Neues aus der Rubrik
Planstädtisches zur Nacht:
Die Planstadt ist eine Allmachtsgeste. Sie zeugt von Eroberungsdrang, einer normativen Kraft, die Widerspruch nicht duldet - militärische, männliche, martialische Assoziationen drängen sich auf. Planstädte sind ideologisch, gebauten Ideen kann kein Bewohner ausweichen. Jeden Tag stößt er an die Grenzen der Lebenskulisse, die auch seinen Denkhorizont abstecken soll, Planstädte wollen mehr als überzeugen: Sie wollen bezwingen.
So schön wie treffend beschreibt es der Kunsthistoriker Christian Welzbacher gestern in seiner Besprechung der
Asmara-Ausstellung im
Deutschen Architektur Zentrum. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 268/2006, S. 40)
Und was aus denjenigen Bewohnern wird, die sich nur noch mit der Geste,aber nicht mehr mit der Allmacht dahinter konfroniert sehen, kann man im aktuellen Stadtschadensreport von Uwe Stiehler in der gestrigen Ausgabe der
Märkischen Oderzeitung nachlesen:
Leere, stumpfe Menschen, befreit von jedem Sinn außer dem, den der unmittelbaren Triebabfuhr, wobei die ähnlich tumbe Gemengelage aus
Die-Größte-Schweinerei-des-Jahres-Konsumrauschgesellschaft und absoluter sozio-ökonomischer Deklassierung dazu führt, dass man sich hier eine derart perspektivlose Schicht heranzieht, die - sofern sie ihre Ausgrenzung überhaupt derart realisieren - diese in ungehemmter Form auch aus- und so intensiv es ihnen möglich ist gegen alle gemeinschaftsstiftenden Werte anleben.
Ja, ihnen wird nichts geschenkt, jedenfalls keine Bedeutung und daher sehen sie auch, fast möchte man meinen zurecht, keinen Anlass ihre kleine Welt bar jeder Verantwortung zu verlassen. Wenn man derart in der existentiellen Sinnlosigkeit versunken ist, bleibt auch nichts mehr zum verlieren und dann lebt man draufgängerisch und vor allem aggressiv gegen alles - auch sich selbst.
Solange die (Stadt-)Gesellschaft hilflos schulterzuckend 14jährige mit der Lebensperspektive "Wenn ich nichts finde, haue ich einen um und dann komme ich halt ins Gefängnis, da gibt's ja alles, was man braucht, sogar ein Schwimmbad." erstens jenseits der Kenntnis der deutschen
Jugendvollzugsanstaltswirklichkeit
und zweitens jenseits irgendeines Anspruchs an das eigene Dasein und Drang sich überhaupt einen Platz in der Gemeinschaft zu suchen, braucht sie sich gar nicht so sehr um Wohnumfeldverbesserung zu bemühen.
Die Ursachen sind vielfältig: Zum einen steht dahinter mangelnde soziale Kontrolle - als 100prozentiges Gegenstück zu realsozialistischen Überwachungsmentalität - im Zuge eines verkehrt verstandenen Individualismus und einem Freiheitsverständnis, das eine Karikatur dessen darstellt, was die Väter des Grundgesetzes im Blick hatten.
Zum anderen sieht man sich konfrontiert mit einer so dilettantischen wie bigotten Bildungspolitik, wobei eine den Herausforderungen nicht angepasste personelle Ausstattung der Schulen - die offensichtlich nach für in diesem Zusammenhang ganz offensichtlich deplazierten Kosten-Leistungs-Bewertungsschemata ermittelt wird - in einem krassen Missverhältnis zu einer auf einem ebenso krassen Missverständnisses des PISA-Benchmarkings beruhenden Aussage des Landesbildungsministers Holger Rupprecht steht, der da schönredet: "Darüber hinaus werden wir uns verstärkt fragen müssen, wie wir die Lehrkräfte künftig noch besser unterstützen und motivieren können."
Da hat jemand, der sich über die unzureichende Vermittlung naturwissenschaftlicher Kenntnisse beschwert, das Prinzip des Regelkreises noch nicht so richtig verinnerlicht.
Denn wo sich Lehrer außerhalb einiger Vorzeigegymnasien immer häufiger mit einer Schülerschaft voller Lernverweigerung, bestenfalls rudimentär ausgeprägter sozialer Kompetenz, dafür hochkultivierter Aggressionsbereitschaft und privatfernsehgeschultem Konfliktverhalten auseinander setzen müssen, sie also zu puren Aufsichtspersonen degradiert sind, wird auf Dauer kaum ein hohes Motivationsniveau aufrechtzuhalten sein. Diese Scharte verfehlter (Gemein-) Sinnstiftung kann auch ein Ethikunterricht nicht mehr auswetzen.
Dies gilt umso mehr für eine Stadt, in der seit je bildungsbürgerliche Ideale nicht allzu hoch im Kurs stehen.
Entsprechende Traditionslinien gab es hier nicht, vielmehr schwebte eine Art Parteireligion über allem und
zu dieser passend ging es mehr um Folgsamkeit, als um die Kraft, "sich seines eigenen Verstandes zu bedienen". Zuviel Eigenständigkeit im Denken war dagegen für ein gesellschaftliches Weiterkommen oft eher hinderlich. Ob es diese Spuren sind, die sich in die Stammbäume der Verlierer der gesellschaftlichen Dynamik gegraben haben und die jetzt Asozialität zu einer Art letzten "Tugend" werden ließen? Das Leitbild heißt jedenfalls ein bisschen zu oft
Nichts: "Ich bin nicht, ich kann nichts, mir wird niemand nichts schenken. Und daher schulde ich auch niemandem und nichts etwas.", als dass man hier von einer perspektivisch funktionstüchtigen Stadtgemeinschaft träumen sollte.
Da kann der Bürgermeister noch so oft nach Halbe fahren und sein Gesicht
gegen Rechts in die Kamera halten: Diese Menschen areligiösen und desozialisierten Gruppen der Bevölkerung werden, wenn es sich ergibt, bereitwillig folgen, wenn sie etwas zum Folgen finden, dass ihnen ein bisschen von der Sinnsicherheit gibt, die allgemein verloren gegangen ist.
Denn vom Lebensinhalt der (Binnen) Konsumgesellschaft sind sie leider ausgeschlossen. Die Wahrheit des Kaufens für ein besseres Leben ist für sie keine, da ihnen die Mittel zur Teilhabe an der Reproduktion dieser Scheinkultur fehlen.
Wo die Not ist, erfreut sich jede Alternative einer Blüte. Und je einfacher die neue Wahrheit, desto schneller marschiert man mit im Sauseschritt. Denn der Planstädtische Denkhorizont bezwingt noch jeden, der die gebaute Ideologie nicht zu transzendieren versteht. Widerspruch wird nicht geduldet.