Der/das Eisenhüttenstadt-Blog ist aus verschiedenen Gründen ein stiller Ort geworden. Stiller noch als die Stadt am Sonntag. Und nahezu alle Gründe haben mit Entfernung zu tun. Der/das Eisenhüttenstadt-Blog auf Facebook erfuhr dagegen zum Jahresdynamik eine Aufmerksamkeit, die eine weiteres Mal die These stützt, dass man, einmal gebunden an diese Stadt, auch losgerissen schwer den endgültigen Abschluss findet.
Wenn nämlich Multiplikatoren wie Tom "Cast Away" Hanks vom Wolkenatlas-Dreh mit Tom Tykwer (der mutmaßlich teuersten deutschen Filmproduktion) in die Wohnkomplexe Eins bis Vier gespült werden, ist das Aufsehen nicht nur in der Lokalpresse groß. Wenn selbiger Tom "Catch Me If You Can" Hanks dann hübsch gespielt launig staunend über verkehrsberuhigte Zonen, Autobahnen und menschenleere Straßen in der David Letterman-Show berichtet, dann bringt die Märkische Oderzeitung auch mal in einer gewissen "Der 5. Kanal"-Tradition ein Fernsehprotokoll. Zum Jahresauftakt veröffentlicht nun SPIEGEL-Online eine Art Gegentext zum schwärmerischen Schauspieler einen Bericht über die Stadtplanerin Gabriele Haubold, der in drei Thesen mündet, von denen noch vor zwei Jahren die dritte Gegenstand eine ausführlicheren Erörterung an dieser Stelle geworden wäre:
„Der letzte Punkt, die Identität einer Stadt, ist vielleicht der wichtigste und gleichzeitig der schwerste. Identität ist für jeden etwas anderes, aber sie hält einen und sie zieht einen zurück. Die alten Eisenhüttenstädter im Werk identifizieren sich mit der Stadt, die sie aufbauten und die jetzt abgerissen wird. Den neuen ist es egal, und mit Glück können sie auch Hässlichkeit schön finden."
Heute unterlasse ich den Versuch über die Hässlichkeit und das Schöne jedoch und verweise auf die Bildstrecke Eisenhüttenstadt: Vorreiter im Schrumpfen bei SPIEGEL-Online, die die Postkartenkollektion der Bürgervereinigung Fürstenberg mit Fotografien aus der Pressemappe der Stadtverwaltung und Schnappschüssen des SPIEGEL-Berichterstatters Jonathan Stock zusammenführt. Und alternativ auf die fantastische Dokumentation von Martin Maleschka bei Kunst am Bau auf Flickr als die derzeit sicher beste und umfänglichste Stadtdokumentation, die zu Eisenhüttenstadt im gesamten WWW zu bekommen ist.
Da stelle ich gar nicht erst eigene Impressionen oder Deutungen gegen, sondern etwas, für das ich tatsächlich das Weblog wieder öffne. Denn in schöner Regelmäßigkeit stoße ich auf Spuren der Eisenhüttenstadt-Geschichte, die einfach fortzulegen mir zwar möglich wäre. Da es sich aber oft um einzigartige Dokumente der Stadtkulturgeschichte handelt scheint mir dies jedoch nur die zweitbeste Lösung. Wenn also in Zukunft Beiträge im Eisenhüttenstadt-Blog erscheinen, dann solche, die diese Plattform als digitales Dokumentationszentrum benutzen. Das wundervolle Letters of Note macht vor, wie so etwas aussehen kann. Da man aber sicher ewig und weitere drei, vier Tage warten kann, bis dort Dokumente zur Eisenhüttenstadtgeschichte auftauchen, scheint es durchaus berechtigt, eine eigene Materialsammlung ähnlichen Stils anzudenken.
Der Bericht eines Eisenhüttenstädter Zirkels (ohne Hämmer und Ehrenkranz) der Freien Deutschen Jugend (FDJ) aus der unmittelbaren Vorwendezeit passt sehr gut zu diesem Ansatz. Die dereinst etwa 16-jährigen Teilnehmer (die also heuer die 40-Jahre-Altershürde nehmen) der FDJ-Grundorganisation "Tamara Bunke" hatten einige Fragen auf der Tagesordnung, die den heute 16-Jährigen wahlweise als Nachricht aus einer fernen Welt oder als uninterressanter Humbug erscheinen dürften, auf die Geburtsjahrgänge vor 1980 dagegen vermutlich in ganz anderer Weise zugleich absurd und vertraut wirken.
Leider sind die Antworten nicht überliefert. So muss jeder selbst eigene zu den zentralen Fragen aus dem FDJ-Studienjahr 1988/89 (er)finden:
Warum Gründung DDR?
Wie wurde die DDR gegründet? (Etappe I. Bodenreform Grundlage des Sozialismus?
Warum in VK [=Volkskammer] immer gleiche Sitzverteilung?
Ist das jetzige Wahlsystem gerecht?
Wie kam es am 17.6.53 zum „Ausstand“?
Auf eine saubere Protokollschrift kam es bei den Treffen der 20 Teilnehmer im Tamara-Bunke-Sozialsmus-Vertiefungsseminar offensichtlich weniger an als auf eine klare Linie, die der Bogen allerdings ebenfalls vermissen lässt. Da nicht unbedingt davon auszugehen ist, dass FDJ-Sekretär und Propagandist heute noch begeistert denselben Idealen nacheifern, wurden die Unterschriften verpixelt. Und wer nun aus der allwissenden Rücksicht des Jahres 2012 empört angesichts der Freien Deutschen Jugendvereinsmeierei den Kopf schüttelt, dem sei nachgetragen, dass das Blauhemd bei den 16-Jährigen dieser Zeit als so verbindlich galt, wie bei den heutigen offensichtlich die Bench-Übergangsjacke. Nur eben aus anderen Gründen und dem einen gemeinsamen: Man macht mit, um nicht besonders aufzufallen und/oder weil man sich etwas anderes nicht leisten konnte/wollte.