Kann man sich von dieser „Ostschnitte“ (Super Illu) noch eine Scheibe abschneiden?
Wir wissen es nicht genau, aber dank dem illustrierten Heimatblatt „Super Illu“ gelingt uns wenigstens ein kleiner Einblick in das Leben von Annika Schulze, bei deren Fortgang, so lässt die Überschrift zu dem kurzen Interview mit dem Mädchen von ehemals Nebenan vermuten, die Straße leer war. Da kann man rufen wie man will, das Karussell des Lebens dreht sich unbarmherzig weiter und Annika kehrt bestimmt nicht mehr um. Denn in der Ferne gibt es, verglichen mit dem Eisenhüttenstädter Grau des Morgens zwischen unbefahrenen Gleisen, vielleicht ein Asyl im Paradies und da steht sie nun am Fenster irgendwo zwischen Schlaraffenberg und Cafe Anonym und schreibt öffentlich Tagebuch für die Zurückgebliebenen daheim.
Was denn nun anders sei, fragt die Interviewerin die junge Auswanderin:
„Na, auf jeden Fall die Größe. Und die Menschen: Hier gibt es alle Kulturen, etliche Sprachen, total unterschiedliche Leute. Das finde ich gut. Natürlich ist man sich in einer so großen Stadt nicht so nah. Deswegen sind die Frankfurter aber nicht unfreundlicher – auch wenn viele auf der Straße ein bisschen grimmig gucken. In »Hütte« ist mir das nie aufgefallen, aber da sind die Straßen ja viel leerer, praktisch tot. Hier in Frankfurt sind immer viele Menschen unterwegs.“
Ja momentmal, ist denn unser Mädchen vom Heimatlande gar nur über die tote Ausfallstraße die halbvitale Bundesstraße hinaufgebraust und in der quicklebendige Ex-Hansestadt an der Oderfurt gestrandet?
Würde man nur den zitierten Ausriss kennen, wüsste man tatsächlich nicht, ob das gemeinte Frankfurt nun die pulsierende Beamtenstadt auf der Oderterasse oder der quirlige rheinisch-mainische Handelsknotenpunkt im Taunusvorland ist. Liest man mehr, erklärt sich selbstverständlich alles auf: Frotzeleien, die Herkunft betreffend, sind Kerngeschehen in der rabiaten Paulskirchenmetropole, denn wo die Glocke „Für Freundschaft und Frieden mir allen Völkern“ bimmelte, da ist man auf ewig versöhnt bis zum Gehtnichtmehr. Was wir natürlich gern wissen würden, ist, ob unsere Herkunftsverwandte tatsächlich so naiv ist, zu glauben, dass mit dem „zeigen, wie man Bananen isst“ seitens ihrer männlicher Mitschüler sei nur eine verspätete Adaption des Zonen-Gabi-Späßchens aus der frühnachwendlichen Titanic. Wir, als im Geiste freier Körperkultur erzogene Söhne des nahenden deutschen Ostens, sind hier natürlich Schelme ersten Ranges, wenn es darum geht, etwas Böses dabei zu denken.
Annikas kurzer Blick zurück ist tröstlicherweise keiner im Zorn, sondern eher ein freundlich-familiärer, der die schönen Erinnerungen hochhält. So bringt der Beitrag des Fachblattes für ostdeutsche Lebensphilosophie und –kultur zwei erfreuliche Erkenntnisse hervor: 1. es gibt sie noch, die normalen Menschen in der Stadt, deren Normalität sich u.a. dadurch offenbart, dass sie irgendwo in die Mainaue abwandern, weil ihnen Eisenhüttenstadt in etwa soviel Normalität und Perspektive bieten kann, wie das Thomas Bernhardsche Österreich Thomas Bernhard und 2. dass die Stadt ein Ort schöner Erinnerungen sein kann und nicht nur ein verrußter Pseudomoloch, dessen Urbanität aus einer Anhäufung von „Fickzellen mit Fernheizung“ (Heiner Müller) besteht, aus dem jeder verstandesklare Mensch sofort mit Sack und Huckepack Reißaus nimmt. Wenn Annika ihr positives Erinnerungsbild hoch zu Roß in den Kampf gegen externe und interne Stereotypien führt, dann ist schon Einiges gewonnen.
Unser heimatverbundener Gruß geht also von den stillschweigenden Höhenzügen der Diehloer Berge in den Metropolentrubel (bzw. an die Bunsenbrenner in den pharmazeutischen Laboratorien) der Rothschildstadt und unser berichtererstattungskollegialer Dank an die Redaktion der Super Illu.
Díe ganze SuperStory der Annika Schulze gibt es hier: Ich bin stolz, ’ne Ostschnitte zu sein