I
"Wo der Staat die Zeugnisse aus seiner DDR-Vergangenheit nicht in seinem Sinn uminterpretieren kann, versucht er offenbar lieber, sie aus dem Stadtbild verschwinden zu lassen."
Schrieb Thomas Groetz in einem Kommentar (
art. Ausgabe 09/2000, S.115) zum Abriss des Berliner Ahornblatts, einem weitreichend als architektonischer Meilenstein der DDR anerkannten Gebäude des Ausnahmebauingenieurs Ulrich Müther. Das zackige Gebäude auf der Berliner Fischerinsel stand sogar unter Denkmalschutz, was das Land Berlin nicht daran hinderte, dem Abriss für eine Investitionsbebauung durch eine Firma mit dem vielversprechenden Namen
Objekt-Marketing Gesellschaft (OMG) zuzustimmen.
Die Interpretation Thomas Groetz‘ verfehlt den Sachverhalt vielleicht ein wenig. Denn die ideologische Frage greift nur bedingt, wo finanzielle Aspekte zählen. Ein Investitionsvorhaben rechtfertigt auch das Unterpflügen einzigartiger Kulturleistungen. Dass man damit eine maßgebliche Spur DDR aus dem Herzen der Berliner Republik verlor, kann man wahlweise als Kollateralschaden einer (notgedrungen) investitionsfixierten Stadtentwicklungspolitik sehen. Oder als glücklichen Zufall für den Seelenfrieden der Berliner Politiker, die auch gern den Fernsehturm, das Marx-Engels-Forum und den Palast der Republik beiseite geräumt haben wollten, um zu zeigen, dass sie, was die Freude am Kahlschlag angeht, voll auf der Parteilinie derer liegen, die sie schon immer von Grund auf verachteten.
Die Klein- und Große Kreisstadt Weißwasser (Běła Woda) verbindet mit Berlin vorwiegend die Tatsache, dass sie die zweite Hälfte der DDR-Eishockeykultur stellte. Dynamo Weißwasser war neben Dynamo Berlin die Mannschaft, die das DDR-Sportministerium im Eishockeybereich noch zu fördern bereit war. Daher waren die DDR-Eishockeymeisterschaften auch eher eine übersichtliche Angelegenheit.
Dass man in Weißwasser nun eine Schule abgerissen hat, ist eher typisch für den Umgang mit überzähligen Infrastrukturobjekten in der bevölkerungstechnisch schrumpfenden und alternden ostdeutschen Provinz. Zumal, wenn die Städte finanziell keine finanziellen Spielräume besitzen, um sich etwas Neues zur Nutzung derartiger Objekte auszudenken.
Das Politikum ist nicht einmal, dass mit der Schule an der „Straße der Jugend“ nun auch ein Wandbild, das ausgerechnet den Namen „Lebensfreude“ trägt,
verschwindet. Der übertragenen Botschaft, die davon ausgeht, etwas,
das „Lebensfreude“ signalisieren soll, zu zersägen, muss man gar nicht erst nachgehen. Bemerkenswert ist nur die Begründung. Eigentlich aber auch nicht. Denn laut Lausitzer Rundschau gab es zwei Möglichkeiten, mit dem Wandbild des Elsterwerdaer Künstlers Georgios Wlachopolus zu verfahren:
„Das Wandbild bleibt samt Giebelwand stehen, was inklusive statischer Ertüchtigung 71 400 Euro kosten würde. Oder das Keramikfliesen-Mosaik wird samt Stahlbetonwandplatten in Einzelteile zersägt und diese werden eingelagert. Die Kosten dafür: 23 263 Euro.“
Wer ostdeutsche Gemeindepolitik kennt, wäre sehr überrascht, wenn man sich für das Stehenlassen entscheiden wollen würde. Wo in Berlin die Investition in Millionenhöhe zur Destruktion motiviert, ist es in Weißwasser das Sparen im Zehntausenderbereich. Zumal der zu erwartende Druck einer gewissen
Kohorte der Bevölkerung, die bei allem, was ihr unverständlich ist, ausstößt: „Dafür ham se Geld!“, auch noch einzurechnen ist. Das stumpfes Sparen ohne Investition die Misere der darbenden Kommunen niemals lösen kann, hat sich bei den Kleinsten unter den Bürgern, die dazu passend jenseits der ausgewählter Leserbriefspalten der Regionalpresse meist auch am wenigsten Bürger im zivilgesellschaftlichen Sinne sind, noch nicht herumgesprochen. Wer jegliche Kultur demontiert und Dokumentationszentren und Museen zur Disposition zu stellen überlegt, arbeitet viel stärker gegen die Zukunft einer Stadt, als der, der doch noch mal irgendwo etwas des ohnehin – wie aktuelle wirtschaftspolitische Praxen zeigen – eher relativen Impulsmediums Geld herausrückt.
Darüber, dass mit einer
Giebelwand mit Namen „Lebensfreude“ einen tragfähigen weichen Standortfaktor mit Signalwirkung erhält, lässt sich sicher geteilter Meinung sein.
Nicht jedoch darüber, dass Weißwasseraner Stadtrat Harmut Schirrock von der schon benennungstechnisch bestimmte Tellerränder adressierenden Initiative „Wir für Hier“, in ein sehr misstönendes Horn stößt:
„Schirrock verwies auf Tausende ähnlicher Wandbilder in der DDR. Alle zu erhalten, ginge nun mal nicht. "Man muss sich auch mal von Dingen trennen können."“
Damit gibt er die Frage vor, die jede Auseinandersetzung mit DDR-Kunst und vor allem im Stadtraum befindlicher Kunst zwangsläufig begleitet. Was ist wie erhaltenswert?
Schmale Mittel sind selbstverständlich bei Entscheidungen hilfreich, wenn es darum geht, abzuwägen, ob man Meißener Spaltkeramikplatten für 23.000 Euro zersägt und abräumt oder für eine Mehrinvestition im öffentlichen Raum hält und sich damit zugleich noch der Herausforderung stellt, wie man diese künstlerische Kleinkapital der Stadtgesellschaft weiter nutzbar machen könnte. Mit ideologischen Aspekten muss man sich nun gar nicht mehr befassen. Die unverfängliche Arbeit Georgios Wlachopolus‘ besitzt für derartige Diskussionen zugegeben auch vergleichsweise wenig Potential.
Das Kurzsichtige am Argument Harmut Schirrocks liegt jedoch darin, dass er anhand der möglicherweise sogar kunstgeschichtlich begründbaren Verzichtbarkeit des Kachelbildes (
in Guben diskutiert man dahingehend (fast nicht mehr) um ein Wandbild des Malers Günther Friedrich) nonchalant schlussfolgert, dass man sich problemlos der Sache entledigen kann. Es sollen halt die Anderen die Alltagserzeugnisse aus dem Kunstkombinat DDR aufbewahren. Nun findet sich vermutlich in jedem ostdeutschen Stadtparlament jemand, der – für sich und immer mit der Maßgabe eines
Wir für Hier! – genau dieses Totschlag- und Abrissargument in ein Sitzungszimmer wirft. Da jeder dieser Hartmut Schirrocks die Überzeugungskraft der Einsparrechnungen und Sachzwänge auf seiner Seite hat, könnten im zugespitzten Fall eben keine tausend Wandbilder mehr bleiben.
Wer bestimmt aber über die Reichweite des „Man muss sich auch mal von Dingen trennen können.“? Wo man in Weißwasser und anderswo hauptsächlich die jeweils aktuelle Haushaltslage in den Mittelpunkt rückt, berührt man zugleich immer auch den Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Die Balance zwischen akutem Handlungsdruck und langfristigen Bewahrungszielen zu finden, ist sicherlich sehr schwer. Ordnungspolitische Leitlinien aus dem Bereich der Dachkammerentrümpelungen zu generieren – und etwas anderes lässt sich aus einer Formulierung wie „Man muss sich auch mal von Dingen trennen können.“ zunächst einmal nicht lesen – stände aber selbst semiprofessionell betriebener Lokalpolitik nicht gut zu Gesicht.
II
Die Anschlussfrage, die uns nun auch irgendwie wieder zu Eisenhüttenstadt bringt, einer Kommune, die ihr gesamtes nennenswertes architektonisches Kapital und den überwiegenden Teil ihres künstlerischen Bestands aus einer ideologisch, nun ja, bedenklichen Zeit bezieht, lautet: Was würden wir verlieren, wenn wir all die Wandbilder der Wlachopolus‘, Clauß‘ oder Womackas von den Wänden nehmen würden. Leider hat der Weisswasseraner Stadtpolitiker Bernhard Waldau (CDU) nur bedingt unrecht, wenn er meint:
„Das Interesse an dem Mosaik sei zuletzt nicht groß gewesen. So habe es niemanden gestört, als rundum wucherndes Grün es mehr und mehr den Blicken entzogen hatte.“
Das Gros der Bewohner einer Stadt (was nicht wenig Stadtpolitiker einschließt) schert sich in der Regel nicht um Feinheiten architektonischer und künstlerischer Gestaltung ihres Lebens-, Handlungs- und Gestaltraums. Das war zur Entstehungszeit der Arbeit nicht viel anders. Wer eine Lektion zum Verhältnis vom Künstler zu seiner Zielgruppe im Sozialismus erteilt bekommen möchte, sollte sich unbedingt einmal Konrad Wolfs großartigen und stillen Film „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ (1973) ansehen. Wer die Arbeiten Werner Stötzers mag übrigens auch.
Die Kunst im Stadtraum und mehr noch die heute schwer unverfänglich popularisierbare DDR-Kunst ist traditionell mehr etwas für diejenigen, die bewusst die Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten suchen. Passanten, die solchen Kunstfreunde erstaunt dabei zusehen, wie diese feinjustierend die Objektive ihrer Fotoapparate auf derartige Arbeiten, wundern sich oft darüber, was denn da eigentlich des Fotografierens wert ist. Manchmal fragen sie auch bei entsprechender Sozialisation in fremden Gesellschaftssystemen, ob man überhaupt eine Genehmigung hat. (Der Paragraph 59 des deutschen Urheberrechtsgesetzes erteilt sie unmissverständlich.)
Trägt man nun diese verarbeitende Wahrnehmung nach Außen, stellt sich eine weitere Frage, die jüngst auf der Facebook-Seite dieses Weblogs
diskutiert wurde. Anlass war die dortige Verbreitung einer Abbildung
von Details des Wandbildes „
Entwicklung der menschlichen Gesellschaft“ des Dresdner Künstlers Friedrich Kracht, das der historische Logik bestimmter Materialismen folgend bei der Höhenmalerei beginnt und bei der Eroberung des Weltraums endet. Die leicht dekonstruktive Zusammenstellung im Foto war mit dem Titel „Ein Hoch der Familie“ versehen, da Mann, Frau und Kind jeweils in einer aufstrebenden Bewegung nebeneinander standen. Der Titel ließ das nun als Prosit oder als simple
Wessenfall-Aussage interpretierbar werden. Eine Leserin der Facebook-Seite
äußerte daraufhin einen nachvollziehbaren Einwand:
„Ich zweifle bestimmt nicht die Mehrdeutikeit eines Bildes an. Ich meine der Titel zu dem Zusammenschnitt ("ein Hoch der Familie") ist nun mal meiner Meinung nach nicht passend..., er lässt nur die Oberfläche zu, aber nicht die Tiefe die sich dahinter versteckt. Ein politischer und gesellschaftlicher Rahmen sollte doch bei historischen Kunstquellen beachtet werden.“
und
ergänzte hinsichtlich des
Gegeneinwands, dass man solche Darstellungsformen überforderte, wenn man immer die ganze Geschichte mitliefern müsste:
„Ästhetisch meinetwegen, aber viel mehr denke ich an junge Menschen, die die Zeit der DDR nicht mehr erlebt haben (einen Zugriff auf diesen Blog haben) und daraus eventuell resultierend ein unkritisches Kunstverständnis der politischen Kunst aus diesen "alten Tagen" mitnehmen. Historische Darstellungen/Abbildungen sind eben immer in einem Kontext zu sehen, eben das fehlt mir hier ein wenig...“
Ich bezweifle nach wie vor, dass junge Menschen sich selbst mit raffiniertesten Abbildungsvarianten überhaupt in großer Zahl für DDR-Kunst sensibilisieren lassen. Falls es doch gelingt, glaube ich, dass sie dann auch kompetent genug sind, sich selbst die Kontexte zu erschließen. So wie wir es ja auch tun mussten, denn der Kunstunterricht nach 1989 klammerte die Welt der „Farben über meinem Hut“ (so ein bekanntes DDR-Kinderbuch zur Kunstvermittlung, in dem sich u.a. eine (kritisch!) lesenswerte Erläuterung von Bernhard Kretzschmars Gemälde „Blick auf Stalinstadt“ (1958; nach 1961 „Blick auf Eisenhüttenstadt“) findet, annähernd vollständig aus. Und der Kunsterziehungsunterricht vor 1989 zeichnete sich meist durch eindeutige und damit auch eingeschränkte Deutungszuschreibungen aus.
Die darüber hinausreichende und meiner Ansicht nach diskutierenswerte Frage greift den Aspekt des „unkritischen Kunstverständnis“ auf. Kann es wünschenswert sein – legitim ist es in jedem Fall – einen rein affirmativen und ästhetischen Umgang mit diesen Arbeiten zu pflegen? Man denkt beim Stichwort „Ästhetik“ womöglich umgehend an Christa Wolfs Bemerkung aus ihren „Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra“, in den sie schreibt:
„[D]ie Ästhetik, sage ich, ist, wie Philosophie und Wissenschaft, mindestens im gleichen Maß, zu dem Zweck erfunden, sich Wirklichkeit vom Leib zu halten, sich vor ihr zu schützen, wie zu dem Ziel, der Wirklichkeit näherzukommen.“
Die Ästhetik enthält folglich beide Optionen: Die Distanzierung und die Annäherung. Das Bild, so voreingenommen es entstand, ist wie jede Äußerung im Nachgang mehr als einen Spalt interpretationsoffen. Und zwar sowohl auf der inhaltlichen wie auch auf der pragmatischen, d.h. schlussfolgerungsbezogenen, Ebene.
Ich hatte an einer anderen Stelle heute die Frage
aufgeworfen, „nach welchen Kriterien der (kunstgeschichtlichen?, ideologiegeschichtlichen?, architekturgeschichtlichen?) Bedeutungszuschreibung eine solche Auswahl erfolgt“, die zum Beispiel Gutachten über die Erhaltungswürdigkeit solcher Arbeiten zugrunde liegt. Interessanterweise spielen dabei neben vielleicht der Reputation des Künstlers als sozialem Merkmal oft vorwiegend formalkünstlerische, also halbwegs objektivierbare Kriterien eine Rolle. Das, wenn man so will,
Trigger-Potential einer Arbeit, also die von ihr ausgehende Möglichkeit zur Auseinandersetzung innerhalb bestimmter Kontexte ist dagegen weniger bestimmbar und findet sich oft ausgeklammert.
Dass es in Ostdeutschland noch tausend Wandbilder eines Typs gibt, kann aus dieser Warte nicht als Argument dienen, dass man im Kontext Weißwasser eine Auseinandersetzung mit einer Arbeit dauerhaft verunmöglicht. Die Spezifität eines Werkes steckt nicht nur in der ge- oder misslungenen handwerklichen Ausführung oder einer besonderen Rezeption in ihrer unmittelbaren Entstehungswelt. Sondern auch in ihren Möglichkeiten als gegenwärtiges oder zukünftiges Zeichen. Wer es griffiger haben möchte: Kunst- und Literaturgeschichte sind wahrlich nicht arm an Beispielen unvorhergesehener posthumer Popularisierung.
III
In der New York Times erschien am 05. Februar 1978 ein so knapper wie außerordentlicher Artikel der Architekturkritikerin Ada Louise Huxtable unter der Überschrift „The Joy of Architecture“. Die Autorin formuliert darin einige zeitlose Einsichten und Hilfestellungen zum Umgang mit dem, was uns unsere baulichen Vergangenheiten an greifbaren Zeugnissen überließen.
„Every age“, schreibt die Autorin, „cuts and pastes history to suit its own purposes […].“ Die eingangs zitierte These von Thomas Groetz zum Berliner bzw. gesamtdeutschen Umgang mit dem baulichen Umgang unterstreicht dies nur zu deutlich: Wie auch immer wir mit diesen Spuren und Relikten und Erbstücken verfahren, es erfolgt immer nach Zwecken und aus Perspektiven der jeweiligen Gegenwart. Von dieser Position kommen wir bei allem Objektivitätsanspruch nicht fort.
Das ist weniger ein Problem als eine Grunderkenntnis, die man immer zur Relativierung des eigenen, immer nur scheinbar sicheren Ansatzes mitdenken muss. In zwanzig Jahren beurteilt man das, was man heute hochjubelt, womöglich ganz anders. Und lobt Dinge, die Kulturstadträte und Kunstexperten des Jahres 2012 für verzichtbar hielten. Zwei Stichworte kann man vielleicht aus Ada Louise Huxtables Text ableiten. Erstens:
Potential.
„Fortunately, great art contains enough to satisfy each generation’s needs, and there is always pleasure in the process of rediscovery.”
Und zweitens also: Freude. Momentan erlebt in kleinem Umfang (und dank des Stifters Hasso Plattner möglicherweise auch bald in größerem) die Kunst der DDR eine kleine, weniger ideologisch verbrämte Wieder- bzw. für bestimmte Generationen Erstentdeckung. Unbedingt darf und soll diese auch von hauptsächlich ästhetischer Freude und Neugier motiviert sein. Andererseits sind Brechungen und Kontextualisierungen notwendig, wenn die Beschäftigung in eine rein ornamentale Verjuxung oder eben auch in eine unkritische Verherrlichung überhand zu nehmen droht. Allerdings gilt es dabei, die Differenz der Ebenen zu berücksichtigen: Nicht das Einzelwerk, sondern die Wechselwirkung von Kunst, Kunstkombinat und DDR-Gesellschaft(sbild) markieren den Rahmen dieses aufklärenden Diskurses.
Klare Verständnis- und Verstehensnormen sind überholte Ansprüche der Sozialingenieure anderer Epochen. Heute wissen wir um die Vielschichtigkeit der Annäherungen an Kunst. Daraus ergibt es sich nach meinem Verständnis als Aufgabe für diejenigen, in deren Obhut sich Kunstwerke befinden, diese so weit wie möglich auch für zukünftige Auseinandersetzungen und Deutungen zugänglich bzw. überhaupt existent zu halten. Und für alle anderen, sich die Existenz und Möglichkeit solcher Ausdrucksformen bewusst zu machen und selbst wenn man den Kontext nicht ausleuchten möchte, in Erinnerung zu behalten, dass es zu jedem Werk auch einen Kontext gibt. Der (nicht nur) im Fall der DDR-Kunst sehr viel enthält als rein ästhetische Aspekte. Daher ist es selbstredend geboten, neben den Kunstwerken selbst, auch die mit diesen verknüpften Zusammenhänge zugänglich zu machen.
Dass Eisenhüttenstadt ein exzellenter Ort für diese beide Komponenten wäre, dass man neben dem verlorenen Traum der Ansiedlung einer Fachhochschule für Stahlkundler frühzeitig die Einrichtung eines zeitgeschichtlichen Forschungszentrum zur DDR hätte denken können und es zugleich eine Chance gewesen wäre, konsequent Präsentationsräume für die andernorts nicht selten verschmähte Kunst der DDR auszubauen, wird leider erst nach und nach erkannt. Gerade durch die intensive (und professionelle) Nutzung ihres historischen Kapitals als Alleinstellungsmerkmal im bundesdeutschen Gebiet besäße die Stadt Eisenhüttenstadt nach wie vor die Möglichkeit, sich vom Tropf des Stahlwerks mit seiner am Ende doch eben nicht hundertprozentig sicheren Perspektive zu emanzipieren und sich jenseits der metallurgischen Industrie auf der Landkarte unverzichtbar zu machen.
Um eine überregionale Strahlkraft als Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der DDR als einem Zentralbestandteil der deutschen Nachkriegsgeschichte erreichen zu können, dürfte es allerdings zuvor notwendig sein, das eigene Selbstverständnis von der eindimensionalen Fetischisierung von Industrie und Wirtschaft auf ein mehrschichtiges Verständnis dessen, was die Stadt sonst noch sein kann, zu lenken. Soziokulturell bleibt sie bis heute getreu der Stadtgeschichte eine trockene Wohnstadt. Mit dem Unterschied, dass es weniger die Arbeiter des Werkes und ihre Familien sind, die hier wohnen. Und mehr Menschen, die aus welchen Gründen auch immer eher zufällig geblieben sind.
Gelingt diese Verschiebung im Selbstbild hinter zu einem gesünderen Selbstbewusstsein, sollte man eventuell einmal mit der Hasso-Plattner-Stiftung Kontakt aufnehmen. Wenn der Potsdamer Plan einer Kunsthalle für DDR-Kunst scheitern sollte (und das so sicher geglaubte Oscar-Niemeyer-Bad am Brauhausberg ist dort ja auch nach erheblichen Vorarbeiten noch gescheitert), gäbe es in Eisenhüttenstadt und damit a) noch in akzeptabler Entfernung zur Hauptstadt und b) und absolut angemessener architektonischer Umgebung einen buchstäblich Zentralen Platz für solch ein Gebäude. Der Stadtraum, das Dokumentationszentrum, ein zeitgeschichtliches Forschungszentrum und das zentrale Museum für Kunst der DDR – was wäre das für eine Perspektive!