"Wenn ihr nicht wisst, was ihr tun sollt: GEHT ZUR POLIZEI!" - Boulevard Bou (1995)
Das Oder-Spree-Journal der Märkischen Oderzeitung hat sich vorgenommen, die "Revierpolizisten in unserer Region" nach und nach zu präsentieren. Das ist eine sehr schöne Idee, denn so baut man Berührungsängste zwischen dem Bürger und der Polizei ab, die, wenn sie des nachts konsequent dem Heimfahrenden in seinem Auto bis vor die Haustür nachfährt, leider kaum als begleitender Freund und Helfer, sondern - sicher zu Unrecht - als gelangweilte Straßenkontrolltruppe wahrgenommen wird.
Heute geht es um Eberhard Geiger, dessen angestammtes ABV-Revier im VII. Wohnkomplex ja nun kaum mehr existiert. Daher schaut er an einer anderen Ecke der Stadt nach dem (und manchmal vielleicht auch nach den) Rechten:
Eberhard Geiger ist in Eisenhüttenstadt zuständig für ein auslandendes Revier, das sich von der westlichen Straßenseite der Diehloer Straße über Diehlo und Schönfließ bis zur Oder-Spree-Kanal-Brücke bei Ziltendorf erstreckt.
"Ausladendes Revier"? Hier mogelt uns das kleine Porträt ein ganz kleine Zweideutigkeit unter, denn einerseits ist
ausladend hier als "weitläufig" zu verstehen, andererseits aber auch als Gegenwort zu
einladend. Und dies so direkt auf die Garten- und Vorstadtidylle des beschriebenen Stadtgebiets anzuwenden, die von allen Teilen der Stadt am gepflegtesten und friedlichsten daher kommt, wirkt etwas irritierend, verweist aber auf ein hintergründiges Verständnis der Situation: Dort wo der Rasen exakt auf Höhe getrimmt ist, die Häuser weißgetüncht sind und die Hecken grüne Mauern bilden, gibt es für die, die dort als Fremde bummeln wollen, tatsächlich nicht viel mehr zu sehen, als ein Schlafstadtideal und wenn man sich als Unbekannter allzulange auffällig durch die Straßen bewegt, könnte es auch sein, dass der Revierpolizist gerufen wird, um einmal zu fragen, was man denn eigentlich sucht. Richtig einladend ist die Geigers Revier also für die, die dort nicht wohnen, also kaum.
Der Fall, dass fremde eigenartige Besucher durch die kleinen Straßen herum spazieren ist allerdings nicht das Haupteinsatzfeld des Polizisten. Die Nachbarn haben nämlich oft ganz andere Sorgen:
Sie wenden sich an ihn, wenn sie meinen, dass bei ihnen vor der Haustür zu schnell gefahren oder falsch geparkt wird oder wenn sie Ärger mit dem Nachbarn haben.
Wobei das Letztere "zunimmt". "Nachbarin! Euer Fläschchen!" (Faust 1, 3835): Was Faustes Gretchen beim Gottesdienst im Dom verzweifelt bittet, bekommt in diesem Kontext eine ganz neue semantische Wendung und da bekanntermaßen kein Mensch in Frieden leben kann, wenn es dem Nachbarn nicht behagt, wobei das Nichtbehagen meist aus 1/3-Drittel tatsächlicherer Störung und 2/3 persönlicher Unzufriedenheit mit dem eigenen Dasein entspringt, stimmt Eberhard Geigers Pauschalanalyse sicher in gewisser Weise: "Der Zusammenhalt der Menschen geht immer mehr verloren. Sie leben sich immer mehr auseinander", sagt er und vermutet Neid als eine der Ursachen.
Ob man aber wirklich den Nachbarn um sein Leben beneidet, das in solch weitgehend homogenen Milieus gar nicht so viel anders und daher auch kaum besser als das eigene sein dürfte, oder man vielleicht nicht einfach des eigenen Lebensversagens kultiviert und analisiert, wenn man jeden aufschreibt, der mal kurz vor der Einfahrt parkt, ist nicht ganz klar entscheidbar. In jedem Fall,so glaube ich, ist
Neid nicht Ursache sondern Symptom für eine existentielle Hilflosigkeit der Neidenden. (
Katja wird vielleicht diese Analyse auf ihre Richtigkeit prüfen und kommentieren..)
Da sich die Aufgabe der Polizei aber vordergründig weitgehend auf symptombekämpfende aßnahmen beziehen muss, wird alles weitere häufig als ein gesellschaftlich-strukturelles Problem gesehen. Dies ist aber nicht zwangsläufig so, stellt doch das Konzept des "Revierpolizisten" an sich einen Versuch dar, auf lokaler Ebene gestaltend (und damit präventiv) tätig zu werden. So ist das Modell des Beamten als Ansprechpartner im Viertel (der am Ende im Vergleich zum Abschnittsbevollmächtigten in der recht kriminalitätsarmen DDR eine
weniger überwachende als sicherheitsvermittelnde und präventive Funktion übernehmen soll) vorwiegend an der Schnittstelle zwischen Strukturbeeinflussung und Symptombekämpfung zu verorten.
Allerdings setzt die erfolgreiche Umsetzung ein hohes Maß an Alltagskompetenz bei beiden Seiten (Bürgern und Polizei) voraus:
"So kann Bürgernähe nicht entstehen, wenn gesellschaftlich-politische Wertorientierung wie zum Beispiel die Anerkennung individueller Grundrecht fehlen. Leitbildvorgaben sind ineffektiv, wenn sie nicht mit entsprechenden Einstellungen und Überzeugungsmustern korrespondieren; schließlich: auf der Basis eines geringeren Handlungswissens und einer unangepassten Vernehmungstechnik kann es zu keiner befriedigenden Kommunikation zwischen Polizei und Geschädigtem kommen."
Ersetzt man bei dieser handlungstheoretischen Analyse der Polizeiarbeit (Voß, Hans Georg: Professioneller Umgang der Polizei mit Opfern und Zeuge. Neuwied, 2001, S.20) "Vernehmungstechnik" mit "Alltagsgespräch" und "Geschädigten" durch "Bürger", so gilt der Satz genauso für das Modell "Revierpolizist", der vorwiegend mit dem Ziel aktiv ist, dass es gar keine Geschädigten gibt.
Eine weitere, noch anstrebenswertere Maßnahme - für deren Umsetzung ich aber keine Möglichkeit sehe, da man den "Bürger" unter Achtung seiner Grundrechte nicht zur Erkenntnisbildung
zwingen kann - wäre, dass die Nachbarn gleichermaßen in Handlungskompetenz (bzw. Kommunikationskompetenz) geschult würden und ihre zumeist affektgesteuerten und im Verhältnis vollkommen irrationalen Zwistigkeiten selbst beilegen könnten, bevor diese sich zu einer pathologischen Idiotie entwickeln, die nur noch über polizeiliche Maßnahmen halbwegs knapp an einer Schwelle unterhalb von "Mord und Totschlag" kontrollierbar ist.
Allerdings ist es zugegebenermaßen auch schwierig, Menschen, die sich ständig (von allem möglichen) bedroht fühlen, auf übereinstimmende Wertorientierungen zu eichen und kaum ein Revierpolizist wird mit einer solchen - quasi "Pfarrer-artigen" - Integrationskompetenz auf Streife gehen können. Generell ist sicherlich die Vermittlung von Ruhe bzw. Unsicherheitskontrolle die erste Polizistenpflicht.
Insofern bleibt seine Arbeit vorwiegend eine symbolische, wobei es dennoch einer grundlegenden Handlungs- und Kommunikationskompetenz des Beamten bedarfs - dies nämlich um auf der einen Seite die in der Regel die asymmetrische Wahrnehmung des Machtverhältnisses zwischen Bürger und Polizisten zu kompensieren und andererseits um dennoch eine Distanz zu bewahren, die zu einer notwendigen angemessenen beiderseitigen Rollenakzeptanz sichert.
Eberhard Geiger versucht sich
auf dem Bild in MOZ immerhin damit, dass er sich in ähnlicher Pose und an gleicher Stelle wie im Sommer potentielle Deliquenten aus der "Party, Drink and Drive"-Szene der lokalen Diskothekenwelt, präsentiert, was allerdings ein Versehen des Pressefotografen sein dürfte. Denn ganz so einfach machen es die Bürger ihrem Revierbeamten bei der Vertrauensbildung wohl nicht. Da sind kleine Reportagen und Berichte wie der Beitrag in MOZ bestimmt besser geeignet, allerdings ist die Idee so gut, dass man sie nicht so
larifari abwirtschaften sollte, wie das Oder-Spree-Journal dies im vorliegenden Fall getan hat:
Zu viel Neid und Streit.
Ja weitere Informationen zur Uniform findet man hier.
ja aber sicher bekommst du den zugesandt