Der Silberstreif eines grauen Tages liegt mitunter in dem kleinen giftigen Vergnügen, andere straucheln zu sehen. Und zwar im Detail. Natürlich ist Spitzfindigkeit weder eine Tugend noch etwas, womit man Sympathie erwirbt. Aber es als Konzentrationstraining und zum Warmdenken bietet sich die kritische Lektüre von Zeitungsartikeln besonders natürlich einer Qualitätszeitung wie der Frankfurter Allgemeinen immer als ein „natürliches Sparring“ an, um einmal Samuel Becketts Boxlehrer Parsons zu zitieren.
Das natürlichste Sparring ist, den erklärten Präzisionsfanatikern aus dem anderen Frankfurt – wer einmal einen Jugend-schreibt-Ausbildungskurs mitmachen durfte, weiß, worauf es dort ankommt und wie viel man dort dahingehend auf sich hält – ihre Schwächen auf einem Gebiet nachzuweisen, auf dem man selbst wenigstens eine Halb- bis Dreiviertelbildung besitzt. Für uns Eisenhüttenstadt-Blogger ist es an dieser Stelle das große Thema Eisenhüttenstadt und auch wenn sich da draußen noch 50-70 Menschen befinden, die sich besser mit diesem Sujet auskennen, dann sind es doch nicht mehr 50.000. Und das ist schon ein erhebendes Gefühl.
Andrea Diener, FAZ-Bloggerin und Journalistin, zählt augenscheinlich zu den anderen 50.000, denn in ihrem heute im Reiseblatt der Zeitung unter der pressförmigen Überschrift „Heimatgefühle im Plasteblock“ (Obacht: Nicht Plastikblock) erschienen Report aus Halle-Neustadt („Heute herrscht in der einstigen sozialistischen Mustersiedlung Trostlosigkeit. Dennoch gibt es Hoffnungsschimmer.“, FAZ vom 16.08.2012, S. R1) stolpert sie leider in einer Winzigkeit, dafür aber ganz traditionell:
Zwei Dinge fallen unbedingt negativ auf. Einerseits die Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass es Eisenhüttenstadt erst seit 1961 gibt und zwar als Zusammenschluss mit Fürstenberg/Oder und Schönfließ und damit einhergehend, dass für die 1950er Jahre die Bezeichnung Stalinstadt richtig wäre. Auch das Synonym Siedlung (statt Planstadt) wirkt unglücklich, selbst wenn es immer eine Herausforderung darstellt, die sperrige Formulierung „Stadt Eisenhüttenstadt“ zu vermeiden. Siedlung passt aber dennoch eher zu Vorwerken und Gehöften („Ernst-Thälmann-Siedlung“ benennt beispielsweise genau das, was man dort vorfindet).
Andererseits ist die Verwendung des durchweg nach Elend klingenden Verbs „hausten“ sehr fragwürdig, das immerhin einen lustigen Doppelsinn entfaltet. Denn neben dem mehr existieren als wohnen in schäbigen Nischen und Winkeln bezeichnet es auch die Tätigkeit des Verwüstens. Nur zu gern stellen wir uns vor, wie die vom frühen Sozialismus zu neuen Höhlenmenschen durchdegenerierten Stahlwerker abends in ihre Arbeiterpaläste heimkehrten um sich erst einmal ungehemmt vandalenhaft zu entfalten...
Wie auch immer man zu der beschriebenen Epoche stehen mag: Die Wohnqualität der nach dem Stilideal des Sozialistischen Klassizismus entstandenen Gebäude übertraf den größten Teil dessen, was in westdeutschen Wiederaufbauprogrammen zur gleichen Zeit die Altbausubstanz ersetzte. Die Verwendung von hausen verweist also entweder auf eine gewisse Unkenntnis der städtebaulichen Entwicklungslinien dieser Zeit oder aber auf eine schliche Pejoration mit dem Stigmastempel. Der Sozialistische Klassizismus stand nun einmal für eine Repräsentationsarchitektur, die geradezu darauf aus war, Eindruck zu schinden und die Bewohner auf die Stufe des neuen sozialistischen (und bessern) Menschen zu erheben. Mit ein wenig mehr Willen zur Galligkeit hätte Andrea Diener die Aussage also in eine andere Konsequenz biegen können und in Anbetracht des offenkundigen Erziehungsanspruchs dieser frühen DDR-Jahre in Verbindung mit den bekannten Abriegelungstendenzen der sozialistischen Gesellschaft von „zuchthausten“ schreiben können. Das hätte dann vielleicht auch einen Hinweis darauf gegeben, weshalb Stalin offensichtlich nach seinem Ableben in Kunzewo im Jahr 1953 noch zwei weitere Jahre in Stalinstadt nationalstilbildend weiterlebte. Er war nämlich, was nicht alle wissen, gar nicht vollständig tot, sondern wurde nur auf eine sozialingenieurtechnische Großbaustelle weit westlich seiner Heimat zur Bewährung verbannt, wo er noch einige Jahre weiterwirkte, bis endlich auch dort, weil er sich nicht mehr bewährte, sein Licht ausging.