Eisenhüttenstadt liegt am Rand der Bundesrepublik. Ist es deshalb auch randständig? Peripher? Hinter dem Mond? Da, wo sich Fuchs und Hase eine gute Nacht wünschen? Jenseits des (eingeschränkten) Horizonts? ….
Wer sich auf Diskussionen zu diesem Thema einlassen möchte, sollte sich ein bisschen damit auskennen und damit auch interessierte Laien wie wir ein dafür notwendiges Grundmaß an Sachkunde entwickeln, gibt es das Wochenblatt „Aus Politik und Zeitgeschichte“, von dem ein Heft mehr zu einem sinnvollen Weltbild beiträgt. als drei Jahre in der ersten Reihe bei ARD und ZDF auf dem aktuellen Niveau zu sitzen.
In der Ausgabe vom 11. September widmet sich dem Ländlichen Raum und da die Verländlichung auch an der Oder eher zu als abnimmt und den Kleinstadtraum der Stahlstadt vermehrt betrifft, lese ich hier entsprechend doppelt aufmerksam. Karl-Dieter Keim, der allen Cottbusser Lesern unseres Blogs wohl bekannt sein müsste, da er an der dortigen Technischen Universität die professorale Kompetenz in Stadt- und Regionalentwicklung darstellt, befasst sich in seinem Beitrag für das Themenheft mit der „Peripherisierung ländlicher Räume“, ein Thema, für das er, so kann man nachschieben, schon in der passenden Region Deutschlands ansässig ist. Denn „Peripherisierung wird hier zusammengefasst als graduelle Schwächung und/oder Abkopplung sozial-räumlicher Entwicklungen gegenüber den dominanten Zentralisierungsvorgängen bezeichnet.“
Alle Bewohner Ostbrandenburgs wissen was das bedeutet: die Menschen gehen fort nach Berlin, München oder ins Ruhrgebiet und lassen eine düstere Wolke über denen stehen, die bleiben müssen (und manchmal wollen). Die Sozialstruktur der Orte und Landschaften passt sich der Schrumpfungsstimmung an und es kommt zu „einer Schwächung der ökonomischen Leistungskraft“ – laut Keim ein weiteres Merkmal der Peripherisierung. An dieser Stelle greifen die Gesetze der Rückkopplung: dem demografischen – der Autor führt die hierzulande nur zu gut bekannten Aspekte „Einwohnerverlust, Geburtenrückgang, Überalterung“ an – wirken auf die lokale technische und soziale Infrastruktur bis hin zum Fehlen einer „kritischen Masse für die kommunale Selbstverwaltung“ zurück.
Soweit wird es in der kleinen Stahlstadt dann vermutlich doch nicht kommen, aber manches aus der Aufzählung des Stadtplaners kommt mit einer verblüffenden Vertrautheit daher: „leerstehende Wohngebäude, schlechte Verkehrsanbindungen, Zusammenlegung von Bildungseinrichtungen einerseits und Ämtern andererseits (weitere Wege), …, Qualitätseinbußen bei den Dienstleistungen (Gesundheitswesen, Post, Einzelhandel etc.).“ Wer schon einmal morgens mit dem Bus auf’s Amt nach Beeskow reisen musste, kann davon ein gar trauriges Lied singen. Und die Einwohner Fürstenbergs trauern nach wie vor ihrer Post nach. Ein "PostPoint" mit kaum geschultem Personal, dem der Kunde selbst die Portobedingungen für Auslandsbriefe erklären muss, ist eben nur ein halbherziger Ersatz für einen motivierten Beamten, der in den Postdienst als Beruf und nicht als Nebenbei-Job eintrat.
Welche Dimension diese Entwicklung annehmen kann, weisen Friedrich Hauss et. al. in ihrem Beitrag im gleichen Heft an einer Aufzählung so einfacher wie drastischer Beispiel nach. Die Zentralisierung der „Einrichtungen öffentlicher Daseinsfürsorge“, die in der Regel schnöde mit offensichtlichen Einsparzwängen begründet wird, gibt sich nämlich als ein staatlich gelenktes Abkopplungsinstrument zu erkennen, deren Folgen sind, „dass Hartz-IV-Empfänger, die über kein Auto verfügen, ihre verpflichtend regelmäßigen Besuche bei den Trägern der Grundfürsorge morgens gegen 6:30 mit dem Schulbus antreten müssen und erst gegen 15:00 Uhr mit demselben wieder zurückkehren können, dass sich besonders die älteren, eher immobilen Menschen an überteuerten, mobilen Einkaufswagen versorgen müssen, dass der Arztbesuch regelmäßig mit einer längeren Reise (und zusätzlichen Kosten) verbunden ist, dass die Erwerbsbereitschaft fast immer mit einer bundesweiten, wenn nicht gar europaweiten Mobilitätsbereitschaft einhergehen muss, … und dass viele Orte zwangsweise mitverwaltet werden, weil niemand mehr bereit ist, öffentliche Aufgaben zu übernehmen.“ Wer denkt, dies sei nun etwas überzogen, sollte sich mal in eine uckermärkische oder vorpommersche Landgemeinde begeben.
In Eisenhüttenstadt wird es sicher noch lange eine Zweigstelle der Arbeitsagentur und ein Krankenhaus geben, aber wenn man, wie Karl-Dieter Keim Peripherisierung als dynamischen Prozess versteht, so lässt sich diese im ehemaligen – wenn auch etwas erzwungenen – Regionalzentrum auf den ersten Blick feststellen.
Wie macht man nun das Beste aus der Situation? Die schöne Landschaft in Stadtnähe wird häufig als ein (manchmal als einziges) Positivmerkmal der Stadt genannt und so entsteht mitunter die Idee, diesen Naturraum einer touristischen Nutzung zuzuführen. Abgesehen davon, dass man vom Merkmal „schöne Landschaft“ und dem Bestreben der Vermarktung in ganz Ostdeutschland zentnerweise Beispiele findet, erfüllt Eisenhüttenstadt von den drei im Text genannten Bedingungen für ein solches Unterfangen nur etwa anderthalb: die „attraktive naturräumliche Ausstattung“ lässt sich zweifellos feststellen.
Eine „gute Erreichbarkeit“ ist bislang eher nur auf der Schiene aus Richtung Frankfurt/Berlin und nach den anstehenden Veränderungen im Nahverkehr mit unklarer Perspektive vorhanden. Da im Bereich Finkenheerd die in meinen Augen einzig sinnvolle Option der Straßenführung der Ausbaustrecke aktiv blockiert wird, ist die Straßenanbindung eher suboptimal, wenn auch vielleicht zureichend. Was aber in Eisenhüttenstadt nur in Rudimenten ausgeprägt bleibt, ist eine „funktionierende Dienstleistungswirtschaft“. Es ist für die Zukunft der Attraktivität der Stadt – was weniger wichtig ist, um irgendwelche Investoren anzulocken, und mehr um insgesamt eine „anziehende“ Atmosphäre zur erzeugen, in der sich nicht zuletzt auch die Einwohner wohl fühlen – entscheidend, die bestehenden „Erholungs- und Freizeitangebote“ in jedem Fall zu erhalten und falls möglich auszubauen. Verwahrloste Räume, wie die ehemalige Kegelbahn auf der Insel, transportieren ein Gefühl des Niedergangs, welches sich in der allgemeinen Wahrnehmung gern über das tatsächliche Ausmaß hinaus potenziert und so der negativen Stimmung in der Stadt heftig Wind in die Segel bläst.
Das Fatale an solchen Räumen ist, dass in ihnen der ehemalige Zustand erahnbar bleibt: sie verweise als Symbole auf eine (scheinbar) bessere Zeit. Im Gefolge der Peripherisierung marschieren „Kontraktionen (Schrumpfungen) in Verbindung mit der Konzentration auf wenige Nutzungen bzw. Aktivitäten. Die Folge ist die Reduzierung eines zuvor vielfältigeren Profils in funktionaler, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht. Peripherisierungen münden in "Entdifferenzierung und Fragmentierung.“
Eine Stadt muss schon eine sehr ambitioniert auf das Dasein per se orientierte Einwohnerschaft, damit sich dieser Verlust an Differenzierung nicht auch in den lokalen Denk- und Handlungsweisen niederschlägt. Als Kind dieser Entwicklung steht ein „schmaler, provinzieller, stagnierender Regionalismus“, der häufig als „Anti-Effekt (gegen Dynamik und Modernisierung“ daherkommt, dem daneben aber auch gewisse „Chancen für (sozial-)experimentelle Nutzungen und Lebensformen ohne den Druck der hegemonialen Zentralentwicklungen“ inne wohnen.
Leider werden diese Chancen kaum planvoll gesehen und noch seltener genutzt. Eine andere im Beitrag beschriebene Entwicklung fällt dagegen mehr ins Auge: „Je mehr die verbleibenden Menschen in dünn besiedelten Regionen Merkmale des stagnierenden Regionalismus aufweisen, desto häufiger führen Abkopplungen bei ihnen zu Vorstellungsbildern von Nischen oder von relativer Deprivation…; beides befördert abgeschirmte Milieus und lähmt Innovationen." Eine Lösung wird nicht „von ganz oben“ zu erwarten sein, denn es gibt auf der Makroebene keine für diese Probleme adäquate Steuerinstanz:
„Die ökonomischen Akteure konzentrieren sich auf die Effizienzsteigerung ihrer Aktivitäten (meist in den Zentren). … Die staatlichen und semi-staatlichen Akteure betreiben je eigene Fachpolitiken, mit denen sie oft im „Schatten“ der zentralen Entwicklung mangels Masse keinen Peripherisierungsabbau erzielen können.“
Für ein wirksames Handeln ist in diesem Fall der Schritt auf die Mesoebene sinnvoll. Auf dieser „Ebene der regionalen Politik [gilt es] Konzepte zu entwickeln. Es muss nach regionalen Ansatzpunkten für Gegentrends bzw. Selbstbehauptungen gesucht werden." Besonders hilflos wirkt in diesem Zusammenhang die Hoffnung auf eine – möglichst ‚stimulierte’ – Ansiedlung von entsprechender Wirtschaftskraft. Salopp gesagt, ist es leider so, dass an den Küsten, an die die Marktwirtschaft nicht von selbst Investoren anspült, die Strände eben verwaist bleiben. Staatliche Anreize haben zumeist nur kurzfristige kosmetische Effekte, die im Nachhall häufig noch mehr Ödnis hervorbringen – man denke nur vor Ort an das schöne Beispiel „Onken“.
Was ansteht, ist also die Realisierung der „sozial-räumlichen Verhältnisse“ und der „institutionellen Fähigkeiten (capacities)“ einer Region durch die entsprechenden Akteure (Stadtverordneten, Kreistag, Bürgermeister u.ä.). Leitlinien sind dabei z.B. „Kriterien der Kulturlandschaft“ und „Kernfunktionen der Infrastruktur“. Eine großes Gewicht kommt der Vernetzung der verschiedenen Akteure zu: „die Akteure könnten mit unterschiedlich definierten Handlungsräumen operieren und die räumliche Planung (Querschnittsaufgabe) kann mit Hilfe spezifischer Entwicklungskonzepte hinzu treten.“ Diese Konzepte gilt es, nachhaltig zu verfolgen.
Karl-Dieter Keim endet mit dem Ausblick, dass wir auch lernen müssen, „mit Peripherisierungsverlusten zu leben.“
Dies ist sicher richtig, im konkreten Fall Eisenhüttenstadts meiner Meinung nach aber nicht zwangsläufig notwendig. Was hier in meinen Augen bislang unglücklicherweise Desiderat bleibt, ist das Vorhandensein einer „Vision“, d.h. eines Leitbildes für eine lebenswerte und lebensfrohe Stadt jenseits ihres Industriezeitalters. Auch wenn es der Quadratur eines Regelkreises gleichkommt: Wichtig wäre es die Generierung des Selbstbewusstseins, der Selbstwahrnehmung und des Selbstbildes aus der Abhängigkeit von ökonomischen Gesichtspunkten zu lösen und weitaus stärker den Daseinswert an sich zu betonen.
Es geht, etwas überhöht gesagt, um eine Perspektive jenseits des Geldes. Um sich hier allerdings eine tragfähige Basis zu schaffen, bedarf es einerseits großer Anstrengung (sowie Selbstüberwindung) und andererseits auch etwas Kreativität.
Die Entwicklung eines angenehmen produktiven Images, eines „Ich lebe wirklich gern hier.“ verdient m. E. momentan mehr Aufmerksamkeit, als ihr geschenkt wird.
Wir paar Jungs vom Eisenhüttenstadt-Blog helfen dabei übrigens gern nach unseren Möglichkeiten mit. Schön wäre es, wenn die Menschen der Eisenhüttenstadt sich ebenfalls beteiligten (z.B. einfach mal lächeln, auch wenn es (scheinbar) keinen Anlass gibt...)