Gerade entdeckt: Einige exquisite Fotografien aus dem Eisenhüttenkombinat Ost von Uwe Niggemeier auf www.stahlseite.de.
Marchwitza Projekt gestartet
Dokumentationszentrum mit Berliner Konkurrenz?
Seit heute hat das Eisenhüttenstädter Dokumentationszentrum zur Alltagskultur der DDR heftige Konkurrenz in der Mitte Berlins. Dort wurde nämlich heute mehr oder weniger passend im DomAquarée ein DDR Museum (vgl. auch den Hauptstadtblog) eröffnet.Wegen Rondo-Kaffee-Tüten und Pionierhalstüchern wird nun wohl niemand mehr aus Berlin nach Eisenhüttenstadt anreisen. Allerdings besitzt die Einrichtung in der ehemaligen Stalinstadt einen tollen Standortvorteil: die Architektur! Denn das Gebäude in der Erich-Weinert-Allee ist allein schon wegen den grandiosen Womacka-Fenstern im Treppenhaus (sh. auch hier) dem Halbkellergeschoß am Spreeufer in jedem Fall überlegen. Wenn man sich überlegt, dass so bunt eine Kindertagesstätte(!) verglast wurde...
Wenn es dann auch noch gelingen würde, die Baudenkmäler der umliegenden Wohnkomplexe z.B. mittels eines Architekturlehrpfades mit dem Austellungszentrum zu verknüpfen, ständen die Chancen womöglich ganz gut, doch noch Besucher - gar noch in steigender Zahl - aus der Hauptstadt anzulocken. Vielleicht hilft die ferne Konkurrenzeinrichtung, die in meinen Augen längst überfällige Anbindung von baulicher Kernstadtgestaltung und Ausstellungsbereich umzusetzen. Warum man bislang nicht mit diesem Pfund herumwuchert, ist mir aus der Exilperspektive absolut unverständlich. Ich werde einmal bei Gelegenheit die Berliner Einrichtung besuchen, um das tatsächliche Gefährdungspotential zu evaluieren.
Etwas tun, um die an sich sehr schöne Einrichtung hinter der Weltkugel noch attraktiver zu gestalten, sollte die Stadt allerdings schleunigst. Liest man das Gästebuch im DOK-Foyer, eine Aktivität, die ich nur jedem missmutigen und schließungswütigen Stadtverordneten ans Herz legen kann, sieht man, dass das Stahlstädtchen hier etwas besitzt, das eine wirkliche Positivwirkung entfaltet. Bitte ausbauen!
Kinder der Stadt in den Medien. Heute: Torsten
Ob es ihn zu einem „großen Sohn der Stadt“ qualifiziert, ist, so meint man, Ansichtssache. Fakt ist, dass Torsten Hannig, eisenhüttenstadtbekannt als Musiker und Musikfachmann besonders durch sein Mitwirken an den legendären Weihnachtsmusicals der Snowy-Reihe, momentan gehörig Airtime im Fernsehen bekommt. Dies allerdings – soweit ich es überblicken kann – nicht bei den seinen tontechnischen Talenten angemessenen Programmen sondern einem Spartenanbieter, der allerdings vom Geschäftsmodell dem unsäglichen Ex-Musikverbreiter Viva Plus nicht unähnlich ist, bei dem Deutschlands ausstrahlungsärmste Möchtegernmoderatorinnen derart unvorstellbar abstoßend inszeniert werden, dass der Big-Brother-Jürgen auf 9live schon fast als intellektueller Hochgenuß daherkommt. Dann doch lieber die mit Schuhwichse auf „Afrika“ schwarzgefärbten tschechischen WM-Stripperinnen im Nachtprogramm des Deutschen „Sport“fernsehens oder besser noch abschalten. Oder umschalten auf diesen etwas wunderlichen Lebenshilfekanal des Primetime Mediendienstes, in dem unser Torsten recht häufig in die Karten schauen lässt – oder auch nicht, je nach Standpunkt. Natürlich fällt es uns durchrationalisierten Freunden der klassischen Aufklärung schwer, sich auf ein solches Programm derart einzulassen, wie man es tun muss, um hier so um die 2 EURO die Minute für Kartenleserei zu verjuxen. Andere Mitbürger scheinen damit aber weniger Probleme zu haben und so floriert das Geschäft mit der Unsicherheit bezüglich Zukunft, Geld und Partnerschaft. I-Ging-Fachmann Torsten ist für diese großen Themen des menschlichen Daseins allerdings nicht zuständig: Sein Metier ist der kleinere Fisch des Beratungsschwerpunkts „Verlorene Gegenstände“ und da Geld bekanntlich nicht gegenständlich sondern nur symbolisch auf der Bank und auf der Straße liegt, ist die Frage, wo man denn diese eigenartig hohen Beträge auf der Telefonrechnung verloren hat, hier fehl am Platze vor der Mattscheibe – falls jemand mal nachfragen wollte. Was Totti da genau tut, erfährt man leider als Voyeur des energetischen Treibens nicht wirklich detailliert, denn die Beratung selbst wird – vermutlich zum Schutze der Persönlichkeit des Anrufers – mit einem auf Dauer recht ermüdendem Entspannungssoundtrack gedubbt…
Wie dem auch sei, Oliver Kalkofe mit seiner mitunter etwas arrogant-platten Verballhornung nicht ganz so geschickter Fernsehprogrammgestaltung wäre jedenfalls sicher in seinem Element, denn Angriffspunkte bieten die Kartenleser und Pendelfans mit ihrer beratungssüchtigen Klientel zuhauf. Allzu viel werten will ich jedoch gar nicht, denn einerseits bin ich nicht über Allem stehend und erhaben und andererseits sei selbstredend jedem vergönnt, nach seiner Fasson glücklich zu werden. Und vielleicht auch reich.. Moralisch verwerflicher als ZEDs oder Jambas Trübe-Tassen-Handyquatsch-Geldschneiderei ist das HausBaccarat hier sicher nicht.
Ob der potentiell generierbare Wohlstand konkret den Torsten mit seinem Tarotblatt betrifft, kann ich nicht abschätzen. Mehr als sein Aufnahmestudio wird’s aber wohl einbringen, denn wer ohne Lohn und aus purer Nächstenliebe helfen will, der geht sicher nicht in dieser Form ins Fernsehen. Meine Kurzmeinung: Als Musiker und Kumpel im Marchi hat er mir entscheidend besser gefallen als esoterisch aktiv im Äther.
Schließlich: Nach fünf Minuten Programmbeobachtung muss ich leider sagen, dass ich unseren Torsten in dieser Form, so gern ich es möchte, nicht so recht zu den „großen Söhnen der Stadt“ zählen kann (vermutlich will er es auch gar nicht), denn er ist hier nur eine Art „beratendes Medium“ und als solches recht neutral und ohne allzu persönliche Note. Die aber braucht’s für’s Einzigartig-Sein. Vielleicht klappt es ja irgendwann doch noch mal mit Musik. Ich würde es ihm wünschen.
Das Rathaus, die unbekannte Galerie
Trotz all der kulturfernen Sprach- und Verhaltensbarbarei, die dem unbedarften Stadtbesucher zuweilen an der Kasse im Supermarkt "Real" entgegenschlägt, wenn er mit dem Kaltgetränk auf dem Förderband der nicht weniger kalten Kaltschnäuzigkeit der anderen Ein- und auch der Verkäufer begegnet, muss er doch zugestehen, dass eine Wanderschaft durchs Wohnstadtgebiet, geschieht sie offenen Auges, eine Fülle an Kunstgenuß in sich birgt. Abgesehen vom Kernstadtensemble selbst mit all den possierlichen und auch brutalen Gestaltungsformen, den Grünflächenachsen und Walter Funckeschen Wohnhöfen sowie dem bedeutungsschwangeren Loch im Stadtherzen (Zentraler Platz), dessen Urheber die Geschichte selbst ist, entdeckt man auf Schritt und Tritt besonders Skulpturen und Kunst am Bau.
Mit Malerei hat man es da nicht ganz so leicht und insofern ist es höchst begrüßenswert, wie am Giebelbild im WK. VI (mehr hier) einmal Metall und Farbe ineinander fließen sollen. Zudem gibt es am ehemaligen "Intelligenzblock" am Platz des Gedenkens zwei mosaikgekrönte Wandflächen und natürlich findet sich Womackas stadtidentitätsprägende Textilkaufhausgestaltung "Arbeit für den Frieden" an der Wand des Lindenzentrums. Wer aber nicht das Mosaik sondern die Malerei an sich sucht, der muss entweder ins Städtische Museum in den Fürstenberger Kiez oder - da staunt man sehr, wenn man's nicht weiß - er besucht das Rathaus und wendet sich im Foyer nach rechts in den Gang mit dem Standesamt. Dort entdeckt der überraschte Fremde schnell und vor Verzücken die maßgeblichen Kerngemälde zur Stadt, darunter die Visionen eines Otto Schutzmeister (sh. auch hier und hier), die Anspielungsfrachter eines Matthias Steier (mehr hier) und einige andere Kleinode der Stahlwerks- und Stahlstadtmalerei. Die dort mit Verwalten beschäftigten Damen scheinen tatsächlich recht beschäftigt (z.B. mit dem "Armband für's Stadtfest"-Verkauf u.ä.), sind sehr freundlich und lassen den Besucher ungestört vor den Bildern verweilen, wenn man mag, bis das Rathaus sein Pforte schließt.
Ist man früher mit Rezeption und Analyse fertig, kann man sich - den Gang zurück, die Treppe hoch - mit dem Natursteinmosaik "Unser neues Leben" vom viel- und gernerwähnten Walter Womacka beschäftigen, dass genug Details für ein weiteres halbes Stündchen Betrachtung bietet. Das neue Leben ist hier freilich nur Spur einer alten Utopie, wie man sie Ende der 1950er nunmal so hegte und pflegte.
Will man sich´s dann noch so richtig rathäuslich machen, empfiehlt sich im Anschluß zum Abschluß ein Versinken in der ledernen Möblierung der "Stadtmodell-Lounge", ein Geschoß tieferliegend. Dort hat man ein ausuferndes Stadtmodell (Stand 2003, d.h. mit bereits verschwundenen Steinbauten als Holzblöckchen), vier Glasfenster mit Stadtwappen (Fürstenberg/Oder, Eisenhüttenstadt, Saarlouis, Drancy) und zwei Stahlskulpturen zum Bestaunen. Darüber hinaus wirkt die Lounge besonders an schwitzigen Julitagen angenehm kühl und da fast niemand diesen Ort der Stille kennt, ist man meist mutterseelenallein und daher genau am richtigen Ort für die Lektüre der gehobenen Tagespresse oder ein Mittagsschläfchen.
Fazit: Auch ohne Trauungsabsicht lohnt für Freunde der Stadtkunst (besonders der sozialistischen) der Gang zum Standesamt. Allerdings - das gebietet die Ehrfurcht vor den verwaltenden Menschen - sollte man sich zurückhalten, auch wenn es vor den Bildern schwerfällt, und das pompöse EKO-Aufbruchslied "Wir haben das Werk in die Heide gesetzt.." nur innerlich intonieren.
Die kleine Heimat, nebenan (und Pankow)
In einem sehr persönlichen Rückblick erinnert sich unser Kollege Andi Leser vom Blog nebenan an seine Zweiraumwohnung unter dem Dach in der Friedrich-Engels-Straße 12, in welcher wir (er und ich) übrigens auch mal trafen, zuvor allerdings zum erstenmal in einem Garten - nämlich dem vom Club Marchwitza.
Wer ein Stück Eisenhüttenstadt von Innen erlesen möchte, werfe also einen Blick auf den Beitrag: Die erste eigene Wohnung
Wobei Andi Lesers Bezug in der Titelei auf Barbara Thalheims gleichnamiges Lied sicher nicht zufällig ist...Selbige war nämlich auch kurzeitig mit einer Band sozusagen verbandelt: ganz früher als Vier PS bekannt, und dann als Pankow, wobei hier die Aussprache Pank*=Punk ein schönes Beispiel für unangreifbare Sticheleien der werktätigen Künstler gegen die Parteilichkeit darstellt. Heute ist das ohne Belang und Punk sein in der Toleranzgesellschaft kaum noch ein probates Mittel, um als politischer Quer- bzw. Nichtdenker wahrgenommen zu werden. Da bekommt keiner mehr Aufruhr in den Augen sondern es rauschen eher unfreundlich-abwährende Blicke zwischen Mensch und Punk umher. Deswegen rockt die André Herzberg-Combo auf dem Stadtfest in Eisenhüttenstadt am 25. August vermutlich auch nur noch getreu dem Motto/Titel ihrer aktuellen Kompilation: Nur aus Spaß. Dafür kostest's auch keinen Eintritt.
Unser Blognachbar Andi Leser dagegen bekommt eine riesige Belobigung für diesen intertextuell höchst subtil platzierten Veranstaltungshinweis. Und für die Verschriftlichung und damit virtuelle Bewahrung seiner Erinnerung.
Torwart, auf dem Aufbauplatz
Wer sagt es denn: Zum Ausgleich durch den gebürtigen Sizilianer Marco Materazzi, von dem selbstverständlich noch nicht heraus ist, ob er nach dem 22. Juni heute zum zweiten Mal "Man of the Match" wird, hier noch ein thematisch passendes Bild aus der fernen Heimat.
Aufgenommen wurde es am 27. Mai 2006 auf dem Fußballplatz von Aufbau Eisenhüttenstadt.
Wer weiß, wen wir hier sehen, kann diese Information gern als Kommentar ergänzen.
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