Es war der Abend vor dem 24. Dezember. Nachdem ich zwischen Nüssen, Printen und Orangen im Sofa versunken ein weiteres Mal die Eisenhüttenstadt-Reportage Hüttenstadt von Johanna Ickert anstatt der immer gleichgestrickten Weihnachtsvorabendserien angeschaut hatte, ging ich daran, den Rest Zeit bis zur Festzeit mit Weihnachtskaraoke zu verbringen. Den Tannenzweig hinterm Ohr und das Lametta auf den Schultern griff ich, wie so viele, die Nächte wie diese allein verbringen, ins Schallplattenregal, um mir Frank Schöbels "Weihnachten in Familie" auf den Plattenteller ordentlich durchzudrehen.
Gerade wollte ich in unbändigbarer Vorfreude auf "Morgen kommt der Weihnachtsmann" den Tonarm aufs Vinyl schnipsen, da hieß es "Süßer die Türglocken nie klingen." Das Klingglöckchen Klingelingeling rief und ich eilte wie die Rentiere von Knecht Ruprecht himself, riss Tür und Tor fast aus den Angeln und blickte... ins weiße Rauschen. Ehe ich überhaupt reagieren und Pudelmütze, Muff und Skistöcke greifen konnte, sank ich bis zu den Knien ein im nassen Neuschnee, der sich wie Sahnepunsch mit Ei auf Eis um meine Beine - und mich damit kurzzeitig lahm- - legte. Während ich so eingeschäumt im Schneeland stak, an Kay und Gerda dachte und zur Sicherheit mein Erdbeereisherz auf - mh - Eisherz und Eisnieren prüfte, blitzte es über mir am Firmament in rot und weiß, als wär der Himmel ein einziger Coke Fridge. Ich erwartete schon einen Hohoho-Xmas-40-Tonner, der mit Coke Zero Tolerance und unerbittlichem "We wish you to marry Christmas" (oder wenigstens die weißbepelzte Schneekönigin mit ihrer Kutsche und frostigem Kussmund) auf mich niederdonnert und rechnete mir nicht den kalten Hauch einer Chance aus, aber wundersamerweise war es nur die Weihnachtgans Auguste, die nackt wie Ludwig Löwenhaupt sie schor (bzw. ohne viel Federlesens rupfte), gleich einem Hermes hernieder flatterte und einen Zettel im Schnabel hielt.
Von der Mutter ein Gruß, wie es so schön im Volkslied heißt, war es zwar nicht aber etwas ähnliches. Den Zettel also drückte die Auguste mir in die Hand, wir schnatterten noch ein bisschen, bis ich eine Gänsehaut bekam, die der ihren glich, und dann schwuppdiwupp war der Vogel auch schon unterwegs zu seines Schöpfers Bühne, dem Friedrich-Wolf-Theater, und nahm - wie die Gänse von heute nur mal so sind - denn ganzen schönen Schnee gleich wieder mit.
Da steh ich nun, ich armer Tor und zwar verwirrter als zuvor. Und wenn ich nicht tatsächlich dies Blatt, auf dem der eigentliche Inhalt dieses Textes geschrieben steht, auf meinem Clementinen-Teller liegen sehen würde, täte ich mir sicher auch nicht glauben. Aber bitte, schauet selbst:
Einträge für Dezember 2006
Gottesdienste, Krippenspiel und Christvesper
Lukas 2,10-11
"Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die für das ganze Volk sein wird. Denn euch ist heute ein Retter geboren, der ist Christus, der Herr, in Davids Stadt."
In diesem Sinne laden morgen auch wieder die verschiedenen Gemeinden in Eisenhüttenstadt zum Gottesdienst und zum Krippenspiel ein.
Ev. Friedenskirchengemeinde Eisenhüttenstadt
15:00 Uhr Krippenspiel
17:00 Uhr Christversper
Ev. Nikolaikirchgemeinde
15:00 Uhr Krippenspiel in Vogelsang
17:00 Uhr Weihnachtsspiel und Gottesdienst in Fürstenberg
19:00 Uhr Christvesper mit Quartett "Cum Laude" in Fürstenberg
22:00 Uhr Christmette mit verschiedenen Chören in Fürstenberg
Evangelisch Freikirchliche Gemeinde (Baptisten)
15:30 Gottesdienst
Ich wünsche allen Lesern und Autoren ein gesegnetes und besinnliches Weihnachtsfest.
In der Gesamtschau triumphieren Schwedt und Hoyerswerda, allerdings waren Schwedt und seine Jugend ("Hier ist man schon ein geiler Typ, wenn man sein 50ccm-Mofa auf 60ccm hochfrisiert."...) auch jüngst Titelthema im Vice Magazine. Das dort entworfene Bild ist allerdings derart düster, dass man es fast nicht glauben mag:
In Schwedt haben wir es mit so genannter relativer Armut zu tun. Die Leute ernähren sich nicht von einer Diät aus Kartoffeln ohne Beilage oder teilen sich das Badewasser—aber im Vergleich zum Rest des Landes, sind die Schwedter langsam an den Rand der Gesellschaft gedrückt worden, wo sie keiner mehr braucht. Kein Industrieunternehmen sieht einen Sinn darin, hier eine Niederlassung aufzumachen, wenn man einUnd da es auch anderen so geht, suchen die Vice Magazine-Leser mittels Google vermutlich nach weiteren Hintergrundinformationen zu der Stadt mit dem Berlischky-Pavillon, die sie dann hoffentlich auch finden. Denn ganz so zertrümmert, wie es in einigen der Beiträge des Magazins durchschimmert („Happy Slapping Videos sind in Schwedt schon lange durch, hier sind wir einen Schritt weiter.“), will man sich sogar als Kulturpessimist die Realität Ostdeutschlands nicht ausmalen.
paar Meter weiter, hinter der Grenze, viel billigere Arbeitskräfte bekommt. Die Aktivitäten von großen Firmen in Schwedt beschränken sich darauf, den Leuten DVD-Player und Bratfleisch zu verkaufen. Mitte der90er Jahre bekam Schwedt eine eigene Einkaufspassage und ein Multiplex-Kino, aber sogar das hat dieses Jahr zugemacht.
Der Mensch erscheint im WK III. Eine Ansichtskarte aus Stalinstadt.
Etwas zurückgesetzt, beinahe versteckt, hinter den Laubenganghäusern von Ludmilla Herzenstein, die in erfrischender Weise mit frühem Scharoun'schen Ideengut die Monumentalität der restlichen Bebauung der Karl-Marx-Alle in Berlin Friedrichshain kontrastieren, findet sich an der Weberwiese der "weiße Schwan" aus dem Jahr 1951, also Hermann Henselmanns wunderbare Hochhaus, das eine Art Triggerbauwerk der Nationalen Bautradition, wie sie bald danach in der Stalinallee in voller Pracht entfaltet wurde und wie man sie auch in Eisenhüttenstadt, wenn auch etwas zurückhaltender umgesetzt findet, darstellt.
An seiner westlichen Seite wird der Neun-Geschosser von der Marchlewskistraße flankiert, in der einige sehr anschauenswerte Wohngebäude im gleichen Stil, in bester Ausführung und in frischem Putz stehen. Wenn man diese Richtung S-Bahnhof Warschauer Straße hinunter geht, kommt man recht bald zur Wedekindstraße, die besondere Berühmtheit als ein zentraler Schauplatz von Florian Henckel von Donnersmarcks Stasi-Märchen "Das Leben der Anderen" erlangte. Und tatsächlich ist die Abschnitt mit einer Wohnbebauung, die deutlich schlichter gehalten ist, als die Henselmann'sche Weberwiese, nach wie vor schön grau in grau gehalten: Es sind nicht mehr die Arbeiterpaläste, hier war man dann schon auf dem Rationalisierungskurs der nach 1955 das Wohnungsbaugeschehen der DDR dominieren sollte.
Dieser Weg durch die städtbauliche Tradition der DDR war gestern Nacht meine Wanderstrecke zur Premiere von Johanna Ickerts Dokumentarfilm "Hüttenstadt" (Besprechung folgt) und was dramatisch auffiel, war der Mangel an Passanten: Halb Neun am Abend war ich beinahe der Einzige, der sich in diesen Straßen bewegte und selbst die Zahl der vorbeifahrenden Autos blieb in dieser eigentlich innerstädtischen Lage der Millionenstadt Berlin im unteren einstelligen Bereich. Eine bessere Einstellung auf den Film, als der Gang durch diese an Eisenhüttenstädter Verhältnisse erinnernde Menschenleere der Straße konnte es gar nicht geben.
Und heute stieß ich dann wieder auf den vereinzelten Menschen inmitten eines sozialistischen Architekturensembles und zwar auf einer der schönsten Ansichtskarten, die mir bisher zur Stalinstadt unterkommen sind:
Wer ist der Mann im schwarzen Anzug mit Aktentasche und Einkaufsbeutel? Und was ist sein Ziel? Das Bräustübel? Die Berggaststätte "Huckel"? Seine Wohnung in der Heinrich-Heine-Allee oder in der Maxim-Gorki-Straße? Wir wissen es nicht und werden es nicht erfahren, obschon die Austattung mit dem Einkauf die letztere Variante zur wahrscheinlichen macht. Worüber man heute staunt, ist der sich eröffnende Durchblick bis in die Diehloer Höhen, der sich dem Heim-Flanierenden damals bot und das Fußläufigkeitsprinzip einer autoarmen Stadt. Und worüber man ebenfalls staunt, ist, dass am hellichten Tage insgesamt gerade einmal vier Menschen die Aufnahme bevölkern: der Mann im Anzug, eine Frau mit Besorgungen im linken Arm und zwei Männer, ebenfalls in Schwarz, die am Torbogen beim Bräustübel fast von der Laterne verdeckt stehen. Dann bleibt noch der geparkte Wartburg 311 in der Straße des Komsomol als Hinweis auf eine weitere Form der Mobilität.
Ansonsten ist die Ansicht fast erschreckend leer, obschon nicht zuletzt aufgrund der Fachwerkanklänge bei den Heimatstilbauten der Heine-Allee und besonders des geschwungenen Fußweges unter der Pergola hindurch hin auf eine Grünlage und sanften bewaldeten Hügellandschaft am Horizont nah an der Idylle. Denn friedlicher kann man sich eine Stadtlandschaft kaum vorstellen. Und dennoch irritiert das sich andeutende Geisterstadtartige, dass man heute an gleicher Stellen (und vielen anderen Stellen) Eisenhüttenstadts in ähnlicher Form wieder finden kann, nur dass die Bäume größer und die Häuser mitgenommener erscheinen.
Postalisch interessant an dieser Karte aus dem Jahr 1960, die (vermutlich) im Oktober 1962 von Eisenhüttenstadt in die Prenzlauer Allee ging, um von der Geburt des "kleinen Detlefs" zu künden, ist die vorgenommene Nachschwärzung der Bezeichung "Stalinstadt" und des Ergänzungsstempels "Eisenhüttenstadt":
Sonderlich spektakulär ist dies natürlich nicht und Schwärzungen z.B. auch von missliebigen Briefmarkenmotiven sind in der Postgeschichte kein Novum. Erstaunlich ist aber, mit welcher Sorgfalt versucht wurde, den alten Stadtnamen auszulöschen. (zur Umbennung der Stadt sh. auch hier) Dies wird umso deutlicher, als dass auch die Ortsherkunft des Fotografen Peukert, die auf dieser Karte mit Stalinstadt angegeben war, lila überstempelt wurde. Das lässt darauf schließen, dass man sich die Postsendung wenigstens unter diesem Gesichtspunkt sehr genau angesehen wurde.
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