(*Da die Überschrift des Kyrillischen nicht mächtig ist, musste der eigentliche Titel "Вашим, товарищ, сердцем и именем..." in eine Fremdsprache übertragen werden. Ich bitte Andi Leser um Verständnis.)
Im Normalzustand des sozialen Miteinanders macht man sich durch nichts lächerlicher, als durch das wiederholte Erzählen des gleichen Witzes. Dies gilt gemeinhin als Verstoß gegen das Originalitätsgebot und wird in manchen Kreisen mit langanhaltenden rhythmischem Klatschen, in anderen mit einem kurzen kopfgeschüttelten Prestissimo geahndet. Beides packt den Humoristen bei seiner (Ver-)Standesehre und dient ihm entweder als Ansporn oder Absprung.
Mehr denn je gilt dies in den Zeiten der unbegrenzten Reproduzierbarkeit des Schalks. Übersättigt vom YouTube-Bombardement der Lustigkeit sehnt sich der Connaisseur der geschickten Pointe nach dem einmalig zündenden Kubischen Kanonenschlag aus Calembourg, der zündet, explodiert und noch lange nach hallt.
Mehrfache Wiederholung ist dagegen im flachen Wasser des Breitenhumors nur durch besonderen Tiefgang gerechtfertigt. Alles andere treibt ab, verschwimmt in der Wirkung, macht sich einmal pitschnass und bleibt Mario Barth, Bully Herbig oder Wigald Boning.
Wieso also hat Andi Leser, der schweijksame Max Goldt-Sucher seine Perlenschnur des gepflegten Jokus, mit denen er Amateurwitzbolden wie Hape Kerkeling, Dieter Bohlen oder Heinrich Lübke locker die Butter aus der Butterfahrt nimmt, sein an Schwipp-, Schwank- und Scherzartikeln reiches Furiosum nicht nur einmal, nicht nur zehnmal sondern gleich 300fach aufs Papier gebracht, setzen lassen, überarbeitet, anders setzen lassen und in Ulla Berkéwicz-Überlebnis-rote Tunke getaucht dem gnadenlosen Buchmarkt ausgeliefert?
Der Grund ist ein einfacher: Der Leser goutiert die Wiederholungsregel einfach brillant mit Feinschliff, wo anderen der Apatit vergeht (Achtung: versteckte Mineralogen-Zote!). Auch diejenigen, die Heinz Strunk für zu berechenbar halten, um noch einmal zur Zunge Europas zu greifen, finden in Andi Lesers Potpourri ein Basiswerk, in dem man immer wieder blättern kann, ja muss, um sich für das jüngste Gericht (z.B. Mittagessen) zu stärken.
Sicher auf jedem Parkett. Wenn man nicht weiß, womit man das Herz einer Stahlinstädterin erobert, ob mit einer Leninbüste auf dem Nachtschrank oder einfach Blumen auf's Dach - mit dem Anti-Lepra-Buch "Hinz- und Kurzgeschichten" kann man nichts falsch machen.
Denn:
Dieses Buch unterm Arm ist etwas Tolles und schindet in jedem Händchen in der U-Bahn mehr Eindruck, als eine zerlesene Ausgabe von David Edgar Foster Wallace' "Unendlichem Spaß" mit einem aus dem Buchblock im letzten Drittel herausbaumelnden Lesebändchen.
Dieses Buch, wie Du's auch hältst, meistert in der S-Bahn mehr Nahverkehr, als die S-Bahn selbst.
Mit diesem Buch ist im Bus nicht mal an der Endhaltestelle Schluß.
Dieses Buch auf dem Fahrrad, wünschte sich Jean Paul Marat.
Dieses Buch in der Tram, kommt einfach immer super am!
Kurz und lang: Dieses Buch gehört nicht in jedermanns Regal. Dieses Buch gehört Krethi und Plethi und Heinrich und Konrad (und allen anderen auch) weit aufgeschlagen mit Gummizug als Brett zwischen Kopf und Welt gezurrt, auf dass man in der permanenten Konfrontation mit dem Traurigkomischen aus der kratzigen Schwungfeder des Lesers auch beim Ernst Jandln im finsteren Tal des Daseinsalltags eine Navigationshilfe vor Augen hat, einen Leittext, der wirklich umsetzt, was das viertabgedroschenste Sprichwort der deutschen Sprachgeschichte nach „Erich Mühsam nährte ein Eichhörnchen“, „Von Nichts kommt Kunst, nur wenn sie brunzt“ sowie „Auf einer Brotzeit sind die Kaiserbrötchen König“ einzig andeutet: Nur weg ist das Ziel.
Weg in das Stahlinstädele des Andi Lesers hinein, irgendwo zwischen Tramadol und Tralfamadodre, zwischen Katze im und Knüppel aus dem Sack. Hier lacht das Herz nicht nur feuerrot, hier atmet es sich frei, wild und brät. Gratuliere! Chapeau! Hip Hop Hurray!
Die bisherig bekannten, ja berühmt gewordenen Besprechungen reichten von begeistert („der Pschyrembel unter den Schopenhauer-Gesamtausgaben“), versteinert („Ein Buch, so sicher wie das Amen in der Kirche“) bis enthusiastisch („Lachhaft!) und basieren vorwiegend auf der Kenntnis des Schutzumschlages sowie des Schmutztitels, der sich allerdings tüchtig gewaschen hat.
Was „Faserland“ für Sylt zu leisten vermochte, sollten die „Hinz- und Kunzgeschichten“ für Spitzbubbergen sein: harter Stoff für die einsame Insel, einsamer Stoff für die harte Insel, eine bittere und battelnde Lektion für alle, denen das, was auf den Tisch kommt, nicht heiß genug gegessen werden kann.
Hinz- und Kunzgeschichten sind das Reiskorn im Sand am Meer, die Perserkatze unter den Straßenkötern, die Majolikafließe derer, die sich aus der Gesellschaft ausklinkern und auf und davon kacheln, der Stimmbruch im Karaokekeller des Universums, das Höhlengleichnis im Lichte der Diskokugel. Kurzum: Sie sind so wertvoll wie ein kleiner Staeck. Mindestens.
Leser, Andi (2009): Hinz- und Kurzgeschichten. Berlin: Berlin : Schaltzeit. 12,80 Euro - weitere Informationen
Neue Stimme der Leser: http://bit.ly/15eGA0 #Buch @andileser #Kurzgeschichten