Einträge für Mai 2006
Wo sind sie hin?
Der Briefkastenmangel zieht sich durch das ganze Stadtgebiet, und ist nicht auf einige weniger besiedelter Ecken, wie zum Beispiel, dem noch existierenden VII. Wohnkomplex, zu beschränken.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich nicht aufmerksam genug in meiner Heimatstadt unterwegs bin.
"Der Dichter steht auf einer höhern Warte als auf den Zinnen der Partei." Diesen Sinnspruch vermachte uns der Lyriker Ferdinand "Fremdling, laß deine Stute grasen" Freiligrath, der freilich grad vor 130 Jahren starb und deshalb die durchaus mit unterparteilicher Intention begründete Bitterfelder Werktätigendichtung nicht kannte. Inspiriert durch eine Bildpostkarte, die am 27. Mai 1959, also fast genau 47 Jahren, mit einem anständigen Stalinstadt-Motiv ans Redaktionsarchiv des Berliner Verlags ging, fragt man sich, warum eigentlich diese Tradition der Dichtung aus den geschlossenen (mindestens 2.) Reihen des anti-elitären Ausdruckswillens so wenig gepflegt wird.
Da wir als Blogtätige erstens das "wenig" in "massiv" ändern und zweitens bei der Traditionspflege gleich auf Pflegestufe III (schwerste Pflegebedürftigkeit) einsteigen wollen, kommt hier nun und also die erste lyrische Darstellung zur Stadtgeschichte, zu der man sich ruhig mal eine musikalische Untermalung auf der Blogflöte vorstellen kann. Die Geschichte über die zwei berühmten Stahlfedertiere ist selbstverständlich etwas fiktionalisiert, da es sonst mit dem Reim nicht passen täte.
Die zwei Enten (Roh(ei)fassung)
Es schwammen einst der Enten zwei/im Oder-Spree-Kanal herum
ein Zauberkünstler kam vorbei/sie quakten fröhlich, er blieb stumm
Ihr Watschelgang, ihr Federkleid!/machte ihn wild, nervös
er alt, allein, sie jung, zu zweit/und ziemlich amourös!
Das konnt' er, wie er kam und sah/so länger nicht vertragen
Er griff das schöne Vögelpaar, mit festem Handschlag ganz und gar/
in Bronze sie zu schlagen!
So standen sie nun wie aus Blei/metallisch, kalt und grau
Ergebnis tauber Schweißerei/plus steiner'm Unterbau.
Sie blei-entelten, weil's praktisch ist/im Gegensatz zur Flugent'
sichtaxial Richtung Aktivist/im Straßenbild g'nannt "Jugend".
Dies war wohl in des Künstlers Sinne/wiewohl nicht dem der Enten
Die wollten wie 'ne Ruderpinne/zurück in ihre Ruderrinne/heißt: ihre Elemente(n).
Doch(!) eines Tages kam die Fee/auf Kleintransporterrücken
Versprach den Tier'n Gebäck und Tee/und Grütze zum verdrücken
Wie wild schlug da das Entenherz!/Nicht stahl- sondern bewegungstroph!
Doch ging es nicht kanaleinwärts/nur gen Museumshof.
Dort stehen die beiden Flügelwesen/immerhin zwei frostharte,
Und träumen nur vom grünen Schnäbeln/oder von 'ner Postkarte!
(17. Mai 2006)
Wir als "Stadtposter" in diesem Blog zeichnen uns gemeinhin durch absolute und unentschuldbare Befangenheit aus. Damit dies aber nicht in inzestuöse Cliquenwirtschaft ausartet, die für Außenstehende weder interessant noch nachvollziehbar ist, erfüllt uns jede Schilderung der Stadt durch Menschen, die weder in und mit der Stadt geboren, noch verschwistert, noch verschwägert sind, mit unbändiger Freude. Jedoch sind solche Einsichten so rar gesäht wie Glück und Frieden im Südsudan und deshalb muss auch gleich zugreifen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Dies habe ich getan und teile hier den Eindruck einer jüngst gemachten Internetbekanntschaft mit unseren Weblog-Lesern:
What brought me to Eisenhuettenstadt?
Actually quite mundane reasons - I earn my money at the moment as a Business English trainer, and one of the companies I work in is EKO Stahl in Eisenhuettenstadt... last month I started teaching some weekend intensive courses - I arrive on a friday, teach the staff of EKO all day, stay overnight and teach the next day.... I first did this last month, and with a whole evening to kill in Eisenhuettenstadt of course I set off with my camera and went exploring... thats when I took the photos I last uploaded to flickr ...
I took some more last night - I took a walk down the Strasse der Republik, crossed the bridge over the canal and had a look at some of the (nearly) empty plattenbaus that are situated around there .... it was quite an interesting experience .... looking at them at first I thought they were completely empty... I went to look closer, but heard the sound of a loud and angry dog coming closer.... I got slightly freaked at this point, thought that some wild dog must be living around the buildings, and that I had invaded his territory so I quickly turned around and walked in the other direction... when I had walked about 50 metres I turned round to have a look.... the dog was running around and barking, about 10 metres in front of his owner, who had come with him from one of the apartment buildings... it was only then that I realised that the dog was not wild, and that some people still live in these buidings .... I really was shocked ... what must it be like to live in one of these buildings... so broken down, derelict, with so few residents.... why would anybody still live there ... When I asked one of my students this morning in the car on the way to the steel plant he explained that these people simply couldn't afford to move out... there really is a sad human story happening in this town and in these buildings .... I walked around further and turned left, walked past some even more empty buildings.... one in particular, burned out and empty had the sign 'Gewerbeflache zu vermieten' ... ironic and sad, but I was reluctant to stop and photograph this... gangs of people were walking around the area, drinking beer and looking for some friday night action and in this atmosphere I did not feel that my 'desolation tourism' was either appropriate or entirely safe... I'm not sure how I would have managed to explain to these people why I wanted to photograph the destruction of a place that they have to live in.... I walked back to my hotel, past the shopping center, and took only a few more photos... of the empty doner stand... of the momument that states 'Dieser Stahl ist hier gekocht, so wird es bleiben'... of the lights of the steel plant by night....
So, another two days in Eisenhuettenstadt.... and I can only say that my interest is growing... the simplest of questions in my classes, questions that would be uncontrovertial in any other town bring tension here... simply asking my students where they were born brought some interesting discussions... one older student(a man, i would think, in his 60's) said he had been born in furstenberg, had lived through the construction of stalinstadt, the name change to eisenhuettenstadt, the wende... 'you have watched eisenhuettenstadt grow and grow' said another 'and now you are watching it getting smaller and smaller'... 'maybe some time it will be just furstenberg again' .... There was a real air of tension as they discussed the current situation of the company and its future .... at the moment their parent company is being taken over by an indian steel company, Mittal Steel.... I thought they would be despairing about this, but actually they were happy .... 'Maybe', they said, 'with mittal, we will have a chance to make more of our own decisions, to secure the future of EKO'... and if not, i wondered silently, what happens.... even more empty buildings than are already there.... their discussion was fascinating, I felt lucky to be there and to hear it, felt almost stupid jumping in to correct grammar and vocabluary problems... they are an intelligent and impressive bunch of people, with a great attitude .... they seem to me to be entirely without pity ... willing to work to save the place they call home, and that some of them returned to, having lived in other places in germany ....(E.mail von Roisin an mich vom 13.05.06. Vielen Dank für die Zustimmung zur Veröffentlichung!)
Nachdem der Anteil offizieller neuer Kunst im Stadtbild seit der Stahlskulpturausstellung (" Metallurgie-Pleinair") zum 50. Stadtjubiläum, von denen einige Exemplare wunderbarerweise auch blieben, darunter die exquisite Säulenheiligenfigur "Germania", die quasi als so stählerne wie desillusionierte Schwester Symeons die gegenüberliegende Burger King-Filiale mit denkbar leerem Blick versieht, im Vergleich zu anderen stadtverändernden Maßnahmem doch recht rapide abgesunken ist, eröffnet uns nun die MOZ die Augen für ein neues Projekt.
Bei diesem wird der Eisenhüttenstädter Vorzeigekünstler Matthias Steier (sh. dazu auch das Sta(h)linstadt-Logbuch) zusammen eben mit der Symeon-Schwester Schöpfer Eckhard Herrmann aus der - wie der Name schon andeutet - Wald- und Würstchenstadt Eberswalde buchstäblich eine Art "Mammut-Projekt" an eine Giebelwand in der Friedrich-List-Straße zaubern.
Das Gesamtbild zum Großbild gibt es in der Märkischen Oderzeitung unter dem etwas künstlich flippigen Titel: Künstlerische Tiefkühlkost, in dem sich nebenbei und obendrein eine anscheinend doch nicht nur als Klischee gegebene Weltfremdheit der Kunstschaffenden unter den Werktätigen zitiert findet:
Angst vor Vandalismus haben beide nicht. Zum einen wird das Mammut in relativ sicherer Höhe angebracht, zum anderen "empfinden sich Graffiti-Sprüher als Künstler und machen keine Arbeit von Kollegen kaputt", sagt Eckhard Herrmann
Dies geäußert in einer Stadt, in der schonmal ein lebensgroßer Plastikwolf aus der Weihnachstdekoration eines Verbrauchermarktes mirnichtsdirnichts entwendet und in der Baudenkmal um Baudenkmal mit undenkbar unschönen - wie man gern liest - Verunzierungen mittels Sprühlack ausstaffiert wird... Da kennt jemand vielleicht seine Eberswalder Pappenheimer, die Eisenhüttenstädter Burschenschaft jedoch wohl gar nicht.
Wir hoffen dennoch und zwar das Beste, nämlich bildnerische Unversehrtheit bis zum Ende des Blockes.
Die Idee ist gut. Spurtet Euch, der gegenwärtig blog ist schlicht albern und der Geschichte nicht würdig.
Gefunden bei Alfred-Reisner.de. Wir werden die Anregung von Joanne Rowling(?) gern aufgreifen und sie als getroffene und unwürdige Hunde wie einen großen Napf SCHECKO-FIT Dschungel-Mix in uns hineinfressen bevor wir uns spu(r)ten, um die nächsten Albernheiten herauszubellen. Bedenke: 'albern' is just a six-letter-word!
TrotzGesellschaft Ost, der Blick aus Witten
Das Beste, was den Beitrittsländern in Deutschland widerfahren kann, ist deren Auseinandersetzung mit einer Gesellschaft, die mindestens europäisch, wenn nicht als Weltgesellschaft verstanden wird. Denn genau da spielen sich die interessanten und wegweisenden Konflikte ab: Wie kommt man mit Tschechien, mit Polen, mit Russland, mit Ungarn, mit Rumänien, mit der Slowakei, mit der Ukraine, mit Weißrussland, mit Georgien und so weiter wieder ins Geschäft, also mit den Ländern, die einst Bestandteil jener Netzwerke waren, die Westdeutschland, wo es ihm passte, zu schnell als sozialistisch verdächtigte und konterkarierte?
Dirk Baecker, Deutschlands Kommunikationssoziologe nur Nummer 1 und direkter Luhmann-Schüler, betrachtet heute in der taz zwar nicht Eisenhüttenstadt selbst, aber dafür die Stimmungslage in den fünf neuen Ländern und entwirft oben angeführte Perspektive, aus der man durchaus ein Körnchen Anregung picken kann, auch wenn es nichts ganz neues ist.
Einrad, ein Clown, ein Fest - der VI. im Vierzigsten
Der schöne bzw. massiv in Verschönerung begriffene VI. Wohnkomplex, zu dem erst gestern eine Eintragung im Eisenhüttenwiki erstellt wurde, befindet sich nach offizieller Zeitrechung in seinem vierzigsten Jahr. Dies wurde am Wochenende zünftig gefeiert u.a. mit den Ziltendorfer Einradgirls, einem Clown namens Faxilus sowie massiv Akkordeonbeschallung und Tanzteams aller Art. Ob für meinen Geschmack, wie die MOZ behauptet, etwas dabei gewesen wäre, bezweifle ich arg, allerdings bin ich weder Maßstab noch anwesend gewesen, um dem 10jährigen "Veronika, der Lenz ist da" intonierenden Max Pabel mein Herz zu öffnen.
Die Ausstellung im Stadtteilbüro offis, aus dem heraus wirklich viel und für den Rest der Stadt Vorbildhaftes zu geschehen scheint, wäre beispielsweise eventuell etwas für mich bekennenden Urbanisten und herkunftsmäßig leidenschaftlich dem Thema "sozialistische Stadt" zugewandten Amateur (nach lat. amare=lieben) auf dem Gebiet der Eisenhüttenstadt-Kunde, wobei ich hoffe, dass es sie noch länger zu sehen gibt. Gleiches gilt übrigens auch für den Wohnkomplex selbst, der ähnlich wie seiner kleiner Bruder Nr. VII schon die eine oder andere bauliche Ausdünnung erfahren durfte.
Wild ist nicht, was die Märkischen Oderzeitung insgesamt dazu berichtet, aber wer es dennoch lesen mag: VI. Wohnkomplex feierte.
Kommentare