"A healthy animal is up and doing" - William McDougall, 1923Drei kurze Tage vor dem hundertsechsunddreißigsten Geburtstag des Vaters der "hormischen" Psychologie, die die inneren Antriebe der Lebewesen in ihren Betrachtungsmittelpunkt rückte, freuen wir uns so elegant ein Zitat William McDougalls unterbringen zu können. Da McDougalls Arbeiten und auch die von Wallace Graig den "Gänsepsychologen" Konrad Lorenz beeinflussten, führt der Steg der Assoziation geradewegs zu Vogelplansche im Eisenhüttenstädter Heimattiergarten, in denen es schmucke Enten, Gänse und Schwäne in mehr oder weniger einträchtigem Beeinander zu beobachten gibt.
Besonders auffällig ist dieser Tage der flaumig-daunige Trauerschwan, über den wir im April berichteten: Unser Eisenhüttenknut. Mittlerweile seit zweieinhalb Monaten aus dem Ei gepellt erweist sich der muntere Kerl als buchstäblich putzig, denn wenn Schwäne gerade nicht ruhen, balzen oder sich ernähren, neigen sie ganz offensichtlich dazu, sich permanent mit dem Schnabel durchs Gefieder zu fahren: aufrecht und aktiv, wie es William McDougal schon in den 1920ern als Grundmerkmale eines gesunden Tieres erkannte. Der Eisenhüttenknut ist also zweifellos bei guter Gesundheit, was uns enorm freut und eigentlich allen Eisenhüttenstädtern Grund genug sein sollte, wieder einmal im Tiergehege vorbeizuspazieren und mit ihren Eintrittsgeldern dafür zu sorgen, dass die Entenvögel auch morgen noch genug Grund zum gründeln finden.
Noch ein Weilchen wird der Schwarzschwan ganz in Grau durch's Revier watscheln und ein bisschen fragt man sich, warum der Förderverein dies nicht stärker nutzt. Mittlerweile kann man Silbermünzen mit Knut-Motiv erwerben, aber von Eisenhüttenknut sieht man kaum ein Bild, es sei denn, man knipst es selbst. Oder findet es online.
Foto: ehstiques bei ipernity
Die Märkische Oderzeitung, um zu einem ganz kurzen Blick in die Eisenhüttenstadt-Presse zu gelangen, macht sich um die Rettung bedrohter Wörter verdient, dies allerdings nicht ganz so schnurrig wie die Titanic. Den Rahmen bietet die Eröffnung der generalüberholten Freilichtbühne:
Ganz stolz auf dieses Kleinod ist auch der Arbeitsdirektor von Arcelor Mittal, Rainer Barcikowski. Das Stahlunternehmen hat großen Anteil an der Sanierung. "In der Stadt ist Rhythmus", betonte er.Schauen wir einmal ins Deutsche Wörterbuch:
Kleinod: "Gegenstand von geringem Umfang, aber von Wert durch Stoff oder darauf verwendete Arbeit."Alles lebt natürlich von Vergleich und wenn man die Kuppelhalle denkt, die Albert Speer einst für die Welthaupstadt "Germania" über das Berliner Alsenviertel stülpen wollte, dann wirkt die Freilichtbühne in den Diehloer Berger freilich sehr bescheiden dimensioniert. In der Liga der Eisenhüttenstädter Veranstaltungsorte besitzt sie, da das Inselstadion niemals über die Spielfläche hinaus umgesetzt wurde, die größte Sitzplatzkapazität, ist also eher als Großod zu bezeichnen. Dennoch ist es selbstverständlich wunderbar, dass es Rhythmus in der Stadt gibt. Früher war der Rhythmus, bei dem fast jeder mitmuss(te) der der Werksschichten. Heute ist Alltag allerdings viele eher arhythmisch, was einer pluralistisch-freiheitlich Gesellschaft auch besser steht. Die Märkische Oderzeitung stellt derweil ein paar Bilder vom Sommerfest der Filmmusik online.
Ein 34-jähriger Pistolero dagegen verlor am Samstag ein bisschen den Takt und hätte vielleicht eine Woche und auf den Lunik-Film warten sollen, um zu sehen, dass man, wenn man Eisenhüttenstadt denn wirklich verlassen möchte, die Waffe besser senkt als hebt. So endete die Flucht im Taxi in der hiesigen Krankenhauspsychiatrie. Die Märkische Oderzeitung hat die ganze Story im Programm.
Und schließlich findet sich noch eine höchst zitierfähige Formulierung im Report zu Georg Mann, Künstler und Praktikant in Eisenhüttenstadt:
Die Stadt will sich jungen Künstlern öffnen.Angeregt hat die Praktikumsvereinbarung mit der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein der Bürgermeister selbst und nun hat er einen Idealisten in seiner postutopischen Stadt, der ausgerechnet von den hiesigen Entscheidungsträgern Wunschvorstellungen für eine bessere Gesellschaft zusammentragen möchte:
Dass seine Porträtierten ihm so wenig Utopien diktierten, sei zwar ein wenig traurig. Aber er verstehe das. Das stelle er auch bei sich selbst fest. "Mit dem Alter verschwinden sie."Da hat ihm MOZ-Reporter Jan C. Weilbacher mit der Wortwahl nichts Gutes getan. Denn welches Bild soll man sich von einem 31jährigen Bildhauer hauen, der bedauert, dass ihm zuwenig Utopie diktiert wurde - dies in der ersten und konsequentesten sozialistischen Stadt auf deutschen Boden, in der das Diktat der sozialistischen Utopie zu den Grundsteinen gehörte, auf denen man die Wohnkomplexe in die Landschaft setzte. Allerdings ist die Stadt erst in ihrer postsozialistischen Sinnkrise nach 1990 so richtig in eine Spirale gerutscht, die sie gen "Nichtort" trudeln ließ. Die Frage, ob sie sich mittlerweile gefangen hat, ist nicht leicht zu beantworten. Künstler in die Stadt zu holen, die hier "Identität" und "Örtlichkeit" erfassen, mag eine nette Idee sein und solange man sie nur ans und nicht ins Werk drängt, wird auch niemand empört "Bitterfeld" rufen. Andererseits hat man jedoch Observation von Außen in den letzten Jahren schon mit Projekten wie Stadt 2030 beinahe zu intensiv betrieben und in jedem Fall mit einem erschreckend geringen Nachhall. Wenn die Stadt wirklich dieses Ziel verfolgt:
Denn die Stadt will, dass Eisenhüttenstadt wieder stärker in den Blickpunkt junger Künstler rückt. Zur Lebensqualität gehöre auch eine lebendige Kunstszene, sagt der Bürgermeister Rainer Werner.dann sollte sie vielleicht auch einmal die hiesige junge Kunstszene fördern.
Eisenhüttenstadt wiederum erhält mit Hilfe des Projektes Reflexionen über sich selbst und einen künstlerischen Blick von außen.dokumentiert Jan C. Weilbacher das offizielle Bestreben. Vielleicht, so könnte man meinen, wird auf den Blick von Außen - und zwar durch Kunstpraktikanten - auch soviel Wert gelegt, weil man den Blick von Innen scheut. Allerdings ist ein solcher die Basis für eine "lebendige Kunstszene" ("A healthy art scene is up and doing"). So gut die Arbeiten von Georg Mann auch sein mögen: drei Monate Praktikum sind für die Entwicklung einer solchen und damit auch für die einer "topischen" Identität bei weitem nicht ausreichend und vermutlich nicht viel mehr als ein Eintagserlebnis im Eisenhüttenstädter Alltagsmittelmaß.
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