Film und Vermächtnis
Ein bisschen besser hat es Eisenhüttenstadt als Frankfurt/Oder, wurde die Kleiststadt doch in filmischer Hinsicht in den letzten Jahren ordentlich gebeutelt: Halbe Treppe, Lichter, No Exit, Kombat Sechzehn, Die Kinder sind tot erscheinen im besten Fall als desillusionierter Blick in das Herz der ostbrandenburgischen Lebensleere und ansonsten weitgehend durchgängig als Report aus der bundesdeutschen Vorhölle, in der sich all das bündelt, was sich allgemein als Symptome für den Niedergang der gesellschaftlichen Werte so finden lässt. Auch der ostdeutsche Dokumentarfilm-Großmeister Volker Koepp hat mit seinem „Frankfurter Tor“ nicht unbedingt dazu beigetragen, dass dem Automobilisten auf der Bundesautobahn 12 die Endorphine in die Blutbahn schießen, wenn der Richtungsweiser auf die Oderstadt erscheint.
Zu 100 % deckungsgleich mit der Realität sind diese Blicke glücklicherweise eher nicht, auch wenn es manchem Besucher, der sich ausnahmsweise trotz aller Kino- und Fernseh-Klischees doch einmal in die Innenstadt Frankfurts wagt, die einerseits durch die DDR-Stadtplanung und andererseits durch den nach 1990 ähnlich missratenen Einkaufszentren-Investoren-Stumpfsinn mit einigen ganz groben innerstädtischen Scharten zu leben hat, anders erscheinen mag.
[Vorige Seite...] Ihr Bürger der Stadt, schaut auf diesen Film! (Und bewahrt!)
Es gibt eine Stelle ziemlich genau in der Mitte des Films, in der Gabriele Haubold davon spricht, dass sich die Stadt ändern wird, wenn die Aufbaugeneration den Folgegenerationen „eine eigene Anwendung, einen eigenen Umgang [mit der Stadt und ihrem Erscheinungsbild] gewährt“. Hierin findet sich das, was man als Quintessenz aus der Dokumentation und als Handlungsmaxime für alle zukünftigen Stadtentwicklungspläne mitnehmen sollte: das Schaffen von Möglichkeiten und die Öffnung der Räume für eine aktive Nutzung durch die Bewohner. Die versteinerte Generation der Eltern „von Mario, Tilo und den anderen“ schwindet langsam. An ihre Stelle tritt bislang sehr dominant die Rückzugsgeneration der Angepassten, die durch ihre kleinbürgerliche Selbstbezogenheit die Abwärtsspirale der Stadtkultur mit jedem neu gebauten Fertighaus weiter in Richtung der Profillosigkeit treibt. Diese stiftet der Stadt allerdings bestenfalls Grundsteuer, aber keinesfalls Identität. „Bewahrung ist aber das Gegenteil von bloßem Beharren“, schrieb der Philosoph Dieter Henrich jüngst in einem Aufsatz. Man wünscht sich sehr sehnlich nach dem Anschauen dieses Filmes, dass hier möglichst bald bei allen der Aufbaugeneration nachfolgenden Bevölkerungskohorten Eisenhüttenstadts trotz aller privaten Ausgefülltheit doch noch ein Bewusstsein dafür entsteht, dass es hier einiges zu bewahren gilt: die Vergangenheit einer Stadt, die Überreste eines grandios gescheiterten Versuches der Umsetzung einer ziemlich verrückten Idee, die eigene Vergangenheit, die eigene Gegenwart und die eigene Zukunft bzw. die der Nachfolgegenerationen.
Ein erster Schritt zur Bewahrung wäre es z.B. im Sinne eines Zirkelschlusses, den Film anzusehen und das Gesehene für sich selbst hinsichtlich der Fragestellung: Wo liegen die Probleme und was kann ich mit meinem Handeln tun, um mitzulösen? zu erörtern. Dass sie dafür eine so ideale Grundlage geschaffen hat – und obendrein ein Stück des Jahres 2006 für die Nachwelt dokumentiert – ist Johanna Ickert hoch anzurechnen.