangels Kirchturm in der Stadt vom Punkthochhaus heruntertönt. Und man wünschte nebenbei dem Bürgermeister Rainer Werner einen besseren PR-Berater:
"Bürgermeister Rainer Werner spendierte eine Flasche Wilthener Goldkrone und Glühwein"...
Manchmal wäre es möglicherweise besser, nicht unbedingt überall um jeden Preis in der Presse zu erscheinen.
Alle weiteren Informationen hat die Märkische Oderzeitung: Gäste sparten nicht mit Beifall.
"Meine Schwester heißt Polyester / Die lutscht nun schon bald neun Jahre / Immer denselben gelben Plastikbonbon / das ist eben Spitzenware"
Wer erinnert sich nicht an dieses wunderbare - nun ja - Henri Mancini-Cover von Evelyn Hamann (als Margarethe Tietze) in Loriots genialem Wurf "Ödipussi", der insofern auch deutsch-deutsche Geschichte schrieb, als dass er als erster Film im März 1988 in beiden deutschen Staaten zeitgleich anlief?
Und die zwar nicht in schwesterlicher Verwandschaft aber immerhin räumlich mit einer Zweigstelle in Nachbarschaft zum großen EKO platzierte Firma ALBA-Recycling steht anscheinend auch für Spitzenware, denn wie meine Samstagmorgenlektüre Plastic and Rubber Weekly aktuell vermeldet, schließen sich der blaue Basketballsponsor ALBA und der Marktführer im Bereich Kunststoff-Folien Klöckner Pentaplast zusammen, um für 5 Mio. Euro eine PET-Flaschenrecyclingfabrik unter dem Namen Pet-Co in Eisenhüttenstadt zu errichten. Da wir als eingefleischte Kybernetiker Kreisläufe lieben, erfüllt uns diese Nachricht mit Stolz und Freude und da Recycling in einer Welt der schrumpfenden natürlichen Rohstoffvorkommen an Bedeutung gewinnen dürfte, setzt man hier vermutlich sogar auf das richtige Pferd. Nebenbei enstehen um die 30 neue Arbeitsplätze, die tatsächlich nachhaltiger sein sollten, als die Gelegenheitsjobs an den Discounter-Kassen, die man hierzulande gemeinhin als Beschäftigungserfolge zu verkaufen versucht.
Ein netter Nebeneffekt ist, dass man mit solch einer Fabrik zur Not das momentan leider nicht für Skirennen nutzbare Eisenhüttenstädter Wintersportparadies mit PET-Flocken beschießen könnte. Die Alpinski würden dann auch angesichts der aktuell deutlich spürbaren globalen Erderwärmung ihren Weg aus den Kellergeschoßen der Wohnkomplexe ihren Anwendung die Hanglangen westlich der Stahlstadt finden und einer schwungvollen Abfahrt stände nichts mehr im Wege (außer der Zaun beim Krankenhaus natürlich...) .
Der rattenscharfen Presselandschaft möchte man heute die Hamel(n)-Beine lang ziehen, so prominent ist das Rattenthema. Ausnahmsweise verlassen die Ratten nicht das sinkende Schiff und auch nicht die schrumpfende Stadt, sondern die "sanierte Platte" (Tagesspiegel). Nager- statt Magerkost heißt die Devise für die Ostdeutschlandratte und warnend folgt der Hinweis, dass die in der ewigen Rangliste der Evolution noch vor dem Menschen anpassungsfähigsten Säugetiere als Abwasserratten sogar entgegen der (auch wörtlichen) Bedeutung das Fallrohr erklimmen und die nicht selten als Müllschluckern mitgenutzten Toilettenschüsseln als Fleischtöpfe ansehen. Ist der Deckel dann gehoben, ist das possierliche Tierchen auch schnell im Raum wo Milch und Honig fließen und die Panik der liederlichen Hausfrau entsprechend groß. Die Gefahr ist selbstverständlich immer latent gegeben, wird jetzt aber akut, da der Stadtumbau auch unsere pelzigen Mitbewohner betrifft: Aufgeschreckt von Bohrhämmern und schweren Gas-Wasser-Installateur-Stiefeln wird die quasi mitsanierte Ratte mobiler, als es sogar ihr persönlich lieb sein dürfte. Sie verlässt ihr Rattenloch und so werden bislang unbetroffene Haushalte in gewisser Weise geadelt, greift man auf die Namenstradition deren von Rattenzuhausbeiuns - die Gritta müsste eigentlich jeder aus den Geburtsjahrgängen bis ca. 1980 kennen - zurück.
Und wer weiß, vielleicht bekommen die Mall Rats des City Centers bald knopfäugige Konkurrenz. Oder steckt dahinter eine Warnung im Sinne der "Rättin" von Günther Grass' "über die Sache wachsen lassen"? Grete Rike wurde zwar noch nicht gesehen, aber alle U2 Fans freuen sich über Rattle and Ham auch in der Stahlstadt, jedenfalls bis bis zur letzten Rattion alles rattzekahl gefressen ist und man bestenfalls noch Rattatouille auftreiben kann. Und auch die Botschaft des Rapgroßmeisters Paris erscheint in einem neuen Licht: Sleeping with the enemy, d.h. ist die Katze im Flur, freut sich die Ratte unterm Bett. Merkt der Mensch das, heißt es "rattatat-tat from my gat, swing swing swing with my baseball bat"... Den Kalauer mit dem Ratthaus schenke ich mir aber, auch den Witz mit der vietnamesischen Grillküche: "Gute Ratt ist teuer..." Aber zu erwähnen ist, dass Fachleute gerade in Eisenhüttenstadt von einer besonders großen Arbeitslosenratte ausgehen, die nicht zu ignorieren sei. Zudem käme da noch ein ganzer langer Rattenschwanz nach. Andere meinen, Angst sei in diesem Fall(rohr) ein schlechter Beratter und die von Presse geschürte Panik irrattional...
Und dann ist auch noch zu klären, warum ich - und nur ich - mich kompetent an dieser Stelle zu diesem Thema äußern darf. Warum? Dreimal darfst du Ratten.
Stadtwappenpflege - in der Diskussion
Das vielleicht großartigste Werk der Eisenhüttenstadt-Ikonographie ist aktuell in die Diskussion und damit auch in die Berichterstattung heute in der Märkischen Oderzeitung geraten: das in seiner Art außergewöhnliche Stadtwappen von Johannes Hansky. Richtig kontrovers ist die Debatte allerdings nicht, denn erfreulicherweise sprechen sich alle Beteiligten für die offizielle Verwendung des Hochhofen, Hochaus, Fluß und Friedenstaube führenden Schildes aus. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, schimmern doch in unserem Wappengold deutlich die ästhetischen Vorstellungen aus einem Land vor unserer Zeit durch. Das der gern nach 1990 bis heute (Stichwort: Palastabriss) gefeierte Ikonoklasmus diese kleine graphische Kostbarkeit übrig ließ, ist schon hervorzuheben. Letztlich kann man auch Ines Arnemann danken, deren Jubiläumswappen graphisch soviel hermacht, wie das City Center architektonisch und daher als Identifikationssysmbol völlig ungeeignet ausfiel.
Insofern ist es mehr als schade, dass das Arnemannsche "e" auf der Stadtwebseite als verpixelte Gif-Datei (und als Favicon in der Browserleiste) prominent prankt, so dass auswärtige Besucher tatsächlich annehmen könnten, diese Stadt hätten sich ein solch aussagearmes Signet auf die Fahne gebügelt. In diesem Fall muss man der manchmal vielleicht etwas zu sehr mit dem Herzen engagierten Mechthild Tschierschky beipflichten und Bürgermeister Rainer Werner sowie seinen Stadtverordnetenkollegen Rudi Schmidt fragen, warum man den Hinweis auf das Hansky-Wappen im Webauftritt der Stadt weitgehend versteckt. Dass es keine Verwendung auf den Stadtfestplakaten findet ist dagegen sehr lobenswert. Hier hat das "e" tatsächlich den passenden Anwendungsrahmen...
Nicht zuzustimmen ist der Aussage von Rudi Schmidt, dass es "weitaus wichtigere Sachen für die Stadt" gäbe: Der Kerndefekt in Eisenhüttenstadt - wie es auch in mindestens zwei Studien recht eindeutig untermauert wird - ist eine mangelnde Identifikation der Stadtbewohner mit ihrer Stadt und ein umfassender Rückzug in das Private.
Das kann man sicher auch als Stadtverordnetenversammlung so hinnehmen, man muss sich dann allerdings auch von dem Paradigma verabschieden, dass eine funktionierende Stadt ein funktionierendes Gemeinswesen voraussetzt. Ich habe weder Zeit noch Lust es konkret auszurechnen, aber ich hege die Vermutung, dass eine dysfunktionale Stadtgesellschaft im Endeffekt teurer und ineffizienter ist, als eine forcierte Investition in Gemein(schafts)sinn und Werte.
Das Stadtfest als, zugegeben in seinen Ansprüchen bisher erfolgreiches, Spektakel kann ein Baustein bei der Bildung eines Selbstverständnis' der Eisenhüttenstädter sein, erfüllt jedoch in seinem vorwiegend auf Konsum und Ereignis ausgelegten Kern letzlich hauptsächlich wieder Ansprüche der privaten Bedürfnisbefriedigung. Zudem muss man sich auch klar machen, dass der Erfolg der Veranstaltung überwiegend auf den anreisenden Stadtflüchtern und anderen Auswärtigen, die mal tüchtig einen drauf machen wollen, basiert. Das Image nach innen, welches mir desolater zu sein scheint als die Außenwirkung, kann man mit dieser Art von Veranstaltung aber kaum nachhaltig aufpolieren. Denn die Krise des Öffentlichen in der Stadt betrifft weniger die mehr oder minder erfolgreichen Kinder der Stadt aus aller Welt, die jeden August drei Tage Nostalgie leben und staunen, wieviel schon wieder verschwunden ist, sondern sie wirkt vor allem auf die Psyche derer, die sich ganzjährig mit Rückbau, Schließung und dem Mangel an Perspektive konfrontiert sehen.
Entsprechend wünschte man sich von Dagmar Püschel, selbst wenn klar ist, dass man sich in einer Kleinstadt wie Eisenhüttenstadt in der Lokalpolitik nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte, weil vieles als persönlich gewertet, nichts vergessen und alles nachgetragen wird, doch eine bestimmtere, mehr Rückgrat aufweisende Aussage als ein schwammiges "Wir sind schon dafür dass das Stadtwappen gut gepflegt wird."
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