Vorgestern twitterte die vergleichsweise junge Politikerin Kristina Köhler irgendwo in Hamburg in ein mobiles Kommunikationsgerät
"Jetzt schnell zum Hauptbahnhof, um den letzten Zug zurück nach Berlin zu bekommen."
Den hat sie wahrlich erreicht und nun ist sie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, also in etwa alles, was mit Menschen zu tun - ausgenommen vielleicht alleinstehende Männer zwischen 25 und 65. Als Philatelist sieht man sie natürlich in der direkten Nachfolge zur berühmten Käte Strubel (Wertstufe Briefporto, Michel-Nr. 2150, ausgegeben am 09. November 2000 und noch heute gültig, aber immer seltener), von der die weise Schlußfolgerung "Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen könnte." überliefert ist. Nach der Berufung Philipp Röslers zum Gesundheitsminister und mit dem Verteidigungsminister und Freiherrn von Guttenberg im Hinterkopf bestätigt die Berufung von Kristina Köhler einen maßgeblichen Trend in der aktuellen deutschen Politik: jung, konservativ, twitter. Mal sehen, für welchen alten Zausel Florian Bernschneider ins Kabinett nachrücken wird.
Indem Karl-Theodor von Guttenberg per Heirat und damit als Familienvater in den Bismarck'schen Stammbaum eindrang, zeigte er er ein besonders intensives Engagement, alte Werte zeitgemäß gleichermaßen zu interpretieren wie zu reproduzieren. Während er und Philipp Rösler jeweils zwei Töchter großziehen, kümmert sich die ledige Kristina Köhler bisher vorwiegend um sich selbst und mit dieser Auskunft soll es dann auch genug sein mit Gala-Wissen.
Persönlich denke ich beim Namen Köhler traditionell und für alle Zeit an einen alten Geschichtslehrer, der einst im lichten Geschichtsraum im ersten Stock einer Schule, in der jetzt Krankenkassendaten verrechnet werden, einen Mitschüler namens Mirko mächtig erschreckte, indem er neben ihm zusammensackte, um zu demonstrieren, was mit den Astronomen, Priestern und sonstigen Vor-Intellektuellen der Frühgesesellschaft geschehen wäre, wären sie nicht von eben dieser mit genügend Nahrungsmitteln als Gegenleistung für die Sterndeutungsarbeit versorgt worden.
Kultur muss man sich leisten können. So lautete die durchaus lautere Botschaft und irgendwie gilt sie auch heute noch. Bei selbigem Herrn Köhler fand man sich dann auch am Freitag, dem 10.November 1989 zur ersten Unterrichtsstunde zusammen. Schätzungsweise zwei Schüler fehlten mehr oder weniger durch die spontane Öffnung der Mauer entschuldigt und schrieben Geschichte.
Die anderen schrieben Geschichte, denn Herr Köhler fehlte nicht. So weit erinnerlich, fiel es ihm recht schwer, mit diesem Vorfall der Nacht auch nur irgendwie umzugehen. Doch was lässt sich auch sagen, wenn der so lange eisern gerechtfertigte Eiserne Vorhang holterdipolter endgültig aufgezogen und abgenommen wurde. Und das andere, in den Begrüßungsgeldwarteschlangen dieses Tages selbstverständlich von allen erbittert diskutierte Thema, nämlich die Ablösung des Generalsektärs der Kommunistischen Partei Bulgariens (und Staatschef) Todor Schiwkow durch seinen Politbüro-Kollegen Petar Mladeno, war an diesem Morgen noch keines für die historische Schulbildung.
Interessant dabei ist, dass selbst ein medial in vielerlei Hinsicht sehr präsenter Bundespräsident Horst Köhler eine in jungen Jahren festgelegte Assoziation mit dem Geschichtslehrer, dessen Vorname den Schülern nie bekannt wurde, da man immer nur respektvoll vom Herrn K. sprach, nicht zu übertünchen verstand. Allerdings ist eine Blutsverwandschaft der drei Köhlers - dem Eisenhüttenstädter Lehrer, dem in der Woiwodschaft Lublin, aus der übrigens auch Rosa Luxemburg stammt, geborenen Bundespräsidenten und der jugendlichen Familienministerin aus Wiesbaden - eher unwahrscheinlich. Die deutschen Telefonbücher listen fast 40.000 Köhler. Darin enthalten sind sieben in Eisenhüttenstadt und mehr als sieben Dutzend in Wiesbaden. Eventuelle Köhler mit Geheimnummern sind hierbei nicht erfasst.
Die zweite Kindheitsassoziation mit einem Köhler, die ebenfalls noch vor dem Bundespräsidenten wie ein morscher Schuppen vor die Augen fällt, scheucht den Karparten-Köhler aus den Mosaik-Heften "Das verschwundene Regiment" und "Das Höhlenwunder", erschienen im November und Dezember 1978, von seinem Meiler auf meinen Schirm. Die Nummern tauchten irgendwann in den 1980er Jahren in einem Stoß von Mosaikausgaben auf, den ein lieber Vater seinem Abraxfaxe-wilden Sohn nach der aufgeregten Lektüre einer Anzeige in der Tageszeitung "Der Morgen" und einem kurzen Spaziergang in den Birkenweg für ein paar (sicher nicht wenige) Mark der DDR erwarb und in die kleinen Hände drückte, worauf etwas begann, für dessen Beschreibung man das Wort Heftklammern auch ganz passend verwenden kann. Tausendmal nicht nur gelesen, sondern tatsächlich mit dem Regiment Kraxelberg-Jodelfingen durchs Österreich-Ungarische gezogen. Jawohl, so war es.
Bei der Frage nach Gemeinsamkeiten der beiden Köhler dieser Eisenhüttenstädter Kindheit, dem geschichtslehrenden und dem kuruzischen, bleibt die Erinnerung dagegen ein enger schwarzer Tunnel, in dem man sich auch nicht wirklich so drehen und wenden kann, wie man will. Auch die Verknüpfung zum Schlafwein wäre straff gelogen, selbst wenn Alkohol in der DDR ein alltägliches und vor allem im Vergleich zu heute sichtbarer alltägliches Verdruß- und Genußmittel war. Pokern könnte man also. Die Spirituosenregale in den Kaufhallen Eisenhüttenstadts präsentierten sich - zum Leidwesen von uns Kindern - grundsätzlich besser sortiert, als beispielsweise das kleine Speiseeisfach in den immer etwas muffig riechenden Kühltruhen. Nur vermag ich weder von der Truhe noch vom Schnapsregal zu sagen, ob bzw. wie oft unser Geschichtslehrer in selbige/selbiges hineingriff. Und daher passe ich hier und dazu noch auf das, was ich schreibe, auf. Dass der Herr K. immer etwas verschwitzte Hemden trug, ist dagegen nicht aus dem Bildgedächtnis zu drängeln. Ebensowenig die blonde Köhlerliesel aus den Karparten, die, da sie das Geheimnis des verschwundenen Califax kennt, mit schwerem Wagen nach Wien ziehen muss, um dort mit so fröhlichen Gestalten wie Alois Vierschroth, Hans Wurst, zwei Gendarmen mit den Wienerischen Namen Grantiger und Bösl allerlei erlebt, was man am besten selber nachliest. In der Erinnerung verschwimmt sie mir immer mit Knödel-Pfanni zu einem wundersamen Klos. In der Jetztzeit ist diese Mischung natürlich hoffungslos aufgelöst.
Geht man zu unserem aktuellen Bundespräsidenten und seinem Geburtsort zurück, was körperlich einem Quanten- und im Assoziationspool des Gehirns interessierter Zeitgenossen einem Katzensprung gleich kommt, so kann man in allergrößter Bemühung den Rundweg von Heidenstein nach Stolp (bzw. vom für deutsche Zungen phonetisch herausfordernden Skierbieszów zum klanglich hochpossierlichen Słupsk) nehmen. Beide liegen nämlich östlich des Eisenhüttenstädter Heimatflusses Oder und während bei Skierbieszów spätestens jetzt für alle Zeiten bekannt ist, welche Persönlichkeit dort geboren wurde, rätselt manch ein Leser bei Słupsk vielleicht noch. Die Philatelisten und Kartophilen denken natürlich sofort in Richtung des Begründers des modernen Postwesens, Heinrich von Stephan, (richtig), die Philosophen an den Definitoren der Inkompetenzkompensationskompetenz, Odo Marquard, (richtig) und die Filmliebhaber an den Vati von Nastassja, deren Poster aus dem Filmspiegel die Pubertät nennenswert beschleunigte: Klaus Kinski. Das ist natürlich falsch, denn dieser wurde wie Winfried Glatzeder, aber viel früher, im Ostseebad Sopot geboren und das ist gut 100 Kilometer weit von Słupsk entfernt. Wer einmal im Kinski in der Tadeusza Kościuszki seinen Cobra Verde getrunken hat und den Zug nach Słupsk bekommen musste, der wird dies nie vergessen. Aber nicht jeder schafft es überhaupt nach einem Długa 77 im Café Ferber dorthin. Zumal ums Eck noch das Pub zum Blauen Pudel wartet.
Doch nun hurtig und nüchtern zurück von Sopot nach Słupsk, z.B. mit dem Polen wahrlich durchquerenden D 18105 morgen um 14:20. Denn die Person, um die es geht, wurde genau dort geboren, auch wenn sie vielleicht nicht jeder Słupsker sofort auf dem Stadtplan hat. Fährt man dagegen nach Hoyerswerda, weiß jeder, wer gemeint ist: Jürgen von Woyski (vgl. auch hier).
Einen bekannteren Kleinplastiker der DDR findet man wohl kaum und nicht ohne Grund war er in unserem Blog schon öfters Haupt- und Nebenthema. Da auch heute wieder wenig zum Schreiben da ist (schon gar nicht zu den beiden Arbeitsunfällen auf der Prowell-Papierfabrik-Baustelle) und wir mit dem jetzt verschwundenen Kulturhaus der Hüttenwerker zu wenig verbinden, um darüber noch etwas Substantielles zu verfassen, soll dieser Artikel zum Freitagabend einzig drei schöne Fotografien einer sehr beliebten, mehrfach gegossenen und mindestens einmal (in Cottbus) von mutmaßlich Buntmetalldieben beinahe gestohlenen Arbeit namens "Liebespaar unterm Schirm" ins Netz bringen. Obwohl die Plastik aus dem Jahr 1963 in Hoyerswerda, Cottbus, Potsdam und womöglich auch noch an anderen Orten aufgestellt wurde, fokussieren alle drei Aufnahmen die Eisenhüttenstädter Variante. Die befindet sich nach wie vor, hoffentlich nur in guter Gesellschaft, auf dem Rosenhügel und vergisst in ihrer etwas schamhaften Verliebtheit ganz den Blick Richtung Gartenfließ. Der aber auch nicht mehr so richtig verzaubert, seitdem ein ästhetisch sehr billiger und daher für Feingeister schwer zu billigender Wohnblock aus den 1990ern die Sicht versperrt. Wer die Plattenbauten aus geschmacklichen Gründen verteufelte, hätte hier eigentlich nicht schweigen dürfen. Die meisten haben es aber getan und waren mit dem Kopf ganz woanders. Mit dem Herz sowieso.
Jetzt aber nach der knappen Vorrede endlich zu den drei Fotografien aus drei verschiedenen Gefühlslagen! Die erste entstand zu einem Zeitpunkt, zu dem der ÖPNV noch auf abgerundete Busse setzte und Eisenhüttenstadt - ganz sicher nicht Stalinstadt, man bedenke das Schöpfungsjahr der Plastik! - nur an Feiertagen farbig war:
Wem schwirrt nicht sofort der schönste Chanson, der nie geschrieben wurde, ins Ohr, wenn er als Schwarzweiß-Fernseher in lockerer Sommer- und Sonnenschirmstimmung auf dieses Stelldichein am Rosenhügel blickt und links und rechts davon die junge Stadt sich unterm weiten Himmel räkeln sieht.