Gestern, also am 02.08., eröffnete die Anschlussausstellung zur viel zu kurzen Weihnachtsschau heimatlos mit Fotografien von Martin Maleschka. Sie heißt folgerichtig heimatlos2 und ist eine von drei Ausstellungen mit Fotografien aus und über Eisenhüttenstadt, die das Städtische Museum aus Anlass des 65. Jubiläums von Stadt und Werk zeigt. In den Räumen in der Löwenstraße präsentiert der Fotozirkel EKO e.V. Aufnahmen unter dem Titel LOS.EH 65. Die Fotogruppe ASA um Thomas Kläber erhielt für ihre Schau Räume im Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR und wählte angesichts des Titels der Präsentation von Martin Maleschka vielleicht nicht ganz glücklich den Titel Heimat.LOS Eisenhüttenstadt.
heimatlos2 kam erneut in den bekannten Räumen in der Straße der Republik 37 unter und ist daher als einzige Schau auch abseits der Öffnungszeiten (je nach Lichteinfall) durch die Schaufensterfronten des einstigen Feinkost- und Miederwarengeschäftes betrachtbar.
Es lohnt sich sicher, alle drei Ausstellungen kombiniert anzusehen, denn die Perspektiven unterscheiden sich doch erheblich. Besonders spannend wird es, wenn man auf den Wegen zwischen den Ausstellungsorten an Stellen vorbeikommt, mit denen man zuvor und danach auf den Fotos konfrontiert wurde. Nimmt man noch eine eigene Kamera mit, kann man direkt anschließen.
Denn für heimatlos2 haben Martin und ich uns als zusätzliche Erweiterung eine interaktive Variante überlegt: Auf Tumblr kann jeder der mag Fotos aus Eisenhüttenstadt für eine virtuelle Ausstellung beisteuern. Diese werden mindestens in diesem Stream veröffentlicht. Je nach Materiallage kann sich daraus auch noch einiges mehr ergeben.
Die Motivation dazu haben wir in der Ausstellung folgendermaßen formuliert:
Der Reiz und die Möglichkeiten fotografischer Abbildung werden dann besonders sichtbar, wenn sich mehrere Fotografen mit demselben Gegenstand befassen. Das wurde uns unlängst deutlich, als wir gemeinsam, jeder mit seiner Kamera, wieder einmal auf Stadtwanderung in Eisenhüttenstadt waren. Wir waren an denselben Orten, betrachteten dieselben Szenerien und erzeugten doch ganz unterschiedliche Bilder. Das Resultat verrät nicht nur etwas darüber, wie diese Orte beschaffen sind, sondern auch etwas über die visuellen und ästhetischen Ansätze zweier unterschiedlicher Fotografen an diese Orte. Wir jedenfalls finden das sehr interessant und verstehen den Stadtrundgang am Sonntagnachmittag, aus dem die gezeigten Bilder stammen, als mögliche Vorstufe für eine wechselseitige Erweiterung unseres jeweiligen fotografischen Blickes. Und wir laden dazu ein, es auch einmal zu versuchen. Die Motive sind gleich um die Ecke.
Mir war darüber hinaus vergönnt, neben einer Handvoll Variationen über die lokalen Motive auch einige eröffnende Worte zur Ausstellung beizusteuern.
Da ich darum gebeten wurde, stelle ich sie natürlich gern auch hier noch einmal zum Nachlesen online.
Einführung in #heimatlos II / Fotografien von Martin Maleschka / 02.08.2015
von Ben Kaden (Berlin)
Der Platz der Jugend
Vor 15 Jahren beging man mit großem Aufwand den 50. Geburtstag von Stadt und Werk. Für mich ergab sich damals das Vergnügen, meine Begeisterung für Rapmusik für einen Jubiläumstonträger beisteuern zu können. Auf diesem gab es einen Titel, den ein Bekannter namens Ray Mc und ich, mit dem weniger strahlenden Namen Ben, unter dem Gruppennamen Reimgeschwader Ehst. aufnahmen und der hieß: „Hüttenstadt ist meine Stadt.“ Was uns an Professionalität fehlte, machten wir mit Aufrichtigkeit wett.
Eisenhüttenstadt befand sich zu diesem Zeitpunkt fast noch in einer Vor-Abrissphase mit aus heutiger Sicht sehr optimistischen Entwicklungsplänen. Allein das Mittelganghaus bzw. Bullenkloster hatte man wenige Jahre zuvor fernsehnachrichtentauglich gesprengt. Die Abwanderung war durchaus ein Thema. Doch einen Rückbau, wie er sich dann in den 2000er Jahren entfalten durfte, konnte man noch nicht erahnen. Die Dimensionen dieser Entwicklung, wie wir sie heute sehen, schienen unvorstellbar.
Das Schulgebäude am Platz der Jugend steht noch und war wahrscheinlich noch als Gesamtschule 1 im Betrieb. Der Platz der Jugend bleibt vielen ehemaligen Schülerinnen und Schülern vermutlich vor allem als Appellplatz mit dem „Für Frieden und Sozialismus Seid Bereit - immer Bereit“ in Kinderstimmen und dem „Freundschaft“ in Stimmbruchstimmen in Erinnerung. Das Schulhaus stand einige Jahre leer. Es war ein Abstellraum und der Putz um Friedrich Krachts Keramikmosaik zur „Entwicklung der menschlichen Gesellschaft“ wurde immer grauer während die Gewegplatten mehr und mehr aufplatzten. Um 2009 übernahm ein Krankenkassendienstleister das Haus und färbte es gelb. Die Gewegplatten wurden nicht erneuert. Der den Platz schließende Wohnblock verschwand.
An einem Frühlingswochende im Jahr 2011 kam ich mit einem belgischen Filmteam an diesem Ort vorbei, der für mich naturgemäß tief als Erinnerungsort verinnerlicht ist. Auf der Treppe vor dem Haupteingang der Schule, derselben Treppe also, auf der ich 23 Jahre zuvor einmal saß und mit Schulfreunden über das Wunder der plötzlichen Auffindbarkeit eines Fernsehsenders namens Sat.1 im Kabelnetz von Eisenhüttenstadt staunte, saßen nun drei Teenager. Sie beschallten den ansonsten ausgestorbenen Platz mit Musik aus dem Mobiltelefon. Das Lied kannte ich. „Huettenstadt ist meine Stadt, Huettenstadt ist was ich mag“. Es war schon ein eigenartiger Moment und irgendwie auch ein eigenartig schöner, setzte sich das Reimgeschwader Ehst. doch in diesem Moment aus einem bestimmten Grund gegen einerseits eine Vielzahl von viel besseren Rap-Acts und andererseits gegen das Vergessenwerden durch.
Es zeigt sich, dass es an und zu solchen Orten diverse und ganz besondere Bindungen gibt. Es zeigt sich, dass sich dort immer wieder neu und erstaunlich ausdauernd Spuren und Linien und Erinnerungen kreuzen. Ich weiß nicht, ob sich die Jugendlichen an die Begegnung mit dem Fernsehteam erinnern. Aber vielleicht doch.
Es gibt wenig, das so zentral für Erinnerungen und damit auch die Rekonstruktion von Biografien ist, wie solche Orte. Das betrifft individuelle wie kollektive Erinnerungen. In einem Buch über Wolfgang Hilbig formuliert die Literaturwissenschaftlerin Karen Lohse eine Perspektive und Funktionsbeschreibung für Orte, die wir ganz treffend auf unseren Betrachtungsort, nämlich auf Eisenhüttenstadt, übertragen können.
„Orte können Erinnerungen, die im Augenblick nicht verarbeitet werden können, über Phasen kollektiven Vergessens hinwegbewahren. Werden diese Orte zerstört, bevor Erinnerungen aufgeholt worden sind, verschwinden auch die daran geknüpften Assoziationen unwiderruflich. Das Gefühl für die eigene Identität wird unsicher. Man weiß, dass es da Erinnerungen an die Vergangenheit gibt, kann sie aber nicht mehr im topographischen Gedächtnis aufrufen.“
Der Platz der Jugend, Erinnerungsort für mich, alle anderen Schüler der Juri-Gagarin-Oberschule und sicher auch die Jugendlichen des Jahres 2011, ist noch da und altert ziemlich vergessen vor sich hin. Vor ein paar Wochen besuchten Martin und ich diesen konkreten Ort, aktualisierten unsere persönlichen Erinnerungen und legten ein paar neue für kommende Jahre und Besuche an. Wenn sich der Raum schon auflöst, so können wir immerhin Zeugnis davon geben, dass es ihn noch gab an diesem Sonntagnachmittag. Und das es eine Spur davon weiterhin geben wird. In der Erinnerung und - mit anderen teilbar - auf Fotografien.
Martin
Etwa vor einem Jahr konnte man in einer Reportage im Neuen Deutschland folgendes lesen:
„Das Viertel, in dem Martin Maleschka aufwuchs, steht nicht mehr. Da, wo er einst Fußball spielte, Räuber und Gendarm, Klingelrutsche, ist heute wieder grüne Wiese. Seit neun Jahren dokumentiert Maleschka alles, was verloren geht und noch verloren gehen wird [...] Seine Eltern sind da leidenschaftslos. Sie verbinden andere Erinnerungen mit der Zeit der Plattenbauten als der Sohn.“
Und:
„Die Kindheitsorte, diese drei Wohnhöfe in Eisenhüttenstadt und die Wohnungen, in denen er mit seinen Eltern wohnte, gibt es nicht mehr. Sie sind beim Stadtumbau Ost verschwunden. Maleschkas Kindheit ist nur noch Erinnerung, Kopfkino.“
Wahrnehmungen
(1)
In den späten 1950er Jahren beginnt der Schriftsteller Siegfried Pitschmann die Arbeit an einem Roman über das Entstehen eines Industriestandortes mit dazugehöriger Planstadt. Man kann diese sich auf Hoyerswerda beziehende Textstelle aus Erziehung eines Helden durchaus passend für die Entstehungsstimmung auch in der Wohnstadt zum Werk vorstellen:
„Die Betonstraße lief geradeaus auf die Wohnblöcke von 650 WE zu, und rechts sah man hinter Gärten und vereinzelten alten Häusern, die neuen, schlanken Bauten von der Parallelstraße vorm Bahnhof. Es war ein völlig neuer, freundlicher Stadtteil, und er würde sich ziemlich weit und tief gestaffelt und mit viel Rasen und Bäumen und Blumen hinziehen, wenn alles fertig war, und der King wünschte sich, dies alles nach drei oder vier Jahren zu sehen. (Was für ein köstlich gesteigertes Vergnügen aber mußte es sein, in der ganz neuen Wohnstadt aus Beton und Glas zu leben [...])“ (S. 170)
Man muss vielleicht berücksichtigen, dass das Wohnungsbauprogramm der 1980er Jahre und damit auch die Baukultur, die den VII. Wohnkomplex prägte, etwas von dem utopischen Überbau verloren und viel an Planerfüllungspragmatik gewonnen hatte. Für die Bewohner wurde die Plattenbausiedlung dennoch Heimat und für die Kinder dieser Bewohner war möglicherweise gerade das ewig Unfertige, die Baustelle als - verbotener - Spielplatz ein besonders reizvoller Ort.
(2)
Im Jahr 2004 oder 2005 kam Wolfgang Büscher für sein Wanderbuch Deutschland eine Reise auch nach Eisenhüttenstadt:
„[Ich] fuhr nach Eisenhüttenstadt, noch eine Stadt in meinem Alter. Aber bei ihr war das Alter echt, sie war wirklich jung. Vor sechzig Jahren hatte es hier nur Felder und Wiesen gegeben; das würde bald wieder so sein. Der Kosmos, der nach dem Krieg um das neue Hüttenwerk und Stalinstadt herum entstanden war, hatte sich lange ausgedehnt und Siedlungsringe angesetzt, die gegen Ende immer liebloser und schäbiger geraten waren. Nun zog er sich wieder zusammen. Die Ringe, die niemand mehr brauchte, riss man ab.“
„Ich ging durch so ein aufgegebenes Viertel. Leere Blocks standen da, zugezurrt, geplündert, fertig zum Abriss. Hinter jeder versiegelten Tür war ein Geräusch. Ein Schlagen und Splittern. Ein Ratschen und Heulen. Ein lauter Knall. Es klang menschlich.“ (Deutschland eine Reise, S. 78, 2005)
(3)
Wenige Jahre später hätte er vielleicht Martin treffen können, am selben Ort, aber etwas anderes suchend:
„So oft es ging lieh ich mir das Auto meiner Eltern und fuhr in die betroffenen Gegenden in Eisenhüttenstadt um zu fotografieren und auch hautnah mitzuerleben wie ‚der eigene Block‘ abgerissen und zerkleinert wird.“
So liest man es in einem Interview. Das ist nicht nur eine sehr ungewöhnliche Bearbeitung der, wenn man so will, Erinnerung im Entstehen. Sondern auch, wie man jetzt aus der zeitlichen Distanz erkennt, der Beginn eines außergewöhnlichen Dokumentationsprojektes. Wolfgang Büscher, der auch sensibel, aber eben anders wahrnimmt, liefert zu den Bildern ohne es zu wissen eine wunderbare Begleitung:
„Inmitten von Unkraut stand ich auf dem Platz zwischen den Häusern, eine Elster saß auf einer Teppichstange, und eine Weile glaubte ich, Kämpfe mit Trümmerstücken und Eisenstangen und anfeuernde Mädchenstimmen hinter den Türen zu hören. Ich brach eine von ihnen auf und tastete mich hinein, aber es war nichts Menschliches in den Häusern.“
„Es waren die Abrissblocks selbst, die Geräusche machten, sie schepperten und schlotterten. In den Treppenhäusern und Wohnungen schlugen die letzten dort verbliebenen Dinge gegeneinander. Lose Leitungen. Lampen. Baumelnde Rohre. Eingetretene Türblätter. Der Wind setzte sie in Bewegung. Er war im Haus. Sonst niemand.“
„Hinter den Blocks wartete die Häusermühle und mahlte alles klein. Man schlug die Häuser in Stücke. So lagen sie da, grob zu Haufen zertrümmert. So kamen sie in die Mühle. Und als haushoher Kegel fein gemahlenen Betons kamen sie wieder heraus.“
Da gehen sie hin die Blocks und, man muss es hier immer betonen, auch die Kindheitsorte.
Oder wie Martin es sagte:
„Denke ich zurück, sehe ich keinen ‚grauen Plattenbaublock‘. Ich sehe nur eine schöne Kindheit. Viele Freunde wohnten in den Aufgängen neben mir oder ein/zwei Blöcke weiter. Bei schönem Wetter spielten wir im Hof. Bei schlechtem bei jemandem in der Wohnung. Bin ich heute an diesen Orten, spüre ich Trauer und auch Unverständnis. Und heute sehe ich die Sachen nicht nur mit diesem Auge, sondern auch mit dem architektonischen Hintergrund. Ich sehe die verpasste Chance, aus dem Gebiet etwas zu machen, auch wenn es unbewohnt ist.“
Der Schlüsselmoment für die Konzentration auf Eisenhüttenstadt als Motiv fiel mit dem Einsetzen des Stadtumbaus und den massiven Abrissen zusammen. Der Stadtraum, oft schon vernachlässigt, schien die Form zu verlieren. Und das, was auch biografischer Stabilisierungspunkt war, verschwand.
Eine solche Bindung, dass zeigt der Blick in die Pressearchive aus dieser Zeit, gab es bei vielen Bewohnern dieser Viertel. Aus der Außenperspektive staunt man oft, wie sehr Menschen die Plattenbauten des WK VII vermissen. Wer von außen kam, hat eher im Blick und auch im Ohr, was Wolfgang Büscher bei seiner Deutschlandwanderung in Eisenhüttenstadt erlebte.
Daher sind die dokumentierenden Innenperspektiven, wie wir sie hier sehen, außerordentlich notwendig, um ein komplexeres Bild zu bewahren. Wo die Topographie ihre Bezugsfähigkeit verliert, muss sich das Wesen eines Ortes und damit der Bezugspunkt für eine wahrere Deutbarkeit anders manifestieren. Die systematische Dokumentation ist dafür traditionell ein probates Mittel.
(4)
Martins Position ist jedoch
insofern eine besondere, da er nicht nur in einem Erinnerungsbezug zu dem Ort
steht, sondern, mittlerweile Architekt, auch seinen professionellen Hintergrund
hineinprojiziert. Er erreicht dabei eine Sensibilität für die Wechselbeziehung
von Raum, Gestaltung, Wahrnehmung und
Erinnerung, die über das Typische weit hinausgeht. Das biografische Aufschreiben
- und zwar mit Licht, also photo-graphisch
- vervollständigt diesen Ansatz und macht ihn aus dieser Kombination heraus
einzigartig.
Es ist unwahrscheinlich, dass ein externer Architekturfotograf das Sujet
Eisenhüttenstadt mit der Hingabe und Ausdauer bearbeiten könnte, mit der Martin
es tut. Genauso selten passiert es, dass die lokale Erinnerungskultur das
Anekdotische verlässt und in eine derart systematische Herangehensweise mündet.
Oder wie das Neue Deutschland es formuliert:
„Martin Maleschka ist zum Dokumentaristen geworden. [...] Es ist wie Naturstudium. Immer wieder Hinsehen, Details wahrnehmen, Perspektiven wechseln, mit dem nötigen Abstand der Abstraktion aber auch mit emotionaler Nähe. Maleschka fotografiert, was von seinen Erinnerungen in der Realität noch da ist. Es ist nicht nur die Suche nach der besonderen Ästhetik, sondern auch die Suche nach der verschwundenen Heimat.“
Fotografie
Unlängst fragte Samuel Herzog in einer Ausstellungsbesprechung für die Neue Zürcher Zeitung:
„Was macht gute Fotografie heute aus?“
Sein Punkt war, dass Fotografie heute allgegenwärtig ist. Wir sehen es selbst: Es gibt allein drei Ausstellungen zum Stadtjubiläum. Die Flickr-Gruppe zu Eisenhüttenstadt umfasst 2800 Fotografien. In den sozialen Netzwerken, in den Fotocommunities findet sich ein stetiger Strom von Aufnahmen aller technischen Gütestufen. Es ist für nahezu jeden dank der Digitaltechnologie nicht schwer, ein technisch rundes und ausgewogenes Bild zu erzeugen. Dank der Display-basierten Fotografie sind Kompositionen vergleichsweise einfach umzusetzen. Die Lösung von der Begrenzung durch das Filmmaterial ermöglicht eine Art Kalaschnikow-Prinzip. Man hält drauf, macht zahllose Aufnahmen und korrigiert solange direkt nach, bis man trifft.
Die Technik und die formale Komposition sind also heute für viel mehr Menschen verfügbar und beherrschbar als jemals zuvor. Was hebt nun Fotografien aus dieser Masse heraus und macht sie bemerkenswert. Samuel Herzog schreibt, „[die] Konsequenz, mit der ein Künstler seinen Ansatz verfolgt.“
Fotografie ist mehr als ein gut angefertigtes Bild. Es geht nicht allein um rein ästhetische Freude. Es geht um ein Engagement im Sinne einer visuellen, visualisierenden und oft auch methodischen Auseinandersetzung mit dem, was man Welt nennt.
Ein Foto stellt einen Bezug her, verortet den Fotografierenden und im zweiten Schritt auch den Betrachter in einer Beziehung zum Fotografierten.
Schauen wir die Bilder von heimatlos2 an, dann wird buchstäblich augenfällig, dass dies hier erreicht ist. Konsequent ist Martin tief bis in die Bildsprache. Dass es einen verortenden Bezug gibt, muss nicht gesondert erwähnt werden.
Insofern stellt sich Martins Arbeit, wir können es auch Werk nennen, als nichts Geringeres als eine Stadtgeschichtsschreibung in einer einzigartigen und einzigartig hochwertigen Form dar.
Wir haben nun für einige Wochen die Gelegenheit uns damit auseinanderzusetzen. Man findet darüber hinaus einige der Aufnahmen auch im Internet. Es wäre freilich sehr schön, fände man sie auch anders und zeitstabiler.
Ich möchte zum Abschluss noch einmal das wiederholen, was ich seit 2012, als Eisenhüttenstadt in diesen Räumen das Geschenk eines Außenpostens der Berlin Biennale für zeitgenössischen Kunst zufiel, regelmäßig wiederhole und was für mich auch im vorliegenden Fall deutlich wird: Es wäre außerordentlich sinnvoll und fruchtbar für die Entwicklung der Stadt, die sich durch vieles und vor allem auch durch Tendenzen eines stadtkulturellen Zerfalls herausgefordert sieht, Geschenke dieser Art weitaus stärker zu aktivieren, zu fördern und zu nutzen.
Es gab im Herbst 2012 einen Artikel in der ZEIT, der Eisenhüttenstadt das Potential eines Worpswede des Ostens zuerkennen wollte. Ganz so weit muss man nicht gehen. Aber wenigstens die Großchancen, die sich hin und wieder und oft wie von selbst einstellen, sollte man möglicherweise noch stärker ergreifen, als es lange geschah. Umso schöner, dass es mit Martins Ausstellung gelingt.
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Zitierte Quellen:
Wolfgang Büscher: Deutschland, eine Reise. Berlin: Rowohl, 2005
Samuel Herzog: Eine Beziehung zur Welt herstellen. In: Neue Zürcher Zeitung vom 25.07.2015, Seite 52
Karen Lohse: Wolfgang Hilbig. Eine motivische Biografie. Leipzig: Plöttner Verlag, 2008
Siegfried Pitschmann: Erziehung eines Helden. Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2015
Felix Rössl: Interview mit Martin Maleschka. undatiert, unveröffentlicht
Danuta Schmidt: Bilder vom Verschwinden. Der Architekt Martin Maleschka hält schrumpfende ostdeutsche Stadtlandschaften für die Nachwelt fest. In: neues deutschland vom 03.04.2014, Seite 3