Einträge von Alf
Die "Eisenbahnstation Eisenhüttenstadt" (zwei Worte mit der gleichen Buchstaben- und Silbenzahl) wurde von Ben zum Motiv des Monats Oktober erklärt. Zu recht, wie ich finde, denn der Bahnhof ist die Hauptverbindung der Stadt zum Rest der Welt.
Und so sehe ich den Bahnhof, wenn ich einem Liedchen von International Pony Folge leiste ("Leaving Home"). Tja, leider hat die Qualität sehr gelitten, denn der Film erscheint mir dunkler, als er auf meinem Display zu sehen ist. Schad eigentlich. Doch vielleicht liegt es ja auch nur an meinem Monitor?
Bis jetzt war das Eisenhüttenstadt Blog nur etwas für die Augen: tolle Texte und bunte Bilder. Doch ab sofort gibt es auch etwas auf die Ohren: magische Musik aus der Stahlstadt. Und damit die verschiedenen Geschmäcker nicht zu kurz kommen, reicht die Spannweite des dargebotenen Download-Programms von Ambient über Hip-Hop bis Jungle und Drum 'n' Bass.
Den Auftakt macht die Formation Urklang, deren Sounds direkt aus dem Mikrokosmos des Unterbewusstseins zu kommen scheinen. Es wogt und rauscht wie das Meer, Stimmen aus dem Nichts geben einen Satz zum Besten und irgendwo klingelt ein Telefon, doch niemand geht ran. Mit dem Reimgeschwader a.k.a. Ben & Maschi haben wir das Hip-Hop-Urgestein aus Hütte am Start. Wortakrobatische Impressionen aus dem letzten Jahr vor der Jahrtausendwende. Zum Abschluss gibt es ein paar elektronisch gebastelte Beats, die es wahrlich in sich haben - Slapdash (EH) bzw. Quos klopfen euch den Feinstaub aus den Ohren und sorgen für die nötige Entschlackung.
Viel Spaß damit und ab dafür!
Automatische Poesie
Am 28. August 2006 wäre Johann Wolfgang Goethe 257 Jahre alt geworden. Wenn er denn noch gelebt hätte. Mit Hilfe eines von Günters Gedichtgenerator Poetron erstellten und auf Eisenhüttenstadt gemünzten Gedichts soll des deutschen Nationaldichters gedacht werden. Die eingegebenen Stichworte waren
Name: Marchwitza, Substantiv: Stahl, Verb: schmieden, Adjektiv: frohgemut
und das kam dabei heraus:
Stahle
Frohgemut jedoch wissend.
Sie schmieden, Sie rubbeln...
Und werben die Bluse.
Welch frohgemute Stahle!
Und Blusen
Zu wissend und
Marchwitza ist schuld!
GROSSE MITMACHAKTION : STADTDESSEN
Überall ist vom Sterben und Schrumpfen der Städte ("shrinking cities") die Rede. Doch die Stadt lebt weiter, vor allem in unseren Köpfen, in Texten und auf Fotos ("translocating city"). Eine Stadt besteht nicht einfach aus einer Mörtelmasse und Glas-Stahl-Beton-Ziegelstein, sondern auch und vor allem aus Biomasse. Erst die Bewohner erfüllen die Stadt mit Leben, geben ihr Gesicht und Flair. Eine Stadt ist eine Symbiose aus "Fleisch und Stein" (Richard Sennett). Wo steckt das Fludium des Lebens und wie macht man es sichtbar?
"Seit einigen Jahren gibt es in Deutschland eine Stadt, die nur Menschen beherbergt, die um Eisen kämpfen. Eine schöne Stadt, jung und gesund wie ein eben den Kinderschuhen entwachsener Bursche… Diese Stadt hat keine Vergangenheit. Sie hat nur eine Zukunft. Das Durchschnittsalter ihrer Menschen beträgt siebenundzwanzig Jahre. Die Hälfte der dort Lebenden ist minderjährig." (Rainer Kendl: Der "jungsche" Ingenieur, in: Die von Morgen träumen…, Berlin: 1959)
Menschen verändern sich im Laufe der Jahre. Die Stadt verändert sich mit ihren Bewohnern und durch sie. Menschen verändern ihr Gesicht, Städte ebenso. Die Stalinstadt der fünfziger Jahre sieht anders aus, als die Eisenhüttenstadt des 21. Jahrhunderts. Die in dem Zitat beschriebene Stadt existiert so nicht mehr. Doch was haben wir stattdessen?
Eine Antwort auf diese Frage soll mit der großen Mitmachfotoaktion STADTDESSEN gefunden werden. Liebe EHSTeten, sucht nach alten Aufnahmen und Stadtansichten, und fotografiert dieselben Orte im Hier & Heute! Oder macht Bilder von euren Lieblingsplätzen, euerm Schulweg oder einer mit euren Erinnerungen aufgeladenen Örtlichkeit (der erste Kuss / die zweite Wahl / der dritte Mann / das letzte Hemd) und fotografiert sie in einem oder zehn Jahren noch einmal! Die so erhaltenen Fotos ladet ihr bei Flickr.com hoch und verseht sie mit den folgenden drei Tags: Stalinstadt, Stadtdessen, Eisenhüttenstadt. Anbei schon mal eine Kostprobe einer aufkommenden BilderEHSTetik:
© Fotocollage 1969/2005 by Hagen Oppelt
Stadtdessen ist eine konzertierte Aktion von Eisenhüttenstadt Blog, Logbuch Eisenhüttenstadt & Fotohüttenstadt (Flickr).
Ein kleiner Link zum Nachbarblog
Da unser Vielschreiber Ben zurzeit Südkorea besucht ("I'm a Seoulman"), sprudeln die Worte in unserem Blog nur noch dürftig. Damit der Quell der Freude nicht vollständig zum Versiegen kommt, helfen alle anderen aus, soweit sie können. Da ich momentan selbst stark eingebunden bin und ein Doppelblogging im Logbuch Eisenhüttenstadt und im Eisenhüttenstadt Blog nicht erwünscht ist, folgt hier nun nur ein kleiner Link mit dem Zaunpfahl.
Im Logbuch gibt es in dieser Woche ultrarare Fotos vom August 1961 zu sehen. Jeden Tag eins, sechs insgesamt. Unter der Überschrift "Blogschokolade" ist jeder Leser ganz herzlich eingeladen, jeden Tag ein Täfelchen dieser gut gelagerten, aber nicht überlagerten Köstlichkeit zu vernaschen. Guckst du hier!
Der verlorengegangene Wohnkomplex
Aufgeregt rannte ich zu meinen Eltern, die so linientreu waren, dass sie sogar vor der Farbe Rot salutierten, zeigte ihnen den Bildband und fragte, wo denn zu finden sei, was dort abgebildet war. Sie reagierten sehr unwirsch und der Situation völlig unangemessen, in dem sie mir das Buch wegnahmen und sagten, ich solle lieber den Müll rausbringen. Auch später frühstückten sie mich auf meine nachbohrenden Fragen hin mit solchen Elternstandards ab wie “Sei still und iss deinen Pudding!” oder “Räum erst mal dein Zimmer auf! Der reinste Saustall ist das wieder!”
Also schnappte ich mir mein diamantenes Damenrad und fuhr Achten durch die Stadt auf der Suche nach jenen geheimnisvollen Winkeln. Irgendwo musste es diese Ecken geben, da war ich mir sicher. Ab und an begegneten mir auch einige Stellen, die so aussahen, als ob, aber sie waren den von mir gesuchten nur ähnlich, nicht aber mit ihnen identisch.
Mit der Zeit verband ich die gesuchten Örtlichkeiten mit Ideen von einer besseren Welt und die Suche danach entwickelte sich bei mir zu einer Art Besessenheit. Nachts träumte mir manches Mal, dass ich beim Müll herunterbringen zwischen den Sträuchern einen bisher verborgenen Trampelpfad entdeckte, der mich geradewegs in jenen verwunschenen Wohnkomplex führte. In der Schule erzählte ich meinen Mitschülern von dem versteckten Wohnkomplex und sagte ihnen, dass es dort sogar Geschäfte mit westlichen Produkten, BMX-Räder und Skateboards gäbe. Zum Beweis zeigte ich ihnen den Bildband mit den verblichenen Fotos. Sie glaubten mir und die Sache sprach sich wie ein Lauffeuer herum, so dass ich schon bald beim Direktor erscheinen musste. Der Rektor war außer sich vor Wut, nahm mir das Buch weg und schrie, dass es so etwas noch nicht gegeben hätte. Der versteckte Wohnkomplex sei ein missglückter Versuch gewesen, habe darum nie existiert und werde auch nie existieren. Dann zerriss er das Buch und drohte mir mit einem Schulverweis, wenn ich weiter “solchen Unsinn verbreiten” würde.
Der Wutversprecher des Direx‘ machte mich hellhörig und bestätigte mich in meinen Auffassungen. Am selben Tag nahm mich meine Deutschlehrerin, eine sehr patente ältere Dame, beiseite und klärte mich über die wahren Umstände des versteckten Wohnkomplexes auf. Als die Stadt in den fünfziger Jahren erbaut wurde, begann man mit der Errichtung eines vorbildhaften Stadtteils, in dem der neue Mensch heranreifen sollte. Alles war auf das harmonischste und nach neuesten Gesichtspunkten und Erkenntnissen gestaltet und für alles war gesorgt, denn die Bewohner sollten sich wohl fühlen. Schon bald fühlten sich die Bewohner so heimisch, dass sie ihr Zuhause nicht mehr verlassen wollten, nicht einmal, um zu arbeiten. Das gefiel natürlich niemandem von der Regierung und man versuchte, durch Argumentation, Wandzeitungen und Drohungen die Leute zum Arbeiten zu bewegen. Diese waren jedoch durch keinen Eingriff von außen dazu zu bewegen. Im Gegenteil: sie schirmten sich immer mehr von der Außenwelt ab und legten stattdessen kleine Gemüsebeete und Obstgärten auf den Rasenflächen an. Da beschloss die DDR-Regierung die vollständige Evakuierung und Zerstörung des Stadtviertels und die Errichtung eines herkömmlichen Wohnkomplexes mit langweiliger Zeilenbebauung und Wäscheplätzen dazwischen.
Und so kennen wir die Stadt heute noch. Nur auf höchst seltenen alten Ansichtskarten und bei Herbstnebel ist der verloren gegangene Wohnkomplex für Menschen mit reinem Herzen noch zu sehen. Auch sollen einzelne Reste, von Sträuchern überwuchert, im Innenstadtbereich (gemeint sind die Wohnkomplexe II und V) überdauert haben, z.B. die ehemalige HO-Gaststätte “Aktivist” oder der kleine Pavillon an der Kreuzung Friedrich-Engels-Straße/Poststraße.
(c) 6. August 2006 by Alf Artig
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