II
Die Herausforderung der Planstadt Eisenhüttenstadt liegt heute jedoch nicht mehr in der Opposition gegenüber die Geste an sich. Denn mit dem Zerfall der so architektonisch und raumplanerisch gestikulierenden und einweisenden Instanz, verlor diese ihren Gehalt. Was bleibt, ist ihre Form als eine besondere und besonders prägende Spur.
Diese Spur ist nicht nur baulich Kennzeichen der Stadt. Sie ist an vielen Stellen zugleich mentalitätsgeschichtlich erfahrbar. Man kann es auf ein einfaches Symptom herunterbrechen: Opposition, gleich welcher Art, erscheint in Eisenhüttenstadt nicht als Widerspruch, also als ein aktives und doch auf seine Art dialogisch orientiertes Gegensignal. Opposition äußert sich in Eisenhüttenstadt sehr häufig in Gestalt eines kommunikativen oder auch realen Vandalismus. Die heruntergezogenen Mundwinkel der Autofahrer, der gesenkte Blick der Passanten, die eingeschlagenen Scheiben, die billige Neubauarchitektur und die aufgegebenen Stadträume nach dem Abriss – all das sind Zeichen eines Vandalismus gegenüber der Stadtgemeinschaft. Nicht immer ist er bewusst. Aber in der Regel wird jeder Beteiligte, einmal darauf angesprochen, eine klare Rechtfertigung dafür hervorbringen können. Und Schuld ist grundsätzlich jemand oder etwas anderes, sind immer die Umstände, ist immer die Ausweglosigkeit der Situation.
In manchen Fällen mag dies sogar zutreffen. Aber in den meisten Fällen liegen die Ursachen weniger in dramatischen Verwerfungen des Schicksals, sondern in einer Verlängerung – so meine heutige These – der Allmachtszustände und ihrer Abwandlung zur erklärten Ohnmachtszuständen in die Gegenwart.
Im Gespräch zeigt sich die Wirkung: Man erwidert das Argument des Gegenübers nicht. Man versucht nicht, es zu verstehen, zu durchleuchten und mit Alternativen oder Varianten zu ersetzen oder zu ergänzen. Man bringt keine neuen Argumente ein. Man benutzt das persönliche Straßengeplauder oder die Leserkommentarspalten der Märkischen Oderzeitung als Beschwerdebuch, grummelt oder schreibt wütend seine Eingabe und denkt, dass es mit diesem oft verzerrenden Finger individueller Frustration, der in die meist in der Tat vorhandenen Wunden halbblind herumstochert, gut sei. Man glaubt tatsächlich, dass sich dadurch etwas ändert - freilich ohne dass man benennen kann, worin diese Änderung bestehen soll. Für Ziel und Umsetzung sind die Anderen zuständig. Wir wissen nicht was wir wollen (abgesehen von unserer Ruhe und „dass man sich auch mal was leisten kann.“). Wir wissen nur, dass es anders sein soll. Und weil es nicht anders ist, haben wir jedes Recht auf Schimpf und Meinung. Die Lücke zwischen Meinung und Handlung bleibt aber und wird regelmäßig zum Graben.
Die Fähigkeit mit einem Widerstreit der Interessen so umzugehen, dass am Ende keiner das Gesicht verliert und die Interessen aller halbwegs gleichberechtigt einbezogen werden, ist in Eisenhüttenstadt offensichtlich kaum ausgeprägt. Und diese Art von Widerstreit muss in Anbetracht der dauerhaft zu erwartenden desolaten Haushaltslage der vermeintlich einzigen Leitinstanz einer solchen Stadt, nämlich der Stadtverwaltung, besonders scharf in Richtung Verteilungskampf steuern. Das verkompliziert die Situation zusätzlich. Auf einmal stehen Wirtschaft gegen Kultur und keiner kann vermitteln.
Die Prägung der Planstadt ist planpatriarchisch im Großen und anpassungsfreudig im Kleinen. Man kennt die Lektionen noch aus der Eisenzeit des realisierten deutschen demokratischen Sozialismus: Der Nagel, der heraussteht, wird eingeschlagen. Und den, der quer steht, gilt es entweder gerade oder umzuhämmern. Das Schema besteht weiter fort. Daher hält auch jetzt so gut wie niemand gern seinen Kopf hin. Daraus folgt, dass man zumeist darauf schaut, wenig Verantwortung zu übernehmen und sich nicht mit konkreten Handlungen zu exponieren. Mit einem „Ich habs ja jesacht.“ steht man im Falle eines Scheiterns immer noch besser da, als mit einem „Ich habe es versucht.“ Und im Falle eines Gewinnens haben es naturgemäß alle gewusst.
III
So bringt man sich bestenfalls mit schrill-scheppernden Einwürfen von Gartenlaubenveranda ein. Oder verfällt einem graumütigen Defätismus, der gerade über die Hecke äußerst ansteckend wirken kann. Oder aber man hält einfach den Mund, denn „wat solln der kleene Mann von der Straße schon machn.“ Dabei wächst genaugenommen die Bedeutung des Einzelnen in einem schrumpfenden Ganzen wie Eisenhüttenstadt nahezu täglich.
Die Bürgermeisterin hat nicht nur das Problem, als zentrales Gesicht die willkommene Projektionsfläche für jedes Bröckchen Scheitern in der Stadt zu bieten und zugleich den Erwartungsdruck einer auf Externalisierung von Impulsen gerichteten Stadtgesellschaft schultern zu müssen. Dass dies Teil der Rolle ist, sollte jedem bewusst sein, der sich in eine solche Position wählen lässt. Also auch ihr. Sie muss es aber über die reine Selbsterhaltung hinaus schaffen, den schwer zu disziplinierenden Klassen ihrer Stadt ein Leitbild vorzusetzen, das alle irgendwie überzeugt. Diese Herausforderung scheint zweifellos „wie wenn der Hamster den Kreis zum Quadrat machte“ (um einen Betrachterkommentar zu einem Stadtbild auf Flickr zu zitieren, der überraschend genau auf die Situation von Repräsentationsfiguren in postsozialistischen Planstädten zutrifft).
Andererseits werden von der anderen Seite, nämlich der bespielten Stadtbevölkerung, schnell eigene Leitbilder aufgrund von Stimmungslagen formuliert: „So bekommt man auch die einwohnerzahl runter.. in dem man die stadt systematisch abreißt.. wer will da noch denn wohnen..“, „u warum man die janzen "plattenbauten" abreisst is och klar,,, damit der rest gezwungen wird in TEURE altbausanierte hütten zu ziehn! so wird der mietpreis künstlich erhalten u sogar noch GESTEIGERT!“, „Die Stadt wird als erstes grosses Altenheim enden ......“.
Die drei stabilen Konsensthemen in der Stadtbevölkerung und nicht selten der Eisenhüttenstadt-Diaspora finden sich in einem aktuellen Facebook-Kommentar-Thread vereinigt: Schrumpfen, Schröpfen, Überaltern. Unbegründet oder absurd sind diese Eindrücke keinesfalls. Aber leider eben auch nicht übermäßig differenziert.
Generell gilt: wo die Impulse fehlen, gewinnen bestimmte andere Positionen an Einfluss. Wer hier nicht richtig und mit Fingerspitzengefühl (mit- und gegen-) kommuniziert, muss mit ansehen, wie sich bestimmte Mauern verfestigen. Beispielsweise gerade weil man zu wenig Sensibilität beim Einreißen anderer Mauern vermittelt.
Prinzipiell ergibt sich daraus schon eine oppositionelle Konstellation zum übergeordneten (Neu)Ordnungsgestus der Stadtpolitik. Diese führt jedoch, wie es der hiesigen Tradition weitgehend entspricht, oft nur zu Mitarbeitsverweigerung. Dass die Teilhabemöglichkeiten, die in einer demokratischen Bürgergesellschaft bestehen, bisher kaum zureichend vermittelt und etabliert werden konnten, ist die zweite Seite der schmucklosen Medaille.
IV
Es findet sich aber ein aktuelles Gegenbeispiel. Es ist leider auch vielsagend für die Situation in Eisenhüttenstadt, wie die dazugehörige Berichterstattung auf der heutigen Titelseite des Oder-Spree-Journals der Märkischen Oderzeitung (Printausgabe) dem Aufstand eines Mopsbesitzers im Scheunenviertel gegen den Hundekot der Anderen untergeordnet wird. Suburbane Sehnsüchte nach Ruhe, Ordnung und Sauberkeit erhalten auch hier Priorität über kreativ-konstruktive Lebenslust und Auseinandersetzung mit Eisenhüttenstadt.
Dabei zeigte die Eröffnungsveranstaltung zur Ausstellung der wunderbaren Identitätsreflexion „Meine Stadt – mein Leben“ äußerst anschaulich, wie vergleichsweise wenig nötig ist, um einen positiven und zeitweiligen Eingriff in den Stadtraum vorzunehmen. „Vergleichsweise“ deshalb, weil das persönliche Engagement der Beteiligten selbstredend erheblich war.
Was braucht man also zum positiven Durchbrechen der Allmächtigkeit, zur Intervention in die Gemächlichkeit der Planstadtgesten in Bau und Kopf?
1.) Einen Impuls. Der liegt für diesen sonnigen Beispielnachmittag in der Eröffnung einer das Thema Stadt und Identität direkt ansprechenden Fotoausstellung.
2.) Eine Handvoll Akteure, die die Ausstellung produzieren, die Veranstaltung organisieren und nach ihren Möglichkeiten die rahmende Hilfe beispielsweise durch das Bereitstellen u.a. eines Ausstellungsraumes in exponierter Lage leisten. Eine junge Architekturvermittlerin bietet dazu eine Stadtführung und junge Musiker sorgen für eine gelungene klangliche Untermalung dieser Stunden.
3.) Öffentlichkeit. Diese stellt sich in gewissen Umfang in der Magistrale von selbst her. Einige Plakate und Flyerkarten sowie eine Popularisierung über die entsprechenden Web- und Pressekanäle stimulieren zusätzlich Aufmerksamkeit.
4.) Eine offene und inklusive Atmosphäre. Das Schöne an der konkreten Veranstaltung am Sonnabend lag tatsächlich in der Bandbreite der Teilhabe, die vom unverbindlichen Anschauen bis zum verbindlichen Knüpfen von Kontakten reichte. In der Lindenallee ergab sich dadurch eine Ahnung von Möglichkeit, die völlig unterschiedlich genutzt wurde. Jeder konnte sich ein Glas Sekt oder Saft nehmen, konnte an der Stadtführung teilnehmen oder konnte einfach auf einem der Stühle in der Sonne sitzen und mit der Musik das Gefühl zu haben, dass es sich bei der Magistrale nicht um eine Konsum- oder Transitachse handelt, sondern um einen öffentlichen Ort, in dem man sich ungezwungen aufhalten kann.
Zusätzlich anregend wirkt in jedem Fall, wenn man die plötzlich in großer Zahl herumtollenden Kinder mit Straßenmalkreide ausstattet und so vergängliche wie deutliche Spuren ausgelassener Lebensfreude auf die zementgrauen Gehwegplatten auftragen lässt…
V
Diesmal passte also alles. Ich jedenfalls kann mich an keine Veranstaltung seit den improvisierten Feiern zum ersten Mai in den 1990er auf der Skateboardbahn erinnern, bei der sich so unkompliziert eine so angenehme Stimmung ergab. Das ist sicher nicht repräsentativ, denn ich verbrachte in den letzten Jahren mehr sonnige Samstage auf der Hangwiese des Berliner Mauerparks, auf der allein sich gemeinhin gefühlt die Bevölkerung eines gesamten Eisenhüttenstädter Wohnkomplexes (nun in der Variante Hipster) versammelt, als auf Eisenhüttenstadts Promenierpflaster. Aber für alle, die sich an die Veranstaltungen in 1990ern erinnern, wird so eventuell nachvollziehbar, wie es letzten Sonnabend zuging. Man braucht gar nicht viele Menschen. Man benötigt nur die passenden.
Das Wetter hatte sicher seinen Anteil an der fantastischen Stimmung. Aber ich glaube, der Schlüssel zum Glücken lag ganz hauptsächlich bei den Anwesenden und Mitwirkenden (bei mancher sogar buchstäblich). Und die zeigten sich, so mein Eindruck, alle weitgehend entspannt und sehr sehr zufrieden. (Vielleicht die arme junge Architekturvermittlerin ausgenommen, der ein vorlauter Mitläufer immer mal wieder ins Konzept sprach, während sie es dessen ungeachtet meisterte, völlig auf den Punkt eine Einführung in die Kernstadt zu geben, die sowohl Tom Hanks wie auch den kaum weniger telegenen Martin Maleschka mehr als überzeugt hätte.)
Ich hatte es bei Facebook
schon angemerkt: Veranstaltungen dieser Art bieten die Möglichkeit, einen aufwertend wirkenden Gegenpol zu der ansonsten sehr auf Konsum und Passivität hin gerichteten Atmosphäre in Stadt und Stadtgesellschaft anzubieten. Auch das Stadtfest aktiviert nicht in der Weise, in der es solche kulturellen Interventionen in die Magistrale nach Ladenschluss schaffen. Man entdeckt die Menschen dafür, wie sichtbar wurde, nach wie vor in der Stadt. Und es kommen Menschen deswegen, wie ebenfalls sichtbar wurde, in die Stadt. Kristin, Protagonistin der Bilderschau, formulierte es in ihrer Positionierung sehr treffend:
„Natürlich ist es wichtig Probleme zu benennen, aber dann sollte auch der nächste Schritt erfolgen, in dem nach Möglichkeiten gesucht wird, wie aus der Not eine Tugend gemacht werden kann. Auch bei uns gibt es kluge Köpfe mit kreativen Ideen und reichlich Tatendrang: wir sollten ihnen nur die Chance bieten, aktiv zu werden und selbst unsere Augen offen halten, um die kleinen Veränderungen wahrzunehmen.“
Im Fall von „Meine Stadt – mein Leben“ ergab sich die Chance, wurde genutzt und die kleine Veränderung die sich dadurch einstellte, hob jedenfalls mein Stadtbild tatsächlich einen Schritt weiter. Denn eine Eisenhüttenstadt, in der Menschen wie Kristin leben und sich entfalten, scheint – trotz Schrumpfung, Schröpfung und Überalterung – noch lange nicht verloren. Diese Planstadt ist solchen BewohnerInnen eine Mitmachgeste. Wie schön wäre es, wenn es nicht bei diesem einen Schritt weiter bliebe.