Irgendwann in der Geschichte der frühen Populärpotografie gab es eine Zeit, da wurde die Welt noch nicht elektronisch-digital sondern chemisch-analog abgebildet. Daran erinnern sich nur wenige und wenn man die digitaltechnische Perfektion eines Eisenhüttenstadt-Flickr-Fotografen wie x** vor den bildschirmmüden Augen hat, die ihre einzige Entsprechung in der lokalen Kulturlandschaft in der sprachlichen Präzision findet, mit der Stadtblogger Andi Leser in seinem Logbuch durch die Nebel der Stadtwahrnehmung stochert, dann weiß man auch, dass Gegenwart und Zukunft der Eisenhüttenstadtfotografie nichts mehr mit Kleinbildfilm zu tun haben wird. Diese Welt ist stahlhart digital und so wird es bleiben.
Man vergisst jedoch in der Verzückung, die einen im Megapixelpark überkommt, dass in den privaten Archiven, die sich seit Beginn der Stadtgeschichte in den Klappfächern der Schrankwände Abzug auf Abzug stapelten, manch spannender Fund lagert, bis dann irgendwann die Wohnungsauflösungsfirma die fünfeinhalb Kilogramm private Fotogeschichte entsorgt. Es sind Aufnahmen, die zwar nicht die unendliche goldenschnittige und detailperfekte Ausgewogenheit des LiveView heutiger Digitalfototechnik besitzen, aber in ihrem hölzeren Charakter, ihren Verwaschungen und ihrem Zufälligen die reale Welt gerade nicht nah an der Sichtbarkeit des Originals zu fassen bekommen oder dieses gar in der Liebe zur Geometrie überhöhen, sondern auf den zeitgenösisschen Betrachter fast wie eine Negation des Realen wirken. Durch die Abwesenheit der Möglichkeit einer Tiefenoptimierung erweist sich gerade die Analogfotografie als eigensinnig und damit zugleich näher zum Gegenstand und distanzierter zum Fotografen. Derartige Deutungen setzen zugegeben mehr Affirmationswillen als Kritikbereitschaft voraus. Aber sie bereiten dafür auch Freude beim postmodernen Spiel mit Sinn und Sinnen.
Besonders in kleinen und wenig dynamischen Motivgebieten, zu denen Eisenhüttenstadt am Ende und bei aller Begeisterung doch gehört, bieten vom Perfekten, das auch immer die Zutat Ausschließlichkeit eingerührt bekommt, abweichende Bilddarstellungen des gleichen Gegenstandsbereiches nicht selten ein sehenswertes ästhetisches Gegenmodell, welches in der Begeisterung für das technisch Machbare zwar keine Rolle spielt, aber durchaus verdient, dass man auch darum ein wenig Aufhebens macht.
Selbstverständlich hat die Bildinflation auch im ehemaligen Arbeiterparadies Einzug gehalten. Das ist sehr gut so, denn je mehr Bilder es von einem Gegenstand, desto wirklicher wird er, desto genauer bleibt die immer wieder erfrischbare Erinnerung und desto kompletter die Lebensdokumentation als Anker in der Unsicherheit des Schicksals. Die fortgeschrittene Digitalfotografie sammelt aus diesem Grund unzählige Rahmeninformationen vom Namen des Aufnahmewerzeugs über die Uhrzeit und des Aufnahmedatum bis hin zum Standort im Gitternetz der Erdvermessung. Das Ganze lässt sich dann mit eine großen Datenbank abgleichen und sofort ist eindeutig feststellbar, welche Kamera, wann, wo ausgelöst wurde. Die Welt der Fotografie ist domestiziert.
Bei der primitiven Analogfotografie, die Resultate wie das obenstehende hervorbringt, entfällt solches. So wissen wir nicht, wann und mit welchem Gerät dieser winterliche extrembelichtete Blick erfasst wurde. Wir erkennen gerade noch, welche Sichtachse der Stadt hier in den Sucher fiel. Aber dies ist schon Teil der Bildsemantik, nicht der Metadaten. Und die Welt der Bedeutung ist bekanntlich manchmal etwas wilder.
P.S. (1) Die hemmungslos nostalgisch angehauchten Analogfreunde und Sofortbild-Liebhaber der Stadt haben hoffentlich ihre Bestände an traditionellen Polaroid-Kameras noch nicht entsorgt. Denn es könnte sein, dass ab 2010 neue Filme - wenn auch sicher sündteuer und nur im Fernhandel beziehbar - verfügbar werden.
P.S. (2) Wer sein Eisenhüttenstadt-Analog-Kleinbild oder -Analog-Sofortbild an dieser Stelle besprochen sehen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, einen Abzug an die im Impressum angegebene Kontaktadresse, Stichwort "Blog-Foto", zu senden.