Doch die Gravur-Aufträge werden knapper. "Immer mehr Leute lassen sich doch anonym bestatten", sagt Haase. Das macht ihn traurig. "Irgendwann werden wir Steinmetze wohl aussterben. Dabei ist das so ein schöner Beruf." Wenn man sich die Statistik vom Inselfriedhof anschaut, scheint sich diese Vorahnung zu bestätigen. Denn dort waren laut der Friedhofsverwaltung die Hälfte der diesjährigen Bestattungen anonym. Das heißt, die Toten werden in Cottbus oder Forst verbrannt, die Asche kommt in eine Urne und diese landet unter der Erde mit etlichen anderen. Keine Namen, keine Jahreszahlen - nur Gras, was darüber wächst, und eine Stele, an der Angehörige und Freunde Blumen niederlegen können. So eine Grabstelle ist nun mal billiger als die für ein Einer-Urnengrab für 500 Euro oder gar die für eine Erdbestattung, die bei 950 Euro beginnt. Ein Plätzchen in der Urnenwiese kostet auf dem Inselfriedhof nur 140 Euro.Selbst das ganz gar jenseitige Thema "Tod" wird in Ostbrandenburg vorwiegend aus der ökonomischen Warte betrachtet, und vielleicht ist es auch gar nicht so jenseitig, wenn man an Norbert Elias' Formulierung "Der Tod ist ein Problem der Lebenden" denkt. Die Institution Friedhof, so wie man ihn in diesen Breiten kennt, ist ganz bestimmt auf die Diesseitigkeit ausgerichtet, als Erinnerungsort und irgendwo auch als eine Art Archiv und dies sogar in seinem Wortursprung einerseits der arche als dem Ursprung, dem Anfang, also dem Verweis auf das "Staub zu Staub" und die Kreisläufigkeit allen Lebens und andererseits aus dem árchein im Sinne von "herrschen". Man denke an Rilke (Der Tod ist groß./Wir sind die Seinen/lachenden Munds./Wenn wir uns mitten im Leben meinen,/wagt er zu weinen/ mitten in uns.) und daran, dass selbst in der Postmoderne, der Tod dem Menschen als - vielleicht das einzige - Absolute bleibt und damit als permanentes unterschwelliges Leitmotiv der menschlichen Kultur mitschwingt: Was immer man auch tut, man lebt auf den Tod zu und man weiß dies, nur leider zu selten, wie man mit dieser einzigen Gewissheit umgehen soll.
Bis zu dieser Elementarfrage des Menschseins dringt Janet Neiser in ihrer kleinen Reportage für die Märkische Oderzeitung zum morgigen Totensonntag nicht vor, sondern beschäftigt sich hauptsächlich mit den ökonomischen Fragen solcher Bewältigungsversuche. Entsprechend bleibt die Berichterstattung leider eindimensional und erschreckt obendrein mit der Einsicht, wie sich selbst an dem Punkt des Lebens, der einer der wenigen bleibt, welche wirklich Pietät einfordern, der kalte Blick der Ökonomie zur eigentlichen Dominante wird. Glücklicherweise ist die Frage nach dem richtigen oder dem bezahlbaren Stein und der Grabstätte wirklich ein Problem für die Lebenden geblieben: Sie müssen entscheiden, ob und wie sie die Oberflächen, die Symbole für ihre Trauerarbeit und ihre Erinnerungen formen und formen lassen können. Die Toten beruht der Trauermarkt nicht mehr wirklich. Der Friedhof ist diesem Sinne ein Ort für die Lebenden, auch ein Ort ihrer eigenen, vorweggenommenen Heimkehr. Die eigenartige innere Melodie, die die meisten Menschen beim Gang zwischen Grabreihen umfängt, erscheint als Ausdruck genau dieses Gefühles.
Aus der Position des an den mit dem Sterben und den Bewältigungsansätzen verbundenen kulturellen Phänomenen ist der Inselfriedhof ganz besonders faszinierend, hat er doch mit der Stadt, der er dient, einiges gemeinsam: Es ist ein relativ junger Friedhof, der erst zwanzig Jahre nach Stadtgründung eröffnet wurde und genau wie die Stadt ist er Planwerk. Ob es der "erste sozialistische" Friedhof Deutschlands war, vermag ich nicht zu sagen. Er ist aber ein Zeichen dafür, dass die jüngste und damit vielleicht lebendigste Stadt der Republik zwar (zunächst) Gotteshäuser aus ihrem Stadtgebäude heraushalten konnte, den Tod zu überwinden gelang ihr jedoch nicht, auch wenn sich die Anlage deutlich abgetrennt am östlichen Rand des Stadtgebietes jenseits der Bahnlinie Frankfurt/Oder-Guben befindet. Immerhin hatten es dort die Bewohner der neuen Wohnkomplex (VI und VII) nicht weit zu ihren Verstorbenen.
Eine gänzlich neuartige Begräbniskultur hat die sozialistische Gemeinschaft nicht entwickelt, aber die geringe Präsenz von christlicher (Erlösungs)Symbolik fällt sehr deutlich auf. Die Gestaltung trägt vielmehr die Insignien einer postreligiösen Moderne: die ausgesprochen weitläufige Parkanlage spiegelt dabei in gewisser Weise die Weiläufigkeit des Stadtraums. Nicht das Kreuz bestimmt den Abschiedsraum, sondern eine Farbglasarbeit (von Dagmar Glaser-Lauermann und Katarina Peschel), die den Lebenskreis als Thema aufgreift. Im Zentrum steht die Sonne, das Licht als Lebenssysmbol und darum kreisend die Lebensstationen von der Kindheit - dargestellt durch das Kind und die Mutter - über die Jugend - die als idealisierte Zweisamkeit abgebildet wird - das Erwachsensein, dessen Symbol die Elternschaft ist und schließlich das Alter und das Sterben, wobei hier die Jugend dem Alter den Weg weist: die Erdung des Menschen.
Die Hochbauten, dominant besonders die Trauerhalle, von Werner Kölsch sind straff geometrisch, wie auch die Durchbruchwände, welche den vorderen Teil des Friedhofs gliedern. Sie bilden eine Art Kontrapunkt zum Landschaftsbereich mit den Grabstellen, der in seinen Hauptachsen durchaus an die naheliegende Parkanlage der Insel erinnert. Ein wenig schade ist, dass man diese Verbindung nicht stärker herausgearbeitet hat: Wer sich aus der Kernstadt über die Insel nähert, durchläuft zunächst einmal entweder am Kanalufer oder durch den Wald beim Tiergehege vorbei einen sehr schönen Weg, der zur Besinnung geeignet sein könnte. Aber die Verengung und Einzäunung des Pfades in Höhe der Zwillingsschaftschleuse und die Wellblechwand des Areals der Bundespolizei zerstören dieses Gefühl nur zu leicht und spätestens das Areal Unterschleuse mit der recht stark befahrenen Verbindungsstraße zwischen B112 und Wohnkomplex VI wirft mit ihrer Fußweg- und Übergangslosigkeit eine unangenehme Hürde in den Spaziergang. Um eine sehr interessante Landschaftsgestaltung zu erfahren, lohnt sich natürlich dennoch.
Trauerarbeit in Bronze.
Die Leidfigur von René Graetz steht deutlich in der Tradition der Skulpturen in Eisenhüttenstadt. Die jährlichen Sterbezahlen waren Anfang der 1970er Jahren auf 300-500 Fälle pro Jahr geplant. Die Statistik für 1958 wies 83 auf, davon ganze 7 mit der angegebenen Ursache "Altersschwäche".
Die Leidfigur von René Graetz steht deutlich in der Tradition der Skulpturen in Eisenhüttenstadt. Die jährlichen Sterbezahlen waren Anfang der 1970er Jahren auf 300-500 Fälle pro Jahr geplant. Die Statistik für 1958 wies 83 auf, davon ganze 7 mit der angegebenen Ursache "Altersschwäche".
Aus der Position des an den mit dem Sterben und den Bewältigungsansätzen verbundenen kulturellen Phänomenen ist der Inselfriedhof ganz besonders faszinierend, hat er doch mit der Stadt, der er dient, einiges gemeinsam: Es ist ein relativ junger Friedhof, der erst zwanzig Jahre nach Stadtgründung eröffnet wurde und genau wie die Stadt ist er Planwerk. Ob es der "erste sozialistische" Friedhof Deutschlands war, vermag ich nicht zu sagen. Er ist aber ein Zeichen dafür, dass die jüngste und damit vielleicht lebendigste Stadt der Republik zwar (zunächst) Gotteshäuser aus ihrem Stadtgebäude heraushalten konnte, den Tod zu überwinden gelang ihr jedoch nicht, auch wenn sich die Anlage deutlich abgetrennt am östlichen Rand des Stadtgebietes jenseits der Bahnlinie Frankfurt/Oder-Guben befindet. Immerhin hatten es dort die Bewohner der neuen Wohnkomplex (VI und VII) nicht weit zu ihren Verstorbenen.
Eine gänzlich neuartige Begräbniskultur hat die sozialistische Gemeinschaft nicht entwickelt, aber die geringe Präsenz von christlicher (Erlösungs)Symbolik fällt sehr deutlich auf. Die Gestaltung trägt vielmehr die Insignien einer postreligiösen Moderne: die ausgesprochen weitläufige Parkanlage spiegelt dabei in gewisser Weise die Weiläufigkeit des Stadtraums. Nicht das Kreuz bestimmt den Abschiedsraum, sondern eine Farbglasarbeit (von Dagmar Glaser-Lauermann und Katarina Peschel), die den Lebenskreis als Thema aufgreift. Im Zentrum steht die Sonne, das Licht als Lebenssysmbol und darum kreisend die Lebensstationen von der Kindheit - dargestellt durch das Kind und die Mutter - über die Jugend - die als idealisierte Zweisamkeit abgebildet wird - das Erwachsensein, dessen Symbol die Elternschaft ist und schließlich das Alter und das Sterben, wobei hier die Jugend dem Alter den Weg weist: die Erdung des Menschen.
Die Hochbauten, dominant besonders die Trauerhalle, von Werner Kölsch sind straff geometrisch, wie auch die Durchbruchwände, welche den vorderen Teil des Friedhofs gliedern. Sie bilden eine Art Kontrapunkt zum Landschaftsbereich mit den Grabstellen, der in seinen Hauptachsen durchaus an die naheliegende Parkanlage der Insel erinnert. Ein wenig schade ist, dass man diese Verbindung nicht stärker herausgearbeitet hat: Wer sich aus der Kernstadt über die Insel nähert, durchläuft zunächst einmal entweder am Kanalufer oder durch den Wald beim Tiergehege vorbei einen sehr schönen Weg, der zur Besinnung geeignet sein könnte. Aber die Verengung und Einzäunung des Pfades in Höhe der Zwillingsschaftschleuse und die Wellblechwand des Areals der Bundespolizei zerstören dieses Gefühl nur zu leicht und spätestens das Areal Unterschleuse mit der recht stark befahrenen Verbindungsstraße zwischen B112 und Wohnkomplex VI wirft mit ihrer Fußweg- und Übergangslosigkeit eine unangenehme Hürde in den Spaziergang. Um eine sehr interessante Landschaftsgestaltung zu erfahren, lohnt sich natürlich dennoch.
Ornament der Technik: Manche der Grabsteine auf dem Inselfriedhof tragen weniger die typische traditionellen und mehr sehr indivduelle Motive. Und auch wenn Janet Neisers Schlusssatz "Danach ist der Friedhof dann um eine Lebensgeschichte reicher." dicht an der Stilblüte wuchert, ist der dahinter stehende Sinn klar: Jeder der Steine verweist auf ein dahinter stehendes Einzelschicksal und der Friedhof ist eine Art Archiv für diese.