Als bekanntermaßen passionierter Kartophilist konnte ich mich jüngst vor Freude kaum mehr im Zaume halten, als mir die Gunst einer glücklichen Stunde eine zwar etwas angestoßene aber nichtsdestotrotz sehr schöne Ansichtskarte auf das Resopal meines Frühstücksbrettchen wehte.
Und selbstverständlich komme ich umhin, diese nicht ganz alltägliche Exemplar auch hier in bündiger Form auf den Tisch zu legen. Als Motiv ist unschwer die 1960 als Nationales Aufbauwerk (NAW) von den Eisenhüttenstädtern im Schweiße ihres Feierabendangesichts in die Hänge der Diehloer Berge gegrabene Freilichtbühne zu erkennen, obschon eine derart durchblickende Aufnahme nach 48 Jahren Wildwuchs am Hang nicht mehr gelingen dürfte. Die Bühne ist aber immer noch bzw. wieder in respektablem Zustand, mittlerweile aber dort, wo die Kiefern im Sand sich vom Planstadtkahlschlag erhohlen konnten, etwas stärker beschattet.
Herausgegeben wurde die Karte im kleinen Ansichtskartenverlag Gebr. Garloff KG in Magdeburg und nicht etwa vom später die Ansichtskartenproduktion der DDR bis in jede Nische beherrschenden VEB Bild und Heimat. Der systematische Ansatz der Reichenbacher hatte allerdings den Vorteil, dass man von so ziemlich jedem Ort - und sei es noch so ein abgelegenes Nest - der Republik eine Motivkarte bekommen finden konnte. Die Gebr. Garloff haben sich in diesem Fall jedoch auf ein absolutes Motivhighlight in einer der Vorzeigestädte der frühen 1960er konzentriert.
Insofern ist es nur verständlich das die Karte im Besitz eines Manfreds gelangte, der diese in der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben zum 8. Oktober 1963 (so der Poststempel) auf- oder in den Briefkasten gab und sie auf die Reise über Eisenhüttenstadt (Land) nach Vogelsang gehen lies. Die Botschaft ist für den uneingeweihten Mitleser nicht sonderlich spektakulär. Hier zeigt sich, dass in der DDR die Ansichtskarte als Kommunikationsmedium eine willkommene Alternative zum häufig nicht vorhandenen Telefon bzw. viel zu teuren Telegramm war. Für zwanzig Pfennig bekam man die Karte und für zehn Pfennig das Porto und damit wurde dann die Information übermittelt, dass Manfred am 17ten Oktober einen Termin in Berlin für eine "Ärztliche Untersuchung" bekommen hat und auf eine "Fahrangl." hofft. Das ist natürlich genug Stoff, um sich einen ganzen Roman dahinter zu denken, worauf ich mich an dieser Stelle aber nicht mich einzulassen gewillt bin.
Wenn man sich in den 1960ern schon mal bei der Freilichtbühne herumtreibt, ist es nur ein kleiner Bogen am Fuße des Bergs nach links auf den nächsten hinauf oder einfach obenherum durch den Wald und man gelangt zur HOG Berggaststätte "Dieloher Höhe", wobei das Wort "Berggaststätte" sich in der Schreibung durch seine Dopplung von "g" und "st" auszeichnet, die Karte jedoch ebenso wie die zur Freilichtbühne, durch ihre drucktechnische Herkunft. Als Herausgeber ist nämlich die PGH "Rotophot"-Werkstätten für Fototechnik in Bestensee bei Berlin angegeben. Leider wurde mit der Briefmarke auch die Jahresangabe entfernt, der Rest des Stempels gibt aber Auskunft darüber, dass sie an einem 13.07. in Eisenhüttenstadt in den Postverkehr gelangte. Aus dem zum Einsatz gekommenen Ortsnamen lässt sich demnach schließen, dass dies frühestens im Jahr 1962 geschah.
Ziel des herzlichen Grußes von einem Ausflug, bei dem in der Berggaststätte zu Mittag gegessen wurde, war die Riedeselstraße 23 in Darmstadt, zur der passend zum Standort der Gaststätte die Hügelstraße und die Sandstraße als nördliche Parallelstraßen verlaufen. Ganz verrückt wird es, wenn man bemerkt, dass die Empfängerin mit ihrem Nachnamen so heißt wie die südliche Parallelstraße der Riedeselstraße. Dass sie heute, ca. 45-50 Jahre nach Zustellung, noch dort wohnt ist eher unwahrscheinlich. Zu der Hausnummer gehört im Jahr 2008 in jedem Fall das Büro eines Diplom-Designers, der vielleicht auch der Ansichtskarte zum Mittagsmahl einen ganz anderen Schliff verpasst hätte. Mir gefällt sie aber so wie sie ist hervorragend und für den Blick auf das Wohnhochhaus gilt mittlerweile dasselbe wie oben für den Blick auf die Freilichtbühne: Er ist aus Gründen der Vegetation - in diesem Fall sogar sehr eng mit dem Objekt "Berggaststätte" - verwachsen.