Wenn alle an einem Strang ziehen, reißt dieser vielleicht leichter. Vielleicht geht aber auch ein Ruck artig durch Eisenhüttenstadt und die Stadt hier bewegt sich. Erst neulich, als wir flanierend durch die nach wie vor weihnachtlich ausgeleuchtete Magistrale flanierten und uns unseren Erinnerungen hingaben, als gäbe es unter all den Leidenschaften dieser Welt keine schönere, warf Andi Leser ein Kindheitsbild in den Raum, das besagte, dass man hier dereinst nur unter großer Gefährdung quer Beet, also einfach so ohne zu schauen, über die Straße eilen konnte.
Heute ist die Lindenallee, nicht zuletzt aufgrund der Erdpflügearbeiten auf der Linie der Verkehrshauptschlagader Eisenhüttenstadts - der Straße der Republik - eine Art Fußgängerzone.
Und das ist auch schon eine gute Form von Bewegung: 3000 Schritte zusätzlich pro Tag ist Kampagnenziel des Bundesgesundheitsministeriums und nach der Feiertagsvöllerei für viele auch ein notwendiges persönliches. Schöner wäre es allerdings, wenn man auch ein paar nette Anlaufpunkte hätte, zu denen es sich zu laufen lohnte. Das Bürgerbüro im Rathaus ist es jedenfalls heute nicht gewesen. Inspiriert durch die Heimatkalendersammlung in der Stadtbibliothek liefen wir nämlich erwartungsvoll durchs Republikstraßenhügelland, um im Rathaus nach zu fragen, ob es noch welche aus der grauen Vorzeit gäbe. Es gibt sie nicht mehr, gar nicht mehr und wir verkaufen nichts und ich bin ohnehin nur die Vertretung... Dass in der Vitrine vor der Tür noch einige Exemplare ausgestellt sind, was den Fragenden mitunter irritiert und die Frage gar nicht so abwegig macht, wie sie der formell bürgernahen Mitarbeiterin der Stadtverwaltung anscheinend erschien, spielte hier keine Rolle. Der interessierte Gast der Stadt wurde nur recht konsequent und leider gar nicht bürgernah erfolgreich in die Flucht geschlagen und zwar sogar zweimal, denn die Frage nach der Erhältlichkeit einer ebenfalls kartonweise ausliegenden Broschüre, allerdings hinter Glas, wurde beinahe wortgleich und nur etwas entschiedener unwirsch abgeschmettert.
Eine Nachfrage im Buchhaus Jachning, in dem der an der Stadt und ihrer jüngeren Vergangenheit Interessierte nicht unbedingt viel kompetenter aber ungleich freundlicher Auskunft erhält, ergab, dass man hinsichtlich der Regionalia aus der DDR-Zeit den Markt auch in Eisenhüttenstadt erfolgreich zu bereinigen verstand. In Werner Mittenzweis Abhandlung zur Geschichte der ostdeutschen Intellektuellen findet sich die passende Erklärung:
"In den Ostländern sahen sich die Betriebe und der Handel genötigt, "Altlasten" als Ballast abzuwerfen, ganz gleich in welcher Weise und wohin. Es mußte Platz für die Waren aus dem Westen geschaffen werden. Daran beteiligten sich fast alle Institutionen, die nach dem Währungsumtausch unter wirtschaftlichen Druck gerieten. Nicht nur Bibliotheken und Buchläden warfen ihre Altbestände förmlich auf die Straße. Buchhandlungen offerierten nunmehr in ihren Regalen Bücher über das Steuerrecht, Reisführer, Konsalik, Rosamunde Pilcher und Memoiren aller Schattierungen." (Mittenzwei, Werner: Die Intellektuellen. Berlin: Aufbau, 2003. S. 443)
Die Begründung der wirtschaftlichen Notwendigkeit hört man auch heute noch von der Buchhändlerin und sie hat sicher recht. Und wenn sie betont, dass sie auch 2001 froh, die wissenschaftliche Abhandlungen zu Eisenhüttenstadt von Ruth May endlich wieder aus dem Regal zu haben, dann sieht man auch, wie sehr die Leseklientel mit einem Interesse jenseits der Unterhaltung und vielleicht dem direkten praktischen Ratgeberdenken in der (ehemaligen) Arbeiterstadt fehlt. Da es auch kein (Fach)Antiquariat gibt, was in meinen Augen angesichts der Chance der Vermarktung der Vergangenheit als ein in der Umsetzung einzigartiges sozialistisches Stadtkonzept, zu dem der Aspekt "Leseland DDR" unbedingt gehört, ein grundsätzliches Desiderat darstellt, wurde in dieser Form nichts von dem Aussonderungsmaterial der Buchhandelslager abgefangen abgefangen. Das Buchhaus Jachning ist nun mal keine arl-Marx-Buchhandlung nahe der Weberwiese und wollte es wahrscheinlich auch nie sein. Insofern erscheint es nur natürlich, dass es der Buchhändlerin nur natürlich erscheint, dass all die DDR-Relikte schnell und reibungslos 1990 auf drei LKWs geladen im Hochofen verschwanden.
Wer sich also mit den in den Heimatkalendern z.T. recht gut und oft auch nur dort dargestellten Aspekten der Eisenhüttenstädter Stadtgeschichte befassen möchte, muss nun - falls er nicht persönlich schon vor 1990 gesammelt hat - auf die Stadtbibliothek ausweichen, in der man mit einer mitunter eher robusten Form von Herzlichkeit empfangen wird. So sind sie halt die Ostbrandenburger: immer für einen grummeligen Blick zu haben.
In manchen Bereichen soll sich das aber ändern, meint Marina Marquardt von der CDU heute in der lokalpolitischen Rundumfragerunde zu dem, was die Parteien der Stadt im Jahr 2007 "zum Nutzen ihrer Einwohner bewegen, verändern und erreichen wollen". Für die Stadtparlamentarierin und Kreistagsabgeordnete der CDU geht es z.B. darum, "die Verwaltung noch dienstleistungsfreundlicher für die Bürger zu gestalten". Nach unserer zugegeben vielleicht nicht ganz ins Dienstleistungsschema F passenden Nachfrage im Bürgeramt am heutigen Nachmittag begrüßen wir solch einen Schritt ausdrücklich und pflichten entsprechend auch dem Republikaner Wilfried Steinberg bei, der fordert, dass "jeder in der Verwaltung doch nur mal versuchen [soll], seinen Spielraum im Sinne der Bürger auszuschöpfen." Und zum Beispiel einfach freundlich erläutern, warum die Publikationen, die uns interessieren, zwar in der Vitrine sichtbar ausliegen, aber nicht in Augenschein genommen werden dürfen.
Wenn die Lokalpolitiker so im Gleichklang argumentieren, wie heute im Oder-Spree-Journal der MOZ, weiß am Ende gar nicht mehr, wo man als Bürger seine eins, zwei oder drei (oder mehr) Kreuze machen soll. Zum Glück - sachte Cowboy, sachte - bleibt noch ein Jahr, um die Taten hinter den Worten zu beobachten.
"Manchmal hat es den Anschein, als ob es weniger auf die Sache ankommt, sondern eher persönliche Befindlichkeiten eine Rolle spielen" lautet die treffende Analyse Wilfried Steinbergs, die auch in außerstadtparlamentarischen Kontexten zum Teil erschreckende Gültigkeit erfährt. Die ganz großen Schritte im Bereich der städtischen Investitionen sind bekanntlich nicht zu erwarten, da das Füllhorn "Stadthaushalt" nicht übermäßig angefüllt ist. So liest man z.B. von Peter Müller (SPD) die Maßgaben, den Investitionsrahmen hinsichtlich der Wohnbebauung und der städtischen Infrastruktur "zu sichern". Die vier Pfeiler des sozialen Alltags jenseits des blanken Erwerbsdaseins, die da wären "Sport, Kultur, Jugend und Freizeit" sollen "weiter" genauso wie der "soziale Bereich", soweit es der Haushalt zulässt, unterstützt werden. Er verspricht im Namen seiner Partei etwa das, was für einen Stadtverordneten der Mindeststandard seines Handelns sein sollte: den Status Quo halten. Und immerhin möchte er persönlich "die Kontakte zu jenen intensivieren, denen die Entwicklung der Stadt am Herzen liegt und sie in die genannten Aktivitäten einbeziehen." Schreiben Sie uns, Herr Müller. Die Stadt liegt uns am Herzen, wie keine andere, und ein paar eigene Gedanken haben wir auch.
Dagmar Püschel von der Linkspartei/PDS sucht ebenfalls den Dialog mit den von der Lokalpolitik Hauptbetroffenen, d.h. den Bürgern
Eisenhüttenstadts, deren Mitwirkung, vorerst am Kommunalwahlprogramm 2008, für sie sehr wichtig ist. Gleiches gilt für den Erhalt des
Tiergeheges (Was wurde eigentlich aus dem Förderverein?), weswegen sie sich unserer Sympathien wenigstens in diesem Punkt gewiss sein kann.
Erich Opitz von der Bügervereinigung Fürstenberg möchte sehr gern das Stadtmarketing "bedeutend verbessern".
Ein passender erster Schritt wäre z.B., am Bahnhof nicht vordringlich die anscheinend aus großem Herzensfrust herausproduzierten
Abrissansichtskarten zu verkaufen bzw. wenigstens - durchaus machbare - Alternativansichten ins Programm zu nehmen. Ich versende zwar die Abrissdystopien gern und oft in alle Welt, aber da mittlerweile nicht wenig Besucher aus dem Grund anreisen wollen, sich einmal die vermeintlich desaströseste Stadtentwicklung in Ostdeutschland live anzusehen, sollte man vielleicht doch auch so langsam mit anderem Motiven als dem Niedergang "Marketing" betreiben. Wenn es an passenden mangeln sollte - das Eisenhüttenstadt-Blog-Fotoarchiv hat einige tausend Motivvorschläge auf Lager. Erich Opitz als Fürstenberger liegt außerdem "die Weiterführung der bisher schleppenden, schlechten und unkontrollierten Sanierung Fürstenbergs am Herzen."
Ich, als Fürstenberg-Sympathisant fände es eigentlich besser, wenn die Sanierung nicht wie bisher "schleppend, schlecht und unkontrolliert" weitergeführt würde, sondern forciert, gut und in den Einzelpunkten abgestimmt.
Sehr interessant erscheint mir, dass nach der Rechnung von Marina Marquardt die Mietbedingungen im so gesehenen Szenemotor der deutschen Jugendleitkultur, dem Prenzlauer Berg in Berlin, weitaus besser sind, als in der vergleichsweise hochtristen Wohnungsabrisskapitale Ostbrandenburgs. (vgl. zu diesem Thema unbedingt auch diesen Erfahrungsbericht).
Sie liegt sicher richtig, wenn sie die Gefahr eines Mangels an "jungen, leistungsfähigen Leuten vorhersagt." Allerdings dürfte der Gesichtspunkt der Mieten für junge, kreative, gestaltungswillige Menschen, sofern sie in einem Vollzeitarbeitsverhältnis stehen, am Ende eher sekundär sein.
Wichtiger ist ihnen, und nichts zeigt das besser als das Beispiel Prenzlauer Berg, dass das Umfeld stimmt, brummt und sprudelt. Was in Eisenhüttenstadt halbwegs passt, ist die infrastrukturelle Anbindung für die Kulturflucht (selten Cottbus, manchmal Frankfurt, im Zweifel Berlin). Was leider ganz und gar nicht bedient wird, ist das Bedürfnis nach Dynamik und einer Vielfalt an Wirkungs- und Rezeptionsmöglichkeiten.
Dass ein großer Teil der Erwachsenden fortgeht und nicht mehr umkehrt, weil die Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten in Eisenhüttenstadt rar gesäht sind, ist ein Aspekt.
Für die "mitreißenden Charaktere", die Christian Gesche in Johanna Ickerts Hüttenstadt-Film ganz zu Recht als Mangelware in Eisenhüttenstadt benennt, sind es aber mindestens im gleichen Umfang die kleinstädtische Starrheit und die fehlende Entfaltungs- und Interaktionsstrukturen, die alle Young Guns, die nicht nur Herz, sondern auch Verstand besitzen, sobald es ihnen möglich ist, die Stadt verlassen lässt.
In diesem Zusammenhang muss man sich also zunächst entscheiden, ob man solche durchaus die Beschaulichkeit der oderstädtischen Idylle mitunter irritierenden Geister überhaupt halten, an- oder wenigstens zeitweilig zurücklocken möchte. Und falls ja, wie man entsprechende Rahmenbedingungen schafft und die Stadt "dynamisiert".
Dazu zählt in aller erster Linie, den Einwohnern der Stadt zu vermitteln, dass eigenständiges und eigenverantwortliches Handeln einen Grundbestandteil einer funktionierenden Stadtgemeinschaft darstellen. Wer eine solche möchte, muss auch mitwirken.
Die geäußerten Kooperationsangebote der interviewten Lokalpolitiker zeigen, dass Hopfen und Malz an dieser Stelle noch nicht verloren sind.
Und da ich so häufig auf das aufmerksam mache, was mir als anspruchsvollem Presseliebhaber am Oder-Spree-Journal der Märkischen Oderzeitung nicht behagt - und das ist erfahrungsgemäß eine ganze Menge - schiebe ich hier mein Lob für den ausgewerteten Artikel von Waltraud Tuchen nach: der war auch nach meinem Geschmack ganz gut so. Und ist hier online nachzulesen: Jeder will das Beste für seine Stadt