Er [ein Zug] fuhr nach Eisenhüttenstadt, noch eine Stadt in meinem Alter. Aber bei ihr war das alter echt, sie war wirklich jung. Vor sechzig Jahren hatte es hier nur Felder und Wiesen gegeben; das würde bald wieder so sein. Der Kosmos, der nach dem Krieg um das neue Hüttenwerk und Stalinstadt herum entstanden war, hatte sich lange ausgedehnt und Siedlungsringe angesetzt, die gegen Ende immer liebloser und schäbiger geraten waren. Nun zog er sich wieder zusammen. Die Ringe, die niemand mehr brauchte, riss man ab.Eine anrührendere Beschreibung aus dem VII. Wohnkomplex in seinen letzten Wochen lässt sich in der zeitgenössischen deutschen Literatur nicht finden. Welchem Autor wir diese verdanken, möchte ich aber nicht gleich verraten, sondern stelle die zitierte Passage zur Rätselei in den virtuellen Raum. Wer weiß, wer's schrieb, hinterlässt bitte einen Kommentar.
Ich ging durch so ein aufgegebenes Viertel. Leere Blocks standen da, zugezurrt, geplündert, fertig zum Abriss. Hinter jeder versiegelten Tür war ein Geräusch. Ein Schlagen und Splittern. Ein Ratschen und Heulen. Ein lauter Knall. Es klang menschlich. Inmitten von Unkraut stand ich auf dem Platz zwischen den Häusern, eine Elster saß auf einer Teppichstange, und eine Weile glaubte ich, Kämpfe mit Trümmerstücken und Eisenstangen und anfeuernde Mädchenstimmen hinter den Türen zu hören. Ich brach eine von ihnen auf und tastete mich hinein, aber es war nichts Menschliches in den Häusern.
Es waren die Abrissblocks selbst, die Geräusche machten, sie schepperten und schlotterten. In den Treppenhäusern und Wohnungen schlugen die letzten dort verbliebenen Dinge gegeneinander. Lose Leitungen. Lampen. Baumelnde Rohre. Eingetretene Türblätter. Der Wind setzte sie in Bewegung. Er war im Haus, sonst niemand. ...
Thomas Heises Eisenzeit - morgen im Zeughauskino in Berlin
Heute nur ein ganz knapper Kinotipp - und der ausgerechnet für Berlin. Dort, genauer im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums, wird morgen (Freitag) um 21 Uhr im Rahmen der Werkschau zu Thomas Heise mit Eisenzeit ein ganz besonderer Eisenhüttenstadt-Film gezeigt.
Die in Stalinstadt geborene Journalistin Anke Westphal hat über den Film einen äußerst lesenswerten Text verfasst, der mit dem Satz schließt:
Wer über das Kabarettniveau von Spielfilmen wie Sonnenallee oder Good Bye, Lenin! hinaus etwas über die DDR wissen möchte, sehe sich Thomas Heises Filme an, in denen es so viele erstickte Hoffnungen und Tote gibt, und er wird bemerken müssen, daß die Vergangenheit DDR verdrängt ist, auch in Sonnenallee oder Good Bye, Lenin!. Daß die Verklärung der Kuhstallwärme dem eiskalten Rest an Geschichte, der immer bleibt, nicht standhält.Am Samstagabend ist Thomas Heise zur Aufführung seines jüngsten Films Mein Bruder (We'll Meet Again) (um 22 Uhr) im Zeughauskino anwesend.
Janet Neiser schreibt heute im Oder-Spree-Journal der Märkischen Oderzeitung über eine hervorragende Idee, Heimatkunde anschaulich und einprägsam zu vermitteln: Stadtwanderungen mit Schulkindern:
Momentan zählt Eisenhüttenstadt knapp 34 000 Einwohner. Aber identifizieren diese 34 000 Menschen sich auch mit ihrer Stadt, kennen sie die Geschichte und die schönsten Plätze? Im Albert-Schweitzer-Gymnasium steht deshalb auch verstärkt Eisenhüttenstadt auf dem Stundenplan.
Dass Eisenhüttenstadt erst eine Wohnsiedlung war und von 1953 bis 1961 Stalinstadt hieß, das haben die meisten noch nie gehört. Da passiert es dann eben auch mal, dass aus Stalin in einem Notizheft "Stahlin" wird. Liegt ja nahe, in einer Stahlstadt.Nicht wahr, liebes Logbuch von nebenan! Und auch die Ziele, die der Geographielehrer Carsten Unger sich und seiner Schülerschaft stellt, sind gar nicht so weit entfernt, von denen, die wir (das Logbuch und dieser Blog) verfolgen:
Unter dem Motto "Wie sehe ich meine Stadt?" sollen die Schüler laut der Absichtserklärung "1. ihre Stadt (neu) entdecken; 2. für Eisenhüttenstadt interessiert werden; und 3. im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag für die Stadt leisten." So werden demnächst beispielsweise die Ergebnisse des Stadtrundgangs der Fünftklässler im Schaufenster der Geschäftsstelle des Tourismusvereins in der Lindenallee präsentiert - mehrsprachig.Der letzte Punkt, nämlich dass uns der Tourismusverein Eisenhüttenstadt e.V. z.B. über seine Linkliste präsentiert, gilt leider seit einiger Zeit nicht mehr, aber immerhin war der Verein bereit, dies mit großer Geduld eine ganze Weile zu tun, weshalb wir uns gar nicht weiter beschweren wollen. Der Beitrag in der MOZ ist hier abrufbar: Kinder entdecken die Stahlstadt.
Außerdem wird gemeldet, dass der Bürgermeister die generalüberholte Straße der Republik freigeschnitten und die Schere gleich weiterverschenkt hat (Autos rauschen über neuen Asphalt) und irgendwelche Halunken das schon arg gebeutelte Tiergehege beraubten (Wertvolle Vögel gestohlen). Außerdem wird das Stahlwerk der Stadt üppig ausgebaut - der Wirtschaftsaufschwung Ehst. geht also weiter.
Für den Bilderreigen 2007 gibt es heute ein Bild aus der Magistrale, von der die Fünftklässler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums jetzt sicher auch wissen, dass sie einst Leninallee hieß und genau genommen gar keine richtige Allee ist.
Kein Tag ohne Bild!
Was an deutschen Zeitungsständen nun nach der Neuausrichtung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung selbstverständlich ist, können und wollen wir nicht ignorieren. Daher wird der Bilderreigen 2007 fortgesetzt bis das Bildarchiv leer ist. Aufmerksamen Betrachtern wird ein Versäumnis nicht entgangen sein: Sechs Teil hat der Bilderreigen und sieben Komplexe die Stadt. Da stimmt etwas nicht. Daher nun zurück zu den Anfängen, auch wenn alle Puristen verständlicherweise sofort aufbrausen, da das Bild hinter dem Platz des Gedenkens aus dem I. Wohnkomplex einen Wohnblock des WK II fokussiert. Wir sehen's aber ein bisschen lockerer.
Was an deutschen Zeitungsständen nun nach der Neuausrichtung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung selbstverständlich ist, können und wollen wir nicht ignorieren. Daher wird der Bilderreigen 2007 fortgesetzt bis das Bildarchiv leer ist. Aufmerksamen Betrachtern wird ein Versäumnis nicht entgangen sein: Sechs Teil hat der Bilderreigen und sieben Komplexe die Stadt. Da stimmt etwas nicht. Daher nun zurück zu den Anfängen, auch wenn alle Puristen verständlicherweise sofort aufbrausen, da das Bild hinter dem Platz des Gedenkens aus dem I. Wohnkomplex einen Wohnblock des WK II fokussiert. Wir sehen's aber ein bisschen lockerer.
Wer den aktuellen Eisenhüttenstädter Bilderreigen 2007 in seiner Serie verfolgt hat, dem ist sicher nicht entgangen, dass - ausgehend vom WK II - die Wohnkomplexe Eisenhüttenstadts Komplex für Komplex ihre Abbildung finden. Entsprechend lenkt das Gesetz der Komplexreihe, nachdem gestern die Europakreuzung dran war, heute den Blick in den Wohnkomplex, der in Eisenhüttenstadt nun wirklich überhaupt keine Lobby (mehr) und dito keine Zukunft mehr zu haben scheint: den Siebenten.
Man rettet mit dessen Einebnung übrigens den WK III, dessen Bausubstanz weitaus abrissreifer als die der Plattenbauten aus den 1980er Jahren schien. Die Nordwest-Lücke wäre jedoch für die Stadtstruktur noch weniger zu schultern gewesen, als die weitläufigen neuen Freiflächen gen Fürstenberg.
Auch die Barrikaden der Eisenhüttenstädter und Stalinstädter Bürger hätten sich bei einem Schleifen der Bebauung an der Heinrich-Heine-Allee ziemlich sicher weitaus höher getürmt, als es bei den zumeist ohnehin nur von wenigen geliebten Quartieren jenseits der Bahnlinie der Fall war (die leider in der Aussage teilweise etwas gar zu plumpen Ansichtskarten mit den Abrissmotiven, die aber immerhin ein kleines Zeichen aktiver Bürgerschaft darstellten, einmal ausgeklammert).
Dies ändert nichts daran, dass die Abrisslösung im WK VII, die vielleicht kurzfristig als einzig halbwegs durchführbare erscheint, kräftig durch die Stadtgesellschaft pflügt und so manchem Heimatlichkeit vernichtet, was mit einem anscheinend nicht zu finanzierenden wirklichen Umbauprogramm sanfter umsetzbar gewesen wäre. Daher heute ein entsprechend melancholisches Bild:
11 Minuten Stadtumbau. Morgen auf 3sat.
Wir freuen uns einerseits außerordentlich, dass 3Sat.online uns als relevante Informationsquelle zu Marcel Neudecks (bzw. hier) Stadtumbaukurzfilm "Wir haben eine ganze Stadt umgebaut" (2005) anführt, verweisen aber der Fairness halber darauf, dass die Erwähnung des 11-Minüters zum Plattenbauumbau in Ahrensfelde dem bewussten Artikel nur als Einleitung dient. Anschauen sollte man den Film aber nicht nur als Volker Koepp-Fan. Morgen (Dienstag) um 21:45 auf 3Sat.
Neue Durchsicht.
Wo früher eine Plattenbautfront mit blätternden Balkonen eine visuelle Korrespondenz zwischen der Straße der Republik und dem Kaufland behinderten, hat man nun Durchblick und Durchgang. Ob das ein Gewinn ist? Wir wissen es nicht so recht. Ob in Ahrensfelde ähnliches geschah? Wir können es wissen - morgen Abend auf 3sat.
Wo früher eine Plattenbautfront mit blätternden Balkonen eine visuelle Korrespondenz zwischen der Straße der Republik und dem Kaufland behinderten, hat man nun Durchblick und Durchgang. Ob das ein Gewinn ist? Wir wissen es nicht so recht. Ob in Ahrensfelde ähnliches geschah? Wir können es wissen - morgen Abend auf 3sat.
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