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Eisenhüttenstadt Blog

Weblog für eine alternative Stadtwahrnehmung

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Geschrieben von
Ben
in Sonstiges
Donnerstag, 16. Oktober 2008
1 Kommentar

Auf einer sehr elementaren, meist gastronomischen, Ebene vollführt das eher grobschlächtige ethnologische Differenzierungsvermögen manches Ostdeutschen und damit auch manches Eisenhüttenstädters beim Stichwort "China" eine großmächtige Pirouette über die Landkarte und subsumiert, wenn von Chinesen die Rede ist, gleich die dereinst in der DDR weitaus häufiger anzutreffenden Vietnamesisch-Stämmigen mit. Diese Reisnudelsuppe haben sich einige selbiger Volksgruppe aber oft auch selbst eingebrockt, und zwar sofern sie kein dezidiert vietnamesisches Restaurant begründeten, sondern sich mit als Allround-Asiaten (gern auch mit türkischem und amerikanischem Einschlag) am Markt postierten.
Da verallgemeinert mancher schnell aus einem stereotypen Blick heraus und spricht vom "Chinesen", zu dem man geht, um sich z.B. in sommerlich-brütender Hitze sein Mittags-Balut als Erfrischung zu holen. Meist bekommt aber keines, sondern einfach nur Wan Tan gebacken in Süss-Sauer-Sauce oder Hühnerfleisch mit Nudeln.

Vor 1990 bekam man dagegen in Eisenhüttenstadt selbst Letzteres nur in deutschen Variante mit Nudeln aus Riesa und nicht selten wurde dabei das Hühnerfleisch durch ein Würstel oder Jagdwurstwürfel ersetzt. Chinesisch war daran bestenfalls die Farbe, wenn es denn Ketchup gab. Womit die 131 Teilnehmer des Chinesischen Jugendkunstensembles, das vor 55 Jahren im Herbst 1953 in der sehr jungen Stalinstadt gastierte, versorgt wurden, ist leider nicht bekannt, wäre aber eine tolle Randinformation. Manche wollen sich erinnern, dass drei von den Besuchern eines morgens mit einem Kontrabass auf der Straße saßen - bzw. dra van ahnan mat nam Kantrabass - bis dann Schald and Schwart dar Parta kamen und nachfragten, was sie denn so erzählten, aber da kann das misstönende Lied der Erinnerung auch völlig falsch erklingen.

Ebenfalls unbekannt ist, ob und, falls ja, was die 25 chinesischen Jugendlichen, die dieses Jahr Eisenhüttenstadt besuchen, neben den Gastgeschenken Flaschenöffnern, T-Shirts, Pfeffidosen, USB-Sticks, DVD-Postkarten und, sofern prominent genug, Gemälden aus dem Pinsel Matthias Steiers (vgl. zu diesem Thema die Märkische Oderzeitung) als Verköstigung überreicht bekommen. Wohlbekannt dagegen ist, dass sie dieser Tage durchs Stahlwerk laufen und zwar durch die alte Variante, wie dpa meldet:
"Bis zum 19. Oktober stehen unter anderem Besuche bei EKO Stahl in Eisenhüttenstadt und in Potsdam auf dem Programm"
Da ist die Pressemeldung leider nicht auf dem Stand der Zeit. Das Werk heißt unsinnigerweise schon länger nicht mehr so, auch wenn dem aus dem Nachbarmilliardenvolk der Inder stammenden Neu-Eigentümer 2006, Lakschmi Mittal, die Namenssache vielleicht Wurst gewesen wäre, plagen ihn doch andere Sorgen. So konnte er daheim in London - wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung heute anmerkt - jüngst nicht sein drittes Wohnobjekt in der Milliardärsstraße Kensington Palace Gardens wie gewünscht kaufen, sondern musste auf eine andere suboptimale, dafür aber mit £70 Millionen auch günstigere Liegenschaft in der Nähe zurückgreifen. Wir können das nicht weiter kommentieren, weisen aber darauf hin, dass er das zweite seiner Häuser an dieser teuren Ecke der Welt von einem ehemaligen Lehman Brothers-Mitarbeiter erworben hat, der dafür von Lakschmi Mittal schlappe £117 Millionen erhielt. Das erinnert ein wenig an die KfW, die allerdings auf Gegenleistungen jedweder verzichtete. In Eisenhüttenstadt hat sich der Werksbesitzer leider noch nicht einmal eine der schönen altersgerecht renovierten Wohnungen in der Pawlow-Allee gesichert.

Worin der Mittal'sche "Misserfolg" also bestehen soll, der in diesem Artikel als Illustration für den früher (damals vor vier Monaten) dekadenten Immobilienhandelsalltag in London herhält, wird nicht überzeugend deutlich. Unklar bleibt ebenso, wieso der Endredaktion der heutigen Ausgabe der FAZ entging, dass die Oderflut nicht wie von Stefan Dietrich in seinem Leitartikel behauptet im Jahr 2002 sondern bereits fünf Jahre zuvor ablief. Solch ein Schnitzer auf der Titelseite stärkt nicht gerade das Vertrauen in Deutschlands Bollwerk des Qualitätsjournalismus, wobei man zugeben muss, dass - was die Marktdurchdringung angeht - die Frankfurter Allgemeine zwischen Elbe und Oder ohnehin kaum Land sieht.

Die dpa dagegen irrt nicht nur beim Stahlwerksnamen, sondern auch in der Behauptung, dass die Jugendlichen aus dem Reich der Mitte auf Einladung der Bundeskanzlerin herüber kommen. Statt der offenen Geste einer charmanten Weltpolitikerin ist es nämlich ein schöner Chinamann, der lockt.

Morix Glück hat in seinem Weblog die ganze Geschichte vom schönen Chinesen in mindestens ebenso schöne Worte gefasst:
So etwas Schönes wie den schönen Chinesen hatten selbst die Chinesen noch nie gesehen. Mit Mondraketen, Mopeds und Fahrrädern, auf Stelzen und Essstäbchen machte sich das Milliardenvolk auf die lange und beschwerliche Reise nach Eisenhüttenstadt, um den schönen Chinesen zu betrachten und Fotos von ihm zu knipsen.

Da wir uns als erfahrene Duras-Liebhaber der Attraktion eines Chinois durchaus bewusst sind, beeindruckt uns dies noch nicht übermäßig. Aber der Fortgang der Geschichte verblüfft dann umso mehr, denn eine Darja Beller oder eine Josefine Sperling trifft man auch in Eisenhüttenstadt nicht jeden Tag an der Bushaltestelle (z.B. weil beide demnächst in Bremen zum Endausscheid eines Model-bzw. Schönheitswettbewerbs sind):

Auch von den Eisenhüttenstädtern machten die vielen Chinesen Fotos, denn die fanden sie ebenfalls schön.

Wie bitte? Sie finden die Eisenhüttenstädter schön anzusehen und fotogen? ... Na ja, wenn man genau hinschaut: Warum eigentlich nicht? Der schöne Chinese ist derweil schon wieder fort und zwar nach Schwedt. Wir freuen uns dagegen, dass andere Chinesen anscheinend trotzdem immer mal wieder vorbei kommen und hoffentlich nicht mehr aufhören, Eisenhüttenstädter Langnasen zu fotografieren.

Sie sind schüchtern, aber in chinesischer Fotoheilbehandlung.

Noch neigen die Menschen in Eisenhüttenstadt dazu, sich hinter einem durchaus variablen Bild zu verstecken. Noch. Denn eines Tages werden sie um ihre Schönheit und um die ihrer Stadt wissen, so wie es die Bewohner im chinesischen Lingang schon seit dem April 2007 tun. Dann gibt es kein Halten und Sperren mehr, dann bricht Schönheit ihre Bahn für die Eine, diese Eisenhüttenstadt, in der allen klar ist: nicht die Ware aber die wahre Schönheit kommt von Innen. Oder gar nicht.




Tags für diesen Artikel: china, dpa, , frankfurter allgemeine zeitung, lakschmi mittal, ,
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#1 dia am 10/31/08 um 11:21 [Antwort]
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