Der Flickerianer "Krummsdorf" hat jüngst drei weitere herausragende Aufnahmen aus der Eisenhüttenstadtgeschichte in seinen Flickr-Stream geladen und alle drei verdienen längere Betrachtung. Kernmotiv ist die Leninallee (heute Lindenallee). "
Eisenhüttenstadt 5" zeigt den nördlichen Teil Richtung Werk. Hier gab es dereinst noch keine Geschäfte und natürlich auch nicht den schrecklich fantasie-, farb- und lieblosen Riegel, der nach 1990 dort hingeschustert wurde. Es gibt wohl fast niemanden, der sich für dieses Rasenstück nicht eine stadträumlich angenehmere Lösung gewünscht hätte, aber natürlich musste es damals schnell gehen, vor allem für die Investoren und das Heilsversprechen "neue Arbeitsplätze". Nun hat man eine ziemlich öde Variante, die allerdings ein adäquates Präludium zu dem darstellt, was blindlings als neues "City Center" neben die Werkstraße geholzt wurde. Das alte "City Center" Lenin- bzw. Lindenallee hat man damit selbstverständlich nachhaltig torpediert. Aber so war die Zeit nun mal in den nachwendlichen Jahren der Unsicherheit und heute würde man in Eisenhüttenstadt derartige Schnellschüsse vermutlich nicht mehr zulassen. Obwohl - zumindest in Cottbus scheint man solches mit dem
Blechen-Carré just nachzuholen. Vielleicht ist es auch einfach eine Mark Brandenburger Verirrung, die auszukurieren bisher noch nicht durchgängig gelang. Eisenhüttenstadt ist halt überall..
Auf "
Eisenhüttenstadt 6" ist das Werk nicht direkt sichtbar, drei Rauchsäulen, die sich über dem Spitzdach der nordwestlichen Wohnzeile in den blauen Himmel kräuseln, verweisen jedoch darauf. Auffällig sind die in Höhe des Friedrich-Wolf-Theaters am linken Fahrbahn- und Bildrand aufgestapelten Baumaterialien, deren Zweck sich auf dem nächsten Bild erklären wird. Zusätzlich fällt die Beflaggung des Theaterportals mit den Nationalfahnen verschiedener sozialistischer Bruderländer auf. Auch hier wird der konkrete Anlass auf dem nächsten Bild sichtbar. Leninallee-Nostalgiker werden beim Anblick dieser Aufnahme besonders angesichts des "Foto"-Schriftzugs an den Balkonen des Hochhauses Leninallee 36 aufjauchzen und in der Tat ist das Fachgeschäft für Fotografie eines wenigen Geschäfte in der Leninallee, welches nach wie vor am selben Orte - wenn auch mit anderem Namen - befindlich ist.
Die Aufnahme "Eisenhüttenstadt 7" zeigt schließlich eine wunderbare Frontalsicht auf das Theater. Besonders deutlich erkennt man gen linken Bildrand den im Neubau befindlichen Gebäudeteil, der das örtliche Sportartikelgeschäft beherbergte und nun im 21. Jahrhundert zentrale Dependance der Stadtwerke ist. Ausgehend von dem sichtbaren Baufortschritt und dem Wissen, dass die SpoWa 1961 eröffnet wurde, kann man zunächst einmal die Krummsdorf'sche Datierung ("shot in 1974 (?) ) eindeutig falsifizieren. Leider ist auf der Ankündigungstafel für die "Woche der CSSR-Filme" keine Jahreszahl zu erkennen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht vorhanden. Vorhanden ist das Datum, wobei der Monat a) durch die Bildauflösung und b) durch den verdeckenden Peitschenmasten der Straßenbeleuchtung leider nicht eindeutig zu entziffern ist. Die Tage sind allerdings vermutlich 18.-25. "Tage" bzw. "Wochen des CSSR-Films" gab es häufiger in der DDR (1966, 1975).
Ein weiteres schönes Detail der Aufnahme ist der schaue Schaukasten des Glas- und Porzellanladens, dessen eigentümlichen Geruch ich prompt in der Nase habe und damit die Furcht, etwas umzustoßen, die ich als Bub immer verspürte. Den Odor dieses Geschäfts nachzukreieren wäre durchaus mal etwas für die Duftconnaisseure vom Osthits-Shop. Vielleicht fiele mir dann noch mehr weit Vergangenes ein... Beispielsweise, dass mich ein rüstiger Rentner irgendwann in den 1980er Jahren etwa auf dieser Höhe am Kragen packte und vom Fahrrad riss, da ich Lausebengel - der ich zu diesem Zeitpunkt als ängstliches Kind das Radeln am Straßenrand scheute - auf dem Gehweg fuhr. Auch das wird heute wohl nicht mehr passieren, es sei denn, man radelt an dem sportiven Polizisten vorbei, der etwas weiter gen EKO in der Mitte der 1990er Jahre einen lokalen Meistersprüher namens "Hekser" des nachts mit einem schnellen Tritt in die Hacken und einem kräftigen Sprung in den Rücken lahmlegte, da dieser verrückterweise mitten in der Lindenallee seinen Namen in Schwarz und Silber hinterlassen wollte. Auch eine Geschichte, die außer in den Akten der Polizei bisher noch nicht dokumentiert sein dürfte und entsprechend an dieser Stelle dem virtuellen Erinnerungspool Eisenhüttenstadts hinzugefügt wird. Geschwindigkeit war keine
Hekserei, aber später hat der sehr
specielle junge Mann flotte - und sehr flinke - elektronische Musik gemacht und macht sie vermutlich noch heute. Doch das ist eine ganz andere Geschichte und entsprechend breche ich hier meinen Gedankenfluss ab und wünsche einfach eine gute Nacht und einen schönen Freitag.
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