Update 27.07.2009:
Auf einfachen Wunsch - der reicht uns mitunter - gibt es diesen Beitrag, der zugegeben etwas lang geworden ist, hier als PDF-Download für all diejenigen, die lieber im A4-Layout lesen.
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Ein Garten in Deutschland
„Oben auf dem Azaleenhügel hatte er sein Notizbuch gezückt, um einige seiner Eindrücke aufzuschreiben. Aber wo hätte er beginnen sollen? Allein die Aufzählung der Pflanzen, von denen er die meisten nicht kannte, hätte Seiten gefüllt, und alles, was er hätte notieren können, nacheinander, wäre doch nie der Synthese, der Simultaneität im ständigen Wechsel gerecht geworden. Er hatte einen Moment die Augen geschlossen und dann nur zwei Worte aufgeschrieben, die ihm plötzlich in den Sinn gekommen waren: „Schönheit und Ration.“
In seinem leider nicht durchgängig überzeugenden, aber insgesamt durchaus originellen Nachwende-Halbmärchen „Ein Garten im Norden“ aus dem Jahr 1998 schildert der gebürtige Stuttgarter Schriftsteller Michael Kleeberg (Berlin : Ullstein) die Fantasie seines Protagonisten, der in einem Wunschbuch einen hochintelligenten und erfolgreichen Banker namens Albert Klein in der Zwischenkriegszeit mitten in Berlin einen traumhaften Garten als weltoffene Alternative, ein Art anderes Deutschland, einen Raum der Begegnung und des Dialogs, eine Enklave eines besseren Zusammenlebens in der sich igelnden Engstirnigkeit und des dumpfen Nationalismus erschaffen und scheitern lässt.
„Was hätte aus Deutschland werden können, wenn nicht die Dunkelmänner und Welterlösungsbarbaren, von denen die Nazis nur die primitivste Form darstellten, das Sagen gehabt hätten, sondern die aufgeklärten, skeptischen, optimistischen Kosmopoliten und Hedonisten?“ – so formulierte der Münchner Literaturkritiker Thomas Kraft einmal die Leitfrage des Gedankenspiels. (In: Schwarz auf Weiss. Warum die deutschsprachige Literatur besser ist als ihr Ruf. Idstein: kookbooks, 2005, S. 69)
Nichts wird in dem Buch sichtbarer, als die Mühen der Ebenen in der Herausbildung einer deutschen Identität, die irgendwann sich um 1848 sehr spürbar ausbreiteten und sich bis 1995 und eigentlich bis heute fortsetzen. Die Unsicherheit des eigenen kulturellen Hintergrunds, die Möglichkeit der Identifikation mit einer Fahne, eine Hymne, einer Kultur, einer Zugehörigkeitsgefühl, das auf gelassenem Selbstbewusstsein und nicht auf forcierter Abgrenzung besteht, das weltgewandt und in sich stabil ist, blieb in beiden deutschen Staaten und in dem dritten, der den beiden 1990 folgte, erhalten.
Die Planstadt als Zeichen
Die Planstädte der DDR waren doppelt gerichtete Zeichen: sie sollten sowohl nach Innen wie auch Richtung Westen zur Vergewisserung beitragen, dass der Sozialismus als Modell funktioniert und eine freie, unbelastete Alternative darstellt.
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Der unvollendete Raum
Hinter der Stadthalle und dem neuen Hotel wirkt das Neustadtzentrum – wie auch das Zentrum von Eisenhüttenstadt – sehr unfertig. Hat die Ostdeutschland mit gesichtslosen Einkaufszonen versorgende ECE Hamburg mit dem Lausitzcenter 1995 wohl eine Lücke am Aufmarschplatz neben der Magistrale geschlossen, die in Eisenhüttenstadt blieb, führte der Abriss zahlreicher Vielgeschosser zu neuen Lücken. Das gibt der breiten Doktor-Wilhelm-Külz-Straße, die zweite Magistrale der Neustadt, einen zugigen Zuschnitt: Der Stadtraum wirkt, als erwartete er noch etwas. Vermutlich ist das weiterer Rückbau, befindet sich die Einwohnerzahl analog zu der Eisenhüttenstadts im freien Fall. Von den um die 70.000 Einwohnern in den 1980ern bleiben 2008 noch knapp 40.000 über, verteilt auf zehn Wohnkomplexe, die Altstadt und einige Eingemeindungen. Einen Rückgang der Bevölkerung um 40 % ist auch in Eisenhüttenstadt bekannt. Der Rückbau in Hoyerswerda wirkte deshalb noch etwas spektakulärer, weil sich die Abrisskräne hier durch die dominanten 11-Geschosser arbeiteten und dies teilweise auch in der Nähe des Zentrums, während es in Eisenhüttenstadt im Innenstadtbereich (bisher) nur punktuell und sehr zurückhaltend zum Abriss kam.
Der Turm und der Friedhof
Als Kontrapunkt zur Entdichtung des Stadtzentrums erhebt sich der so genannte Lausitztower in der Stadtpromenade 11, ein elfgeschossiges Hochhaus, das mit relativ einfachen Kniffen zu einem wirksamen architektonischen Markenzeichen der Stadt umgebaut wurde (vgl. auch Stadtpromenade 11 gilt als gutes Beispie - Lausitzer Rundschau, 18.07.2007). Es ist ein Blickfang, der in gewisser Weise von der erschreckenden Banalität des Einkaufszentrums ablenkt, welches eine überdachte Verbindungsachse zwischen der Magistrale und der Grünachse des Ehrenhains darstellt.
Der Ehrenhain lässt sich weder von der Seite des Hochhauses noch von der des Einkaufszentrums betreten, bleibt deutlich abgegrenzt zum umgebenden Stadtraum. Ausgelegt ist er mit den großen weißen Steinplatten, die in den 1970ern auch im Eisenhüttenstädter Stadtpark Insel zum Einsatz kamen und zwischen denen sich ein kleines Rosenbeet ausbreitet. Die Passanten, die auf den Bänken mit Blickrichtung Lausitztower platznehmen, haben den Vorparkplatz zum Einkaufszentrum vor Augen, den Hain dagegen im Rücken und mit diesem die große Stele mit Feuerschale sowie Sandsteintafeln, die die Namen von Opfern des zweiten Weltkriegs bzw. einen großen Sowjetstern tragen sowie die Skulptur „Der Widerstehende“ des Bildhauers Jürgen von Woyski, der 45 Jahre in der Stadt lebte und dessen Arbeiten in größerer Zahl über die Stadt verteilt sind. Man ist in der Anlage trotz ihrer Offenheit tatsächlich einigermaßen dem darum stattfindenden Einkaufsleben enthoben und insofern zeigt sich die Abgrenzung zur Umgebung nicht unbedingt als Nachteil.
Ob die Bewohner der Stadt die Anlage wahrnehmen, oder sie mit dem berühmten „Hoyerswerdaer Tunnelblick“, wie ihn die Hoyerswerda geborene Journalistin Kathleen Hofmann einmal beschrieb, beim Vorbeigehen ausblenden, lässt sich schwer beantworten. Auch der Vergleich mit dem Platz des Gedenkens im Eisenhüttenstädter WK I bietet sich nicht an, ist dieser doch nach allen Seiten offen und daher als städtischer Transitraum nutzbar. Hinter der Gedenkstätte zieht sich die kleine Allee des ehemaligen städtischen Friedhofs, der in den 1960ern geschlossen wurde. In dieser befinden sich ein Kriegerdenkmal aus dem Ersten Weltkrieg und eine Reihe von Bildhauerarbeiten, die wohl hauptsächlich während des 1983 abgehaltenen 5. Internationalen Bildhauersymposiums entstanden, das die in der DDR sehr verbreiteten und oft zitierten 11. Feuerbachthese von Karl Marx als Motto trug: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Nun stehen sie hier in einem Umfeld, was sich seit fast zwei Jahrzehnten versucht, in der der städtebaulichen Ausprägung einer Interpretation dieses Veränderungswillens zurück zu der von Marx in der zehnten Feuerbachthese verworfenen Bürgerlichkeit zu entwickeln. Ob es gelingt? Nur einen Katzensprung – eine graue Katze lief uns tatsächlich über den Weg, aber in einem anderen Wohnkomplex – entfernt befindet sich das Martin-Luther-King-Haus, in dem zuvor die Friedhofskapelle untergebracht war. Eine Kirche dagegen sollte es auch in der zweiten sozialistischen Stadt nicht geben, wohl vorbeugend im Einklang mit der vierten Feuerbachthese, in der man von der „religiösen Selbstentfremdung“ liest. Stattdessen stand an selber Stelle die „drei rostrote[n] Baracken“ (Brigitte Reimann, Franziska Linkerhand, S. 135) der „Aufbauleitung der Neustadt“. Durch den Himmel zuckte während unseres Besuches aber nicht „deltaförmig ein Düsenjäger […] in eine heitere weiße Wolke überm Horizont“, wohl aber etwas Grollen, nur aber aus einer ernsten, dunklen Wolke, die die Neustadt kräftig beschüttete. Im nahegelegenen Wohnblock kann man sich zwischen den leeren Schaufenstern der ehemaligen Dienstleistungsnischen im Erdgeschoß unterstellen: der Dönerladen ist, wie ein Schild informiert, umgezogen.
Eine Orangerie
Einmal im Niesel ums Ecke und zur hoffentlich bald durchbrechenden Sonne geschaut, erkennt man, dass es wechselhaft bleibt und erblickt zusätzlich einen markanten orangenen Würfel, der zwischen der Bus-Wendeschleife und der Bautzener Brücke unweit der Schwarzen Elster liegt, das etwas versumpft auch topographisch die Neustadt von der Altstadt trennt.
Der Würfel an der Albert-Einstein-Straße, neben dem drei Bauteile aufgereiht im Gras stehen, die offensichtlich vom Stadtumbau als Erinnerungsstücke aufbewahrt werden, soll zu eben diesem Stadtumbauprogramm Einblick und Ausblick geben, sowie Ideen sammeln – eine naheliegende Idee, die man sich auch in Eisenhüttenstadt für den VII. Wohnkomplex oder den Zentralen Platz gewünscht hätte. Die kleine Dokumentationsstelle öffnet ab 14 Uhr und war bei unserem Besuch mit einer sehr netten aber bedauerlicherweise mit der Materie nicht sonderlich intensiv geschulten Aufsicht besetzt. Nicht einmal die Trumpfkarte „Felix Ringel“ (vgl. auch Im Dschungelforschungscamp: Anthropologie in Hoyerswerda und anderswo) zündete, denn der Anthropologe aus Cambridge mit dem Schwerpunkt Hoyerswerda war ihr schlicht unbekannt und insofern blieb die Annäherung an die Transformation der einmal zweitgrößten Stadt im Bezirk Cottbus auf autodidaktischem Niveau. Man erfuhr nur, dass die Einwohner nicht sonderlich religiös sind, wenig leidenschaftlich und wenn man sie fragt, was ihnen am besten gefällt, auf das viele Grün verweisen. Es wird noch einiges dazukommen.
Die Dokumentation ist sehr hilfreich, hilft zu verstehen, was sich in der Neustadt in den letzten Jahren ändert und erklärt auch die vielen freien Grün- und Wucherflächen in den Wohnkomplexen. Auf der Galerie im Würfel findet sich obendrein ein rührendes und sehr holprig gereimtes Gedicht eines 14 Jährigen auf die Stadt:
… In einer Stadt, in der einst war reges Treiben/muss es auch heute noch möglich sein zu bleiben.
Sollte es, denn auch wenn der flüchtige Eindruck nicht gerade mitreißt, so kann man sich dennoch vorstellen, dass man mit dem richtigen sozialen Umfeld und einer sinnvollen Aufgabe in Hoyerswerda glücklich werden kann. Aber auch das andere ist vorstellbar.
Die Altstadt
Beim Übergang zur Altstadt, der an dieser Stelle geradewegs zum Wohl mit Plastiken wie Tieren gespickten Zoo führt, den wir mangels Zeit aber links liegen lassen mussten, erkennt man sofort, dass Jürgen von Woyski in Hoyerswerda ganze Arbeit geleistet hat, denn auch hier finden sich wunderbare Arbeiten in Sandstein, Keramik und Metall. Vor dem Schloss stieß zum Beispiel ein aufrechter bronzender Blechbläser in die Fanfare, während eine Hochzeitsgesellschaft auf das Brautpaar aus dem Trauzimmer wartete. Die Tatsache, dass man eine Hochzeitsgesellschaft trifft, beantwortet nebenbei die berühmte Reimann-Frage: Kann man in Hoyerswerda küssen?
Man kann offensichtlich, wenigstens in der Altstadt. Als das Brautpaar später durch die Pforte schritt, hatte man obendrein den Eindruck, dass sich die beiden glücklichen Menschen auch schon bei anderen Gelegenheiten küssten. Vielleicht stammen sie aber auch gar nicht aus Hoyerswerda, sondern aus Riegel oder Tätzschwitz. Das wissen wir genauso wenig wie, ob die aktuelle Ausstellung im Schlossmuseum zur Schulgeschichte in Hoyerswerda und Umgebung auch die Tätzschwitzer Schulstube mit in das Programm einbezogen hat. Denn uns trieb es weiter vorbei am Gründungshaus der Domowina (Bund der Lausitzer Sorben), in dem niemand Geringeres als Konrad Zuse sein Abitur erwarb und das leider sehr verlassen da lag, zum Marktplatz.
Auf diesem steht ein Brunnen, dessen Sockel dem vor dem Eisenhüttenstädter Rathaus um einen Hahn gleicht. Während aber in Eisenhüttenstadt eine Mutter ihr Kind Richtung Bürgerbüro führt, schweigen sich in Hoyerswerda ein Mann mit Hut und eine Frau ohne Hut an. Vielleicht ging es, so ein Gedanke, damals doch nicht so gut mit dem Küssen in Hoywoy. Nicht weit davon ist die Tourismusinformation, die mit einer ganz guten Sortierung an Postkarten und Broschüren aufwartet. Als für den weiteren Spaziergang sehr hilfreich erwies sich die Broschüre „Brigitte Reimann – Spaziergang durch Hoyerswerda“ des Hoyerswerdaer Kunstvereins, die einige Stationen aus Leben und Werk der wohl prominentesten Bürgerin der Stadt auf der Karte eingezeichnet und annotiert enthält. Streng wissenschaftlich-technisch gibt sich das für Literaturliebhaber gefühlt den Brigitte-Reimann-Stadt führende Hoyerswerda den Beinnamen Konrad-Zuse-Stadt, obwohl dieser dort tatsächlich nicht viel mehr als die Hochschulreife erwarb. Andererseits geht das Stadtmarketing vielleicht davon aus, das Konrad Zuse womöglich jenseits der Freundeskreise für DDR-Literatur ein bekannterer Akteur ist. Viele Touristen zieht er trotzdem nicht an, wie uns an anderer Stelle bestätigt wurde und wie es auch eine laut Statistik nur 21 % betragende Auslastung der 477 Gästebetten der Stadt andeutet. Daher verwundert es auch nicht, dass die Zahl der Restaurants in Hoyerswerda überschaubar ist und uns letztlich die Wahl zwischen afrikanischer Cuisine im Zoo oder gemischter Küche 30 Meter weiter blieb. Wir blieben 30 Meter weiter.
Keine Experimente?: Die Wohnkomplexe
Die Wohnkomplexe selbst zu durchwandern gelang uns nur in Andeutung. Im Gesamteindruck erinnern sie an das, was in Eisenhüttenstadt ab dem Wohnkomplex IV entstand, wenn auch mit z.B. deutlich anders konzipierten Grünräumen. Kinder, die hier aufwachsen, lernen vermutlich frühzeitig zu zählen, denn in der Tat sehen sich manche Wohnhöfe wenigstens auf den ersten Blick sehr ähnlich und man fragt sich beim Initialbesuch schon, ob man sich noch in der Johannes-R.-Becher oder bereits in der Johann-Gottfried-Herder-Straße flaniert. Auch die Überarbeitung der Fassaden seit 1990 beließ diese Situation unangetastet. Das Haus, in dem Brigitte Reimann wohnte und von ihrem Küchenfenster sie das Wachsen ihres WK I beobachten konnte und feststellte „Es ist schon eine tolle Stadt“, aber auch „Eigentlich betrachte H. nur als eine Art Durchgangsstation“, ist denkbar unauffällig. Eine kleine Gedenkplatte neben dem Eingang verweist auf ihren Aufenthalt von 1960-1968. Eine kleine Stichstraße nebenan trägt den Namen der Autoren. Ansonsten ist das Wohngebiet spärlich frequentiert und sehr ruhig. Nur manchmal lärmen zwei Touristen mit Andrew Hill im Autoradio herum, meistens aber eher zu Fuß und eifrig fotografierend. Schaut man genauer, erkennt man durchaus die maßgeblichen Unterschiede zwischen den Baustufen und je weiter man nach Osten treibt, je höher die Nummern hinter der Bezeichnung Wohnkomplex werden, desto mehr sieht man auch hier – vergleichbar mit den Stadterweiterungsstufen in Eisenhüttenstadt – wie die Liebe zum Detail der Taktstraßen-Rationalität untergeordnet wurde:
„Ich hoffe, Sie haben keine überspannten Vorstellungen von den Aufgaben, die Sie hier erwarten. Wenn Sie der Auffassung sind, daß Neustadt ein Experimentierfeld ist, dann revidieren Sie diese Auffassung. Wir haben keine Zeit für Spielereien. Wir haben nur eine Aufgabe: Wohnungen für unsere Werktätigen zu bauen, so viele, so schnell, so billig wie möglich. Halten Sie sich das immer vor Augen.“ (Franziska Linkerhand, S. 140)
Da war der Name Programm und gerade an den Nahversorgungs- und gesellschaftlichen Einrichtungen lässt sich dies deutlich ablesen. Letztlich waren die Planstädte der DDR natürlich nichts anderes als ein großes Experimentierfeld und die bauingenieurtechnischen Innovationen, die in Hoyerswerda erprobt und republikweit eingesetzt wurden, sind damit gar nicht mal gemeint. Denn es ging darum, wie man das Leben von zehntausenden Entwurzelten an einer Stelle bündelt und so organisiert, dass sie im Idealfall glücklich werden bzw. sich wenigstens nicht in einer für sie unerträglichen Tristesse aus dem Wohnhochhaus werfen. Ist es gelungen? Wohl weder noch, so der Eindruck. Man lebt auch hier vermutlich vorwiegend im Lebensmittelmaß.
Das Planetarium
Ein besonders sehenswertes Kleinod aus einem polytechnisierten Bildungszeitalter, das in seiner Wertigkeit nach dem Schema Weltall-Erde-Mensch gestaffelt war, findet sich als bauliches Beispiel für die sozialistische Fortschritts- und Aufklärungseuphorie der 1960er Jahre im Wohnkomplex VI: eine Schule mit Sternwarte, die folgerichtig „Mittelschule am Planetarium“ heißt. Der kleine Rundbau wurde ab 1967 als so genannte „Volkswirtschaftliche Masseninitiative“ (VMI) also in freiwilliger Arbeit errichtet. Unglücklicherweise steht die Mittelschule heute wohl auch auf der Abrissliste, denn natürlich fehlen auch in Hoyerswerda die Schüler und so soll die Schule am Planetarium laut Plan in absehbarer Zeit mit einer weiteren Schule in die 1959 gebaute und denkmalgeschützte ehemalige Ernst-Schneller-Oberschule im I. Wohnkomplex ziehen, wobei das Gebäude, welches wir zufällig auch passierten, bislang relativ unsaniert erscheint und die Wände hauptsächlich als Sprühwandzeitung der lokalen politischen Jugendkulturen genutzt werden. Die angrenzend liegende zentrale Freifläche mit der eingewachsenen Kegelbahn erinnert an die ebenfalls weitgehend sich selbst überlassene Eisenhüttenstädter Insel bzw. das Nahversorgungszentrum am Platz der Jugend. In der Klubgastätte „Melodie“ zwischen Sputnik- und Armstrong-Straße spielt jedenfalls keine Musik mehr, in der „Einkaufsstätte des täglichen Bedarfs“ befindet sich immerhin noch ein Aquarienhandel. Richtig Aufbruchsgeist in neue Sphären strahlt auch dieses Viertel nicht mehr aus. Es hat schon in der hiesigen offensichtliche Probleme, das Gleichgewicht zu halten.
Diesen Kummer teilt es mit dem 10. Wohnkomplex „Seidewinkel“, in dem jüngst passenderweise in der Albrecht-Dürer-Straße ein sechsgeschossiger Plattenbau der Baureihe WBS 70 zum Malgrund wurde. Im Resultat steht unter anderem ein schönes Porträt Konrad Zuses, das sich über den gesamten Aufgang Nr. 3, hofseitig, erstreckt. In nicht allzu ferner Zukunft wird auch er mit dem ganzen Wohnkomplex und den Wohnkomplexen 8 und 9 verschwunden sein. So ähneln sich die Stadtschicksale, obschon Eisenhüttenstadt im Vergleich und was den Abriss angeht sogar noch recht glimpflich davon kommt.
Die Steine und die Menschen
Eine letzte Gemeinsamkeit der beiden Städte, die uns bei dem Rundgang ins Auge fiel, sind die wandernden Skulpturen. So sind die sehr schönen Arbeiten des ersten Bildhauer-Symposiums aus dem Jahr 1975, die unter dem Motto „Friede, Glück und Freundschaft“ u.a. von Peter Kern, Alexander Ilecko, Jurij Orechow, Zygfryd Korpalski und natürlich Jürgen von Woyski zusammengemeißelt wurden, aus dem aufgegebenen Nahversorgungszentrum des Wohnkomplex IX ins Zentrum der Neustadt umgezogen und werden dort in einer hervorragenden neuen Aufstellung präsentiert. Die wenigen Hoyerswerdaer, die [...Nächste Seite]