Einträge für Juli 2006
Kinder der Stadt - heute: Sven Helbig
To arrive in Eisenhüttenstadt was to arrive at a kind of nowhere at the end of the line that had been, at the same time, an embodiment or enactment of an historical ideal.
Barrett Watten vom Department of English der Wayne State University in der amerikanischen Muster-Shrinking-City Detroit hat sich mit Theodor Wiesengrund Adorno und Robert Smithson im Gepäck (bzw. Hinterkopf) für einen Tag in Eisenhüttenstadt umgesehen und einen exzellenten Bericht abgeliefert, den jeder, der Englisch versteht, mal lesen sollte: With Adorno and Smithson in Eisenhüttenstadt (DE)
Heute: Tiergedichte
Kängurus
Zwei kluge Zirkuskängurus
die machten mit dem Zirkus Schluss
und hüpften quer durch eine Stadt,
die eine Eisenhütte hat.
Doch beide konnten nicht entkommen,
sie wurden ganz schnell festgenommen.
aus: Peter Kessel: Viechereien Band 3. Katastrophen - Havarien - Skandale. Erhältlich bei BooksOnDemand, wobei dort ein köstlich unpassender Beschreibungstext hinzukopiert wurde.
Das Gedicht steht im Buch auf Seite 62 zwischen einem poetischen Kleinod über eine Kampfkatze in Cardiff und einer kleinen Dichtung über das fatale Ende einer versuchten Kaninchenrettung in China. Anlass der Kesselschen Verswerke sind immer Zeitungsmeldungen zu eigenartigen Ereignissen und Erlebnissen mit Tieren. Die Eisenhüttenstädter Kängurustory verdankt sich einer perfiden nächtlichen Befreiung zweier Beuteltiere beim Gastspiel des Zirkus "Charivari" in Eisenhüttenstadt im Oktober 2003, wobei diese schnell dem Känguruf der Freiheit folgten. Die Meldung ging leider im medialen Wirbel um die zeitgleich geschehene Attacke eines weißen Tigers namens Montacore auf den Zauberkünstler Roy (Uwe Ludwig Horn) im Hotel Mirage zu Las Vegas unter. Entsprechend operierten die Zirkusleute und die Stadtpolizei im großen Team sowie ein beblasrohrter Tierarzt weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit. Es gelang ihnen aber dennoch, die beiden Macropodidae recht schnell wieder in Zirkushaft zurückzuführen.
Und inspiriert, wie ich jetzt gerade bin, hier noch ein kleines Poem zum obenstehenden Bild der blankgewetzten Känguruschnauze:
Ein Känguruh, das hängt in Ruh’
an seiner bronz’nen Kugel
Der Mensch daneben denkt dazu
an Kindheit, Rosen, Hugel
Ans Eselchen, Wildschwein, den Stier,
ans Nashorn auf der Insel
Und weiß: wär’ all das nicht mehr hier
gäb’s heftiglich Gerinsel
regengussgleich die Wange lang,
denn in diesem Falle fehlte,
ein Element im Lebensgang,
welches dem Kind erzählte,
dass neben Stahl und Stock und Stein
auch Tiere Heimat bleiben!
Und weil ich dies ganz allgemein
wichtig find, wollt’ ich’s aufschreiben.
Die Bahn auf der Insel
Gerade entdeckt: Einige exquisite Fotografien aus dem Eisenhüttenkombinat Ost von Uwe Niggemeier auf www.stahlseite.de.
Marchwitza Projekt gestartet
Dokumentationszentrum mit Berliner Konkurrenz?
Seit heute hat das Eisenhüttenstädter Dokumentationszentrum zur Alltagskultur der DDR heftige Konkurrenz in der Mitte Berlins. Dort wurde nämlich heute mehr oder weniger passend im DomAquarée ein DDR Museum (vgl. auch den Hauptstadtblog) eröffnet.Wegen Rondo-Kaffee-Tüten und Pionierhalstüchern wird nun wohl niemand mehr aus Berlin nach Eisenhüttenstadt anreisen. Allerdings besitzt die Einrichtung in der ehemaligen Stalinstadt einen tollen Standortvorteil: die Architektur! Denn das Gebäude in der Erich-Weinert-Allee ist allein schon wegen den grandiosen Womacka-Fenstern im Treppenhaus (sh. auch hier) dem Halbkellergeschoß am Spreeufer in jedem Fall überlegen. Wenn man sich überlegt, dass so bunt eine Kindertagesstätte(!) verglast wurde...
Wenn es dann auch noch gelingen würde, die Baudenkmäler der umliegenden Wohnkomplexe z.B. mittels eines Architekturlehrpfades mit dem Austellungszentrum zu verknüpfen, ständen die Chancen womöglich ganz gut, doch noch Besucher - gar noch in steigender Zahl - aus der Hauptstadt anzulocken. Vielleicht hilft die ferne Konkurrenzeinrichtung, die in meinen Augen längst überfällige Anbindung von baulicher Kernstadtgestaltung und Ausstellungsbereich umzusetzen. Warum man bislang nicht mit diesem Pfund herumwuchert, ist mir aus der Exilperspektive absolut unverständlich. Ich werde einmal bei Gelegenheit die Berliner Einrichtung besuchen, um das tatsächliche Gefährdungspotential zu evaluieren.
Etwas tun, um die an sich sehr schöne Einrichtung hinter der Weltkugel noch attraktiver zu gestalten, sollte die Stadt allerdings schleunigst. Liest man das Gästebuch im DOK-Foyer, eine Aktivität, die ich nur jedem missmutigen und schließungswütigen Stadtverordneten ans Herz legen kann, sieht man, dass das Stahlstädtchen hier etwas besitzt, das eine wirkliche Positivwirkung entfaltet. Bitte ausbauen!
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