Unser Weblog bekommt weitaus seltener Post als die Weblogs gestandene Medienerzeugnisse wie z.B. dieser Tage die der tageszeitung. Das ist vollkommen in Ordnung, denn erstens haben wir weitaus weniger Leser, zweitens verfolgen wir über nicht unbedingt über vergleichbar massenattraktive Themen und drittens sind wir auch keine professionellen Berichterstatter, also keine tägliche Anlaufquelle für diejenigen, die solide recherchierte Qualitätsnachrichten suchen. Jeder, der mit Pressearbeit und Journalismus sein Geld verdient, wird auf den ersten Blick bestätigen, dass der Eisenhüttenstadt-Blog ein vielleicht herziges, vielleicht lästiges Laienmedium darstellt, das mit sehr schmaler Fanbasis versehen mindestens gegen die Hälfte aller Regeln verstößt, die für solide Qualitätsmedien mit nennenswerter Reichweite gelten. Da wir gar nicht viel mehr als das sein wollen, was wir sind, stört uns eine solche Wahrnehmung auch nicht.
Manchmal bekommen wir aber doch Leser-Briefe und nicht selten sind es hochzuschätzende Andi-Leser-Briefe. Heute zum Beispiel als Kommentar zum Kommentar zu den Eisenhüttenstadteindrücken Joachim Bessings. Da wir in dieser schriftlichen Vorlage den stillen Keim einer ambitionierten Blog-Debatte wittern, gibt es die Antwort nicht im schwer lesbaren Kommentarfeld, sondern in der Breite eines Blogpostings. Dieses darf und soll möglichst wieder kommentiert werden. Denn Andi Leser hat zwar den Kern des Anliegens des von ihm kritisierten Textes nicht getroffen, mich als Autor jedoch gezwungen, die Argumentation noch einmal nachzuschärfen, was immer gut ist. Hier aber zunächst seine Anmerkung in Breitwandformat:
Mein Lieber,
ich las soeben deinen Blogeintrag und dadurch neugierig geworden den
Welt-Artikel von Joachim Bessing und verstehe die Aufregung und die
vielen Worte nicht. Der Artikel war nicht die Welt. Soll das heißen,
dass nur die Einheimischen bzw. Ehemaligen die Stadt Scheiße finden
dürfen und sonst niemand? Wir wissen beide, dass Eisenhüttenstadt keine
Perle am Oderstrom ist wie zum Beispiel Frankfurt an der Oder - oder?
Klar hat die Stadt auch andere, schöne Seiten, die wir auch kennen und
ausleuchten und beschreiben und fotografieren, aber auf den ersten
Blick bietet sie sich nun mal nicht an. Sie erscheint rechtwinklig,
leer, monoton, steril. Und so wirkt sie auf Gäste, so wirkte sie schon
auf mich als Kind. Wem willst du also diese Kritik verdenken.
Bieten wir doch Herrn Joachim Bessing an, ihn mal auf eine gemeinsame
Stadt-Irre-Führung mitzunehmen, am liebsten ab Mai, und zeigen wir ihm
den Ort aus der alternativen Stadtwahrnehmung. Ich bin momentan eher
auf Dialog und Kooperation aus, als auf Meckern, Kritisieren und
Fingerzeig. Das überlasse ich gern der sogenannten Blogosphäre, denn
sachliche und ausgewogene Berichterstattung ist nun mal nicht deren
Ding. Bisher jedenfalls. Blogger sind subjektiver als andere
Schreiberlinge, die auch publizieren. (Andi Leser, am 11/03/09 um 05:54)
Nun gilt es zu erläutern, warum ich denke, dass Andi Leser mich nicht richtig verstanden hat und dass es nicht nur um Joachim Bessings Stadtwahrnehmung geht.
Mein lieber Andi Leser,
ich verdenke niemanden seine Kritik und nichts liegt mir ferner als „ Meckern, Kritisieren und Fingerzeig“. Mein Kommentar ist viel weniger Entgegnung auf Joachim Bessings Reisenotizen als ein Nachdenken darüber, wie Medien, Journalisten und ihre Rezipienten mit der Stadt Eisenhüttenstadt verfahren. Natürlich wirkt Eisenhüttenstadt im November nicht sonderlich anziehend. Das darf jeder so empfinden. Das empfindet jeder auch so.
Nur erwarte ich von einer Qualitätszeitung, die von Qualitätsjournalisten gestaltet wird, dass sie sich nicht von der Trübsal des Wetters leiten lässt. Sie verfügt naturgemäß über einen professionellen Blick, der nicht nur Klischees reproduziert, sondern etwas Mitteilenswertes aus dem Erfahrenen zu extrahieren versteht. „Sachliche und ausgewogene Berichterstattung“ beruht also auf mehr als bloßen Assoziationsfetzen. Dafür bezahle ich als Leser meine 2 Euro für die Tageszeitung. Darin soll sie sich nach Möglichkeit vom Blog am Eck unterscheiden.
Wenn ich entsprechend etwas an Joachim Bessings Artikeln konkret kritisiere, dann dass sie sich auf einem nicht nennenswert höheren Niveau als dem in der Blogosphäre üblichen bewegen.
Da er aber unter dem Label WELT daherkommt, beansprucht er automatisch einen anderen Stellenwert in der Reichweite seiner Deutung. Ein großer Teil der Leser nutzt solche Publikationen, um sich ein Bild von den Zusammenhängen jenseits ihres Erfahrungsbereiches zu machen. Die Stimme eines Journalisten hat mehr Gewicht, als die eines Stimmungsbloggers. Natürlich weicht Joachim Bessing in seinen subjektiven Einsichten und Erfahrungen der Beispieltexte vom Objektivitätsanspruch der allgemeinen Berichterstattung ab und deshalb schreibt er bei der WELT auch en blog. Allerdings erschien der Burger King-Artikel auch wieder als regulärer und überschritt damit eine Schwelle im Anspruch an die Qualität.
Ich habe mir nun in meinem Kommentar erlaubt, auf dieser Basis und aufgrund verwunderter Kommentare von Lesern dieser Texte, die Beiträge zu Eisenhüttenstadt in der WELT detaillierter zu betrachten und auch zu erläutern, wie meiner Meinung nach durch die Verknüpfung von bestimmten Bildern Bedeutung konstruiert wird. Damit wollte ich zunächst deutlich machen, dass die Kommentatoren und irritierten Leser, die sich über seine Darstellung beschweren, falsch liegen, wenn sie den Aussagen ein Gewicht über den unmittelbaren Eindruck hinaus beimessen:
„Dagegen [gegen die Texte] ist überhaupt nichts einzuwenden, so schreibt man, wenn man Weltbürger- und berichterstatter ist. Nur müssen alle, die jetzt empört meinen, Eisenhüttenstadt sei gar nicht so, eben das Fingerspitzengefühl aufbringen, den Blickwinkel eines Stilkritikers und professionellen Schreibers mit mit diesem Hintergrund einzunehmen."
Die daran anschließende Frage war für mich, wieso altvertraute und tausendmal gehörte und gesagte Stereotypen hier erneut als berichtenswert verstanden und publiziert werden, wo doch Joachim Bessing zweifellos ein Blick zuzutrauen ist, der souverän erkennt, dass ein an einem düsteren Herbsttag in einem Schnellrestaurant angetroffenes Stimmungsbild nur ungerecht sein kann. Der darüber hinaus versteht, etwas zu sehen, was sonst vielleicht niemand sonst bisher sah. Er ist immerhin Leiter des Ressorts Stil und mit berufsmäßigem Stilbewußtsein gehen bekanntlich nur sehr wenige durch Eisenhüttenstadt.
Ich erwarte von ihm nichts weniger, als dass er aufgrund seiner Professionalität (und vielleicht auch dank seines Berufsethos') nicht danach sucht, eine Erwartungshaltung bestätigt zu sehen, sondern sich die Mühe macht, diese sich selbst gegenüber zu hinterfragen. Vielleicht hat Joachim Bessing dies auch getan und konnte beim besten Willen nicht hinten den Eindruck zurück treten. So wie ich nicht hinter mein hohes Erwartungsbild an eine überregionale Tageszeitung dieser Prägung zurücktreten möchte, obwohl sich in jeder Ausgabe Artikel finden lassen, die mit diesem Anspruch eklatant kollidieren. Dann erwarte ich von einem Schriftsteller wenigstens spannende Wendungen in der Sprache der Beschreibung. Der Satz mit dem Rind im Hohlweg gefiel mir jedenfalls, weil hier ein Funken neue Metaphorik aufblitzte...
Der eigentlich wichtige Punkt, den Du, Andi Leser, ja leider hinter dem eher banalen Anlass der unmittelbaren Kritik übersiehst, ist die Beobachtung, dass Deutungen spezifisch ostdeutscher Verhältnisse in den Massenmedien häufig durch bestimmte Gruppen/Eliten erfolgen, denen ein wirklicher Zugang zu dieser Referenzwelt fehlt. Dies ist meine Hauptthese im WELT-Woche-Text, die gern auch widerlegt werden darf. In jedem Fall kann man hierüber eine lohnenswerte Diskussion führen, der ich mich gern stelle.
Ich behaupte also, dass die dominierenden deutschen Massenmedien wie die WELT, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung, der SPIEGEL, etc. vorrangig ein Publikum erreichen, das ihnen selbst ähnlich ist, (nicht nur) im Fall der (hier mal vereinfacht so klassifizierten) Menschen an der ostdeutschen Peripherie. Die Schnittmenge mit den in der Berichterstattung abgehandelten ist dagegen zumeist sehr gering. Kurz: Man schreibt über Eisenhüttenstadt für die Leute in Hamburg, Berlin, Leipzig und Hannover. Nicht für die Eisenhüttenstädter.
Ein wirklicher Dialog zwischen Betrachter und Betrachteten findet nicht statt, kann nicht stattfinden. Der Berichterstatter weiß in der Regel, welche Story er will, welche seine Leser erwarten und welche er der Redaktion verkaufen kann. Zumeist – so der Eindruck – besteht wenig Willen, davon abzuweichen. Da die Zeitungen für eine bestimmte Zielgruppe schreiben, zu denen die Eisenhüttenstädter ganz überwiegend nicht gehören, wird der Artikel zwangsläufig eher an die Rezeptionserwartungen der Zielgruppe und nicht an die der Eisenhüttenstädter angepasst. Diese kleine Differenz fördert jedoch nicht das Verständnis der Zielgruppe für die Beschriebenen, sondern erhöht die Distanz. Sie verfestigt die Grenze zwischen uns und denen. Jedenfalls dann, wenn sich der Berichterstatter nur auf der Seite der Lesererwartungen bewegt.
Zusätzlich besteht eine Diskrepanz im Zugang zu diesen Kommunikationsmitteln. Während also bestimmte gesellschaftliche Gruppen ihnen adäquate Deutungsmedien haben, fehlen anderen die Erklärungsplattformen. Zum Beispiel den Eisenhüttenstädtern. Die die Agenda bestimmenden Debatten wirken aber dennoch zurück auf die Betrachteten. Dies geschieht über Türöffner-Medien wie die Boulevard-Presse oder Fernsehnachrichten. Über diesen Weg werden zuvor im Diskurs verfestigte Bilder, Metaphern und Deutungen zurück zu den Ausgangspunkten transportiert. Die Betroffenen übernehmen mitunter im Glauben an die Autorität einer solchen, im gesellschaftlichen Kontext als legitim bestimmten Berichterstattung die ihnen präsentierten Erklärungen und nutzen sie für sich selbst als Deutungsmodell ihrer Umwelt.
Überspitzt formuliert schämt sich der Eisenhüttenstädter, wenn seine Stadt schlecht in der BILD-Zeitung erscheint. Er nimmt an es läge an der Stadt, nicht an der Zeitung. Oder er wendet sich in grundsätzlicher Enttäuschung von jeder Form politischer Berichterstattung ab. Für eine diskursbasierte Demokratie erweist sich beides als denkbar ungünstig.
Die Aufgabe und Chance eine engagierten Blogosphäre wäre, solche Tendenzen zu unterlaufen und Alternativen anzubieten, um ein Vielfalt der Deutungen zu ermöglichen. Das versteht man unter Grassroots-Medien. Es gibt hierzulande wenige Beispiele, wo das gelingt. Vermutlich sind wir auch keines, da auch uns aus der Ferne zu weiten Teilen der direkte Bezug zur aktuellen Eisenhüttenstädter Lebenswirklichkeit fehlt. Wir haben Erinnerungen, wir haben Erzählungen. Wir sind aber draußen und zwar zu beiden Seiten.
Ich sehe die Verständnisschuld jedoch weitgehend bei denen, die die Deutungen professionell vornehmen, da ihre Wahrnehmung einerseits geschulter ist, andererseits expliziter und weitaus wirkungsvoller kommunziert wird. Jemand wie Joachim Bessing sieht gemeinhin voraus, welche Formulierung vom Publikum wie verstanden wird, wo es nickt und wo es den Kopf schüttelt. Daraus ergibt sich die Befähigung, die richtige Pointe an der richtigen Stelle anzubringen um eine bestimmte Wirkung hervorzurufen. Wenn der Eisenhüttenstadt-Blog schriebe, Eisenhüttenstadt sei lebenswert, wäre die Reichweite dieser Botschaft weitaus geringer und die Aussage im großen Maßstab weniger glaubwürdig, als jeder Bericht in WELT und BILD, der besagte, hier stürbe Deutschland aus.
Ich vermisse an dieser und auch an anderer Stelle in der deutschen Medienlandschaft die Bereitschaft und Sensibilität, sich tatsächlich auf die Situation einzulassen. Übrigens auch in der eigenen Erfahrung. Die Bestätigung einer Vorannahme und vielleicht auch des ersten Eindrucks, dieses – wie Du, Andi Leser, es sagst - „Scheiße finden“, das oft noch mit dem fragwürdigen Mut-zur-eigenen-Meinung honoriert wird, steht Dialog und Kooperation zumeist im Weg. Sowohl in der Stadt wie auch in der Außenwahrnehmung. Wer Interesse an einer Sache hat, relativiert die eigene Meinung und versucht, unabhängig von ihr, zu verstehen.
„Sie erscheint rechtwinklig, leer, monoton, steril.“ - Gut, wissen wir alle von Kindheit an. Und jetzt? Warum muss sich etwas auf den ersten Blick anbieten, wenn man inzwischen weiß, dass dieser Blick in der Regel trügt? Warum muss man mitspielen, gefällig sein, Erwartungen bedienen, die in ganz anderen Zusammenhängen geprägt wurden? Wieso muss man eine „Perle am Oderstrom“ als Maßstab heranziehen, wenn es schlicht um Lebenswirklichkeiten geht? (Und auch: Warum muss man sich, wie es in der Blogsprache gang und gäbe ist, sich immer den Latz der Ironie als Rückzug umschnallen, aus dessen Deckung man bei Mangel an argumentativer Schlagkraft immer noch mit der Rechthaberei auf der eigene Seite rufen kann: Alter, Du verstehst echt keinen Humor! Die Eva Schweitzer-Debatte ist ein äußerst unangenehmes Beispiel dafür.) Es geht nicht um „schöne Seiten“ oder graues Elend. Es geht auch nicht um Joachim Bessings kleine Impressionen. Sondern um das, was ein in der WELT gedruckter Satz wie
„Die Bilder vom alltäglichen Leben in Eisenhüttenstadt machten mir das Einschlafen schwer.“
bewirkt. Kann man ihn ernst nehmen? Für Joachim Bessing selbst mag er sogar wahr sein. Wenn ihn das aber nicht anfuchst, weiterzureflektieren, erscheint er wie ein Fashion-Statement, dem man bei der nächsten Party im Prenzlauer Berg wiederbegegnet, auf der einem die jungen, schönen Menschen begeistert erzählen, dass sie nun wissen, wo es richtig derb ist und dass sie sich am nächsten Wochenende den Kick holen und hinfahren wollen (so etwas passiert tatsächlich). Für sie ist Eisenhüttenstadt, sind die Menschen und die Lebenswirklichkeiten dort, reine Unterhaltung und ein Objekt, an dem man sich schnell und einfach selbst bestätigen kann. Sie nehmen weder Stadt noch Bewohner ernst und leider habe ich diesen (womöglich trügerischen) Eindruck auch beim WELT-Reporter Joachim Bessing. Das ist am Ende die Tatsache, die ich eigentlich kritisiere.
PATRONEN AUF KATZEN
MELONEN AUF FRATZEN