Ein Gerücht ging um in der Eisenhüttenstadt. Das Gerücht der Back(waren)wahns. Ich hörte es zuerst vor etwa 1 1/2 Monaten bei einer heißen Soljanka in einer Brotverkaufsstelle hinten in Eisenhüttenstadt II (Fürstenberg): Nachdem die Deutsche Bank ihre Bankgeschäfte in der Lindenallee einstellt, eröffnet sich die Möglichkeit die freigewordenen Räumlichkeiten im Herzen der Stadt mit Backgeschäften neu zu beleben. So jedenfalls seien die Pläne des Gubener Back-Tycoons Peter Dreißig, der schon ein paar Filialen in der Stadt betreibt, nun aber anscheinend gen (nominelles) Zentrum expandieren möchte. Die Idee ist an sich nicht weiter verwerflich und besser als die öde Bankfiliale ist ein Bäckereigeschäft allemal. Der Haken dabei ist bloß, dass Backshops und Konsorten eine der wenigen Geschäftsformen sind, von denen die Stadt und selbst die Lindenallee eigentlich schon mehr als genug hat. Ein an sich überflüssiger Verdrängungswettbewerb getreu dem Motto "Des einen Brot ist des anderen Tod" wird befürchtet. Etwas ernüchterner erscheint allerdings die heute in dem das Thema aufgreifenden Beitrag in der Märkischen Oderzeitung zitierte Hoffnung, dass gerade der bereits omnipräsente Bäcker für Belebung in der Magistrale sorgen soll.
Für ein solches müsste schon ein flottes Kaffeehaus mit Schick und Schmäh entstehen, um hier tatsächlich eine sinnvolle Bereicherung der Innenstadt herbeizuführen... Ein heller Raum mit Ledersesseln und Sachertorte nicht nur am Sonntag und die ganze Bandbreite der deutschen Qualitätspresse in einer Leseecke: das wäre mal etwas, was man sich wünscht. In der Zeitung heißt's schlicht, ein Café soll entstehen und wenn man dabei auf den Mischbrotverkauf verzichten würde, gäbe es am Ende - auch ohne Qualitätspresse in der Leseecke - vielleicht sogar ein Art "Win-Win-Situation".
An anderer Stelle jedoch steht fast sicher Verarmung an. Das wunderschöne Möbelkaufhaus von Erwin Rösel und Hans Klein aus dem Jahr 1961 scheint nämlich seine Funktion einzubüßen:
Für Ernüchterung unter den Händlern sorgte auf der Mitgliederversammlung die Nachricht, dass sich "Wohnwelt-Möbel" zum Jahresende aus Eisenhüttenstadt, speziell aus der Lindenallee, zurückziehen will.
Dies soll zwar nach MOZ-Angaben noch nicht endgültig entschieden zu sein. Perspektivisch allerdings vermutlich doch:
Tatsache sei, dass das zu DDR-Zeiten gebaute Möbelkaufhaus heutigen Ansprüchen nicht mehr genüge. "Es ist einfach zu klein für uns. Wir können die Ware gar nicht unterbringen und präsentieren"
Vielleicht liegt es aber auch an den Kauf- und Erwartungsgewohnheit der Einwohner und der korrespondierenden Angebotsstruktur. Denn wen es durchs Berliner Stilwerk treibt, der erkennt durchaus dass sich auch mit recht wenig Platz, Möbel sehr ansprechend präsentieren lassen. Wer in Eisenhüttenstadt kann - bzw. wer von den Eisenhüttenstädtern die können, würde - sich ein schon ein Stück aus der Bretz-Kollektion in den Wintergarten stellen?
Das Problem der Lindenallee liegt aber ganz offensichtlich auch noch an einer anderen Stelle: an der Zielgruppe in Gestalt der Stadtbevölkerung. Denn irgendwie scheint es, dass diese sich immer noch zu großen Teilen scheut, öffentlichen Raum als öffentlichen Raum zu begreifen und zu nutzen. Sicherlich könnte man mit einer noch besseren Ausstattung von passenden Stadtmöbeln die Aufenthaltsqualität der Hauptstraße heben, insgesamt gilt es aber, der Bevölkerung Eisenhüttenstadts zu vermitteln, dass sie hier ausnahmsweise mal etwas von der Magnet-Jugend lernen kann, nämlich den Stadtraum als Aufenthalts- und Kommunikationsraum zu nutzen. Im November wirkt die Forderung natürlich etwas deplaziert, für die klimatisch geeigneten Monate (etwa Ende März bis Mitte Oktober) gibt es hier aber noch Benutzungsreserven. Notwendig ist dabei in jedem Fall ein allgemeines Umdenken, dass von der Position, dass diese Straße nur Verkaufsstraße ist, wegführt. Auf der Hand läge dabei eine stärkere Konzentration auf Gastronomie. Und vielleicht ist vor diesem Hintergrund die Dreißig-Entscheidung wirklich begrüßenswert. Dies jedoch nur, wenn an dieser Stelle mehr herausspringt als die typische Filiale, die allen anderen zum verwechseln ähnlich sieht. Wenn es hier, wie beispielsweise auch in dem idiotischen Aldi-Lidl-Wettkampf in der Karl-Marx-Straße, nur um die Absteckung der Claims und Verdrängungsgeschäfte gehen sollte, hätte die Gewi ordentlich am Ziel vorbeigesemmelt. Wir hoffen aber auf den Einfallsreichtum der Backfachleute aus der Neißestadt und entsprechend auf ein Café gehobener Qualität.
Mehr zu den aktuellen Entwicklungen im Stadtzentrum gibt es im Oder-Spree Journal der Märkischen Oderzeitung: Stärkerer Branchenmix gefordert
Es gab übrigens Zeiten, da war der Mix "zwischen Lunik und Fix" ein bisschen vielfältiger..