...im Zweifelsfall das OSF-TV. Dessen Einspielfilmchen erreichen leider nur höchst selten und wenn, dann meist ungewollt, ein künstlerisches Niveau, das über den Tag hinaus verweist.
Ein Film, der den Status "wertvolles Zeitdokument" in jedem Fall schon erreicht hat, ist "Eisenhüttenstadt - Neue Stadt an der Oder",...
Bewerte niemals einen Film aufgrund des Titels - so lautet ein Ratschlag erfahrener Programmkinogänger und diesen hätte ich mir bei meiner gestrigen Ankündung durchaus einmal beherzigen sollen. Aber es war auch nicht zu erwarten, dass die Westberliner Filmfirma Chronos-Film noch in den späten 1960er Jahren einen Film dieser handwerklichen Güteklasse abnimmt und sei es nur für eine Dokumentarfilmreihe mit dem Titel "Ost und West", von der definitiv nicht jeder zu denen aus Portfolio der Filmfirma gehört, die das Prädikat "besonders wertvoll" verliehen bekommen haben.
Als Zeitdokument sicherlich spannend, erscheint er filmisch doch in einer Mischung aus Schulfernsehen, Wochenschau und Film Noir (nur buchstäblich) so lieblos dahingeschludert, dass man sich fragt, ob das Zeughauskino nicht aus Versehen eine Rohschnitt-Probefassung aus dem Archiv ausgegraben hat. Besonders die Tonspur hatte es in sich und bot neben den vollkommen unausgepegelten Überlagerungen von Originalgeräuschen, Off-Stimme und Musike ein eindrucksvolles Grundbrummen, das sicher technisch bedingt, doch ständig den Einbruch der Apokalypse im dunkelgrau gezeichneten Stahlwerkerparadies anzudrohen schien, beispielsweise an der Stelle, an der der Soldatenchor der Roten Armee jungen Eisenhüttenstädtern anlässlich einer Jugendweihfeier "Brüder zur Sonne zur Freiheit" in einer zweisprachigen Version um die Ohren schmettert, dass die Wände des Friedrich-Wolf-Theaters wackeln, aber so mancher Elternteil, über den die Kamera gleitet, die Hände doch nicht zum Applaus heben möchte.
Passiert ist natürlich nichts Schreckliches. Dennoch konnte der Kontrast zum bonbonfarbenen Bild aus 100.000 Steinen kaum deutlicher sein. Das Klischee zur Hand genommen, schien sich hier eine verkehrte Welt auf der Leinwand abzuspulen. Die Funktionsweise von Propaganda ins Auge gefasst war dann aber alles wieder folgerichtig, auch wenn der zehn Jahre jüngere Film von Joost von Moor und Gisela Bienert journalistisch selbst für Reportagen mit vorbestimmter Aussagerichtung ziemlich alt aussah. Da konnten die Schwenks von den Hochhäusern nicht viel retten und der "stellvertrende Bürgermeister von Eisenhüttenstadt", das unter peinlicher Vermeidung der Bezeichnung "DDR", wie es halt um 1967 so Usus war, immer den Stahl für Mitteldeutschland produzierte, dem man ansieht, dass das Interview mit den Reporten aus dem nichtsozialistischen Ausland nicht unbedingt etwas ist, worauf er sich schon sein ganzes Leben freut, machte es auch nicht besser. Die scheußlichen Lehrgrafiken zur Illustration der Rolle Eisenhüttenstadts bzw. des Eisenhüttenkombinates im Gefüge der COMECON-Staaten vermitteln tatsächlich den einen oder anderen Fakt, allerdings in einer Form, die auch im Schwarzen Kanal des Karl-Eduard von Schnitzler hätten Karriere machen können.
Wie liebevoll bonbonbunt dagegen das Mosaik-Filmchen von Lutz Köhlert! Wo die Chronos-Produktion den uneingeweihten Zuschauer das Eckkneipen freie Eisenhüttenstadt in der Gegend von Workuta vermuten ließ, lag man beim Wandbildreport in puncto Mode und Farbigkeit auf dem Niveau einer Hollywood Screwball Comedy aus denselben Jahren und Walter Womacka mit Gelfrisur und weiten Cordhosen hätte auch gut in eine solche gepasst. Hier hat man sich durchaus Mühe gegeben, dem jugendlichen Anspruch der Stalinstadt eine angemessene Stimmung auf der Linie des Zeitgeistes zu verpassen.
Wo Joost von Moor und Gisela Bienert einen regennassen Obelisken fokussieren und sich über ein mangelndes Nachtleben in der 40.000 Einwohner-Metropole beklagen und dabei - vielleicht aus Westberliner Sicht - übersehen, dass es dereinst in vergleichbar großen westdeutschen Städtchen wie z.B. Oberursel womöglich ebenso selten werktags zu spontanen Straßenfesten kam, fotografierte der Köhlerts Kameramann Karl-Heinz Schlutter ein sozialistisches Shangri-La ersten Ranges.
Und man spürt an den Aufnahmen der vielen Kinder in der einst kinderreichen Stadt, wie sehr die selben Motive als Problem oder Segen interpretiert werden können. Ungeschminkt trifft auf Überschminkt. Die Wahrheit über das Leben in der ersten sozialistischen Stadt Deutschlands ist sicher in beiden Filmen nicht zu suchen, auch wenn sich das Westberliner Filmteam durchaus in Interviews stürzt, die recht gut darüber Aufschluß geben, dass man vor allem an sozioökonomischen Vergleichswerten wie Verdienst und Miete interessiert war. Wenn dann die Mitarbeiterin der Gärtnerei ihren Stundenlohn von 1,68 M präsentiert, welkt die sozialistische Gesellschaftsidee jedem Zuseher recht schnell dahin. Und die Rentner von Fürstenberg möchten auch nicht jeden Tag nur Brot und Kartoffeln. Aber der Kaffee ist teurer als in Westdeutschland. Und Trabant ist teurer als ein Fiat. Und am 17ten Juni misstrauten sich die Arbeiter im Kombinat untereinander so sehr, dass sie als einziger Betrieb in der DDR nicht streikten. Journalismus lebt von Zuspitzung, das war 1967 nicht anders als es heute ist.
Insgesamt bietet das thematisch breiter angelegte "Eisenhüttenstadt - Neue Stadt an der Oder" natürlich die interessanteren Fakten, denn neben einer Reihe von Aufnahmen längst verschollener Propagandatafeln aus dem Stadtbild, erfährt man, dass Stahl Eisenhüttenstadt 1966 gegen Energie Cottbus fußballerte, es in Eisenhüttenstadt einen Filmwettbewerb zum Thema "Sicherheit am Arbeitsplatz" gab, der Liter Benzin an der einzigen Tankstelle der Stadt in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre teure 1,40 Mark kostete, der Bau der Leninallee dagegen 30 Millionen, sowie, dass Eisenhüttenstadt irgendwann um 1965 eine Partnerschaft mit dem englischen New Town Crawley eingegangen ist, an die sicher heute wohl niemand mehr erinnert. Crawley ist passenderweise seit 1973 auch mit der ehemaligen Steinkohlestadt Dorsten in Nordrhein-Westfalen verbandelt. Zehn Jahre vor dem Partnerschaftsansinnen, war übrigens, dies nur für die Akten, eine kleine Reisegruppe von Labourabgeordneten kurz in Stalinstadt (aka "Festung der Arbeiterklasse") zu Gast. Die ganz großen Namen waren nicht dabei. Am bekanntesten ist vielleicht noch der sehr DDR-freundliche Frank Allaun aus Salford, der einige Bücher u.a. zur Wohnungsfrage in Großbritannien verfasst hat. Klammer zu.
"Jung sind die Herzen in Stalinstadt/Schön ist das Leben in Stalinstadt"Alle, die des öfteren bei Hüttenfestspielen zum Schwofen gingen, werden den so betexteten hüttenfestlichen Schunkelschlager von der Walzertaktstraße niemals endgültig vergessen haben. Andi Leser kannte ihn auch ganz gut und meinte, für ihn sei das schon fast ein gängiger Oldie (but Goldie). Das Chronos-Filmteam hat ihn ebenfalls noch einmal verarbeitet und zurecht darauf hingewiesen, dass er für eine realutopische Lebensorientierung etwas sehr bieder daherkommt und nicht unbedingt von einem kulturellen Geschmack neuen Anspruchs zeugt. Letztlich sind aber auch nicht alle Angehörige der Aufbaugeneration nach Eisenhüttenstadt gekommen, um hier den Sozialismus großzuziehen. Eher die Kinder und zwar in einem vergleichsweise sehr angenehmen Umfeld, in dem man ganz guten Wohnraum und eine republikweit gesehen überdurchnittliche Versorgungslage erwarten konnte.
"Und der Hüttenwerker spricht: Es hat sich gelohnt, so lange für den Sozialismus zu kämpfen."Jetzt, da man das Ende der Geschichte kennt, ist es beinahe rührend, solche Zitate im Klappsessel des Zeughauskinos zu hören. Manchem Stalinstädter nimmt man die Emphase, mit der solchen Zeilen vorgetragen wurden, sogar tatsächlich und bis heute ab.