"[...] nicht mehr als ein blatt papier zwischen mich und die welt.
und in den gärten, hinter allen hecken
verkündeten die rasenmäher den mai."
Schöner und gleichzeitig einfacher, als es der Hamburger Lyriker
Jan Wagner in seiner "kleinstadtelegie" vollbringt, lässt sich das Gefühl eines Frühlingspaziergangs durch die Kleingartenanlagen Eisenhüttenstadts gar nicht beschreiben. Nur zählt der Mai hierzulande bisweilen schon fast zu den Sommermonaten. Dies ist auch folgerichtig, taumeln doch nach diesen schneefreien dunkelsten Wochen des Jahres nun mit dem höheren Sonnenstand ganz freimütig die ersten Boten der floralen Aufbruchsstimmung u.a. bis in die Schattenseiten des Kiefernwegs. Ob dieser Lenz für die dortigen Blöcke der letzte ist? Im aktuellen
Abrisskalender 2008 sind sie noch nicht vermerkt, im Abrisszielplan der Gebäudewirtschaft jedoch schon. Allerdings laufen die aktuellen Abrissplanungen auch bis 2011, wobei der diesjährige Schwerpunkt auf dem WK VII Nord und ein bisschen in der Poststraße liegt. Weitgehend verlassen sind die Wohnblöcke allerdings bereits heute, weswegen dem Stadtwanderer in diesem Gebiet durchaus ein Aroma des Abschieds umweht.
Überhaupt ist es eine nicht irrelevante Nebenwirkung des Stadtumbaus in Eisenhüttenstadt, dass aufgrund der permanenten Präsenz von Verlassensein und Verlassenwerdens und des Verschwindens eine eigentümliche Melancholie zum bestimmenden Element wird. Das Bewusstwerden der Vergänglichkeit schwingt in jedem Schritt mit, verstärkt noch dadurch, dass die dem Verschwinden geweihten Häuser durchweg naturgemäß keine allzu alten sind. Es sind Gebäude in den mehr oder weniger besten Häuserjahren, die jedoch den Bedingungen des Karussels der beschleunigten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts auf dem Immobilienmarkt genauso wenig genügen, wie so viele der in den Baujahren dieser Wohngebiete Geborenen den Bedingungen des hiesigen Arbeitsmarktes. Dem sozialistischen Industriearbeiter und den für ihn gemachten sozialistischen Wohngebäuden ist die Zeit davon gelaufen und obwohl noch nicht wirklich alt, sieht man sich jeweils mit der schlichten marktwirtschaftlichen Untauglichkeit konfrontiert. Der Unterschied ist, dass man die betroffenen menschlichen Marktelemente von Weiterbildung und Umschulung zu Weiterbildung und Umschulung oder in die 1-Euro-Beschäftigung schickt, während man die betroffenen baulichen einfach entfernt. Gemeinsam ist beiden Vorgängen, dass dies über staatliche Fördermaßnahmen geschieht und ebenso gemeinsam ist beiden Vorgängen, dass sie in der Regel ein gänzlich seelenloses Unterfangen darstellen. Dafür, wie man in der auf- und abklärten säkularen Gegenwartsgesellschaft dem/n gesellschaftlich ganz offensichtlich bedeutungslos Gewordenen neue Bedeutung einschreibt, finden sich bislang jedenfalls kaum wahrnehmbare Föder- und Entwicklungskonzepte.
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