Der Frühjahrsputz der Eisenhüttenstädter Wohnblöcke trug die selbe Farbe, weniger zur Schau, als zur Scham, die auch der Sommerputz, der Herbstputz und erst recht der lange Winterputz an die Fassaden warfen: Grau. Sobald man in der Erinnerung zurücktaucht, scheint es manchmal nicht nur ein knarriger Jux zu sein, wenn man Erstbesuchern der Stadt, vorzugsweise aus den ferneren Bundesländern, erzählt, dass Eisenhüttenstadt in Schwarz-Weiß gebaut wurde und nach 1989 mühsam koloriert werden musste.
Natürlich stimmt das nicht, wie der Blick auf alte Fotografien beweist: Diese Jahre waren nicht Schwarz-Weiß sondern grau gestuft. Das Fotoalbum beweist: Zum Fahnenappell trat man im Grauhemd an, in den Kaufhallen gab es nur Graubrot, auf dem Frühstücks-, Mittags- und Abendbrot standen Graupen bereit, bis die zarteren Gaumen (hier:Graumen) graureihern gingen, über die Trabrennbahnen sausten Grautiere, auf den Grau-Weiden kletterten Grauhörnchen und im Weinregal stand nur Grauburgunder. Immerhin gab es die Bunte manchmal als Grauimport (z.B. im Umweg über Polen oder Tschechoslowakei) und ansonsten war Vielfarbigkeit etwas für graue Zellen. Außerhalb dieser traf man nur graue Mäuse. Sogar Fehlfarben kamen nur aus dem Westen. Und selbst die Militärs in ihrem steingrauen Tuch träumten in ГРАУ und dass das von der DDR hochgehaltene Leit- und Mahnbild Picassos ausgerechnet in Grisaille-Malerei entstand, ist nur folgerichtig. Doch dann erschien, so die Geschichte stark gerafft, Micha (G.) und vergaß entgegen dem berühmtesten Liedes, das Hiddensee je im Text hatte, den Farbfilm nicht und mit dem "Fade to Grey" (deperir a gris) war es 1989 vorbei. Und mit den grauen Eminenzen (mal buchstäblich gemeint) ebenso. Aus der Graus. Fort mit dem grauen Star, der den Blick eingetrübt hat. Être gris,wie der Franzose sagt, taumelte man durch die grauen Mauern aus dem Grau in Grau und konnte das sogar in Colotron (4000) betrachten.
Grau ist die Farbe des Ausdruckslosen genau wie die des Unbestimmten. Und der Morgen graut im Osten - seit grauer Vorzeit übrigens und zum Glück. Denn sonst bliebe es ja die ganze Zeit über weltraumschwarz und zappenduster und bestimmt selbst vor dem Fernseher beim Zappen duster. Während Gerhard Richter sich mit seinem Deutschen Guggenheim-Auftragszyklus 2002/2003 noch mit Acht Grau begnügte, greift der beliebte Uhrenhersteller Nomos Glashütte im 20sten Jahr nach der Wende (und nicht etwa der Halse) das Thema (Zwanzig) Grau für eine auf - na klar - jeweils zwanzig Exemplare limitierte Armbanduhren-Serie des Modells "Orion" auf. Der Jägersmann gleichen Namens starb, so die Sage, aufgrund einer blöden Wette, bei der Artemis aus dem Wald, die ihn eigentlich ganz gut mochte, aus Versehen einen Pfeil in den Kopf schoß. Der ach so reine Apollon hatte gestichelt und wer sich hieraus eine Dolchstoßlegende für das Ende der DDR zusammenreimen mag, soll das ruhig tun, wenn er vermag.
Wir schauen, solchem Schürfen in den Untiefen der Vorbestimmtheit enthoben, viel lieber auf die Uhr. Im Jahr Zwanzig nach gibt es in der Serie zwanzig Grautöne für Zifferblätter, von denen jeder eine Stadt repräsentiert. Das Modell Glashütte selbst bekommt noch ein goldenes Ringlein (18 Kt) dazu. Abgesehen davon ist es selbst für den farblich nicht übermäßig Unbeschlagenen überraschend, wie groß das Spektrum, dass das vermeintlich öde graue Grau umfasst, in Relation zu ostdeutschen Klein- und Mittelstädten sein kann. Dessau ist nah an einem dunklen Lila, ausgerechnet Schwarzenberg kommt himmelhell wie tatsächlich im Morgengrauen daher und Treuenbrietzen taumelt fast ins Rosane.
Eisenhüttenstadt liegt eigentlich irgendwo zwischen Schwarzenberg und Treuenbrietzen. Um aber die farbliche Stimmigkeit der Einschätzung mit der der geografischen Positionierung in Übereinstimmung zu bringen, muss man etwas grobsiebiger schreiben: Zwischen Schwarzenberg und Pasewalk. Obwohl alle Uhren - bis auf die Glashüttene, die durch den Goldrand entscheidend verliert - ausgesprochen ansehnlich sind, erscheint uns die Eisenhüttenstädterne aus irgendeinem Grund am sympathischsten. Auch im Blindtest.Das hat seinen Grund: Der Uhrengestalter Michael Paul nämlich "hat Städte in der ostdeutschen Provinz besucht, die Grauwerte gemessen und daraus Zifferblätter gemacht." (vgl. hier) Das graue Licht der Stadt/spiegelt sich im grauen Stich des Blatt' - so kann man das Fazit reimen und als jemand, der dieses Licht seit Uhrzeiten eingesogen hat wie kaum ein anderes, ist die unmittelbare Attraktion zum hellen Grau dieses Halbtons (selbstgemessener hex color code: B1ACB0) grundnatürlich. Einen Namen dafür zu finden, fällt nicht ganz leicht, zumal sich die Farbtonmessung über die Internetabbildung nicht als übermäßig zuverlässig zeigt. Für das berühmte Gainsboro ist es eindeutig zu dunkel und einen Tick zu sehr ins Lila strebend. Das Grau namens Clair de Lune strebt dagegen vergleichsweise mehr ins Grünliche, liegt im Bereich Helligkeit aber schon näher am Ziel. Auf den ersten Blick tändelt der Ton wohl in Richtung aschgrau. "Aschgrau auf Dein Haupt, Stadt!" Das klänge doch schon mal. Nur nicht so gut. Schließlich stößt man in der subjektiven Kurzbewertung auf das "Wolfsgrau" (timberwolf), das noch ein wenig näher liegt. Allerdings sind die grauen Wölfe polit-symbolisch höchst bedenklich besetzt. Aber dann gibt es noch das fliegende Wolfsgeschöpf aus dem Märchen vom Iwan Zarewitsch. Das konnte sich immerhin ins Roß Goldmähne verwandeln. Manchmal liegt der Wolf zwar beim Lamme, aber nie (bzw. selten) liegt er danieder. Besonders der fliegende nicht.
Solch Uhrwerk zierte im zwanzigsten Jahr nicht nur das Handgelenk des Earl Grey gar fein mit den Erinnerungstönen der Farbe, aus der vermeintlich und manchmal tatsächlich die DDR gestrickt war. Hier waren nachts immerhin - wie man hört - alle Katzen grau. Und es ist schon bezeichnend, dass die Hauptdarstellerin des vermutlich populärsten Westimports im Deutschen Demokratischen Kino Jennifer Grey hieß.
Wo allerdings das Blatt der Uhr in grau erscheint, denkt man sofort an Momo und die Zeitdiebe, die es in der DDR dank der Lizenzausgabe im Kinderbuchverlag aus dem Jahr 1984 nicht nur als Graue Literatur gab. Elegant sind die Uhren ja. Aber duften sie auch noch unter den Stundenblume? Nomos wirbt für das Modell "Orion" allgemein mit: wunderschön schüchtern. Das passt selbst 2009 noch auf den ostdeutschen Stereotypen von Nebenan (mitunter abzüglich des "wunderschön"). Aber es passt nicht zum wolfenen Grau, das mehr knurrigen Biss verspricht und weniger nettes Miteinanderrudeln. Oder doch? Immerhin hießen die Wolfsidole der Eisenhüttenstädter DDR-Kindheit nicht Skalli und Hati sondern eben auch Lupo, Lupinchen und Eusebia (höchstens als Grauimport einsehbar), nicht zuletzt in Ergänzung zu den mausgrauen Fix & Fax der Atzen (mitunter am Kiosk erhältlich). Auch im Grauen gibt es also noch Hoffnung.
P.S. Eine Antwort auf die Frage, warum für die Einheits-NOMOS gar nicht so einheitsgedanklich ausschließlich ostdeutsche (Einheits-NOMOS-)Städte als Grauquellen herangezogen wurden, muss erst noch heranreifen und kann momentan nicht gegeben werden. Mutmaßungen aller Art sind als Kommentar durchaus erwünscht.
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