Mehrmals bereits wurde der Ruhestand des Eisenhüttenstadt-Blogs in aller denkbaren Beite und mit allen denkbaren Gründen verkündet. Und daran, dass die Distanz zur Stadt zu groß ist (und in ihr vielleicht auch - wie Ray MC einst darauf reimte - zu wenig los ist) um wirklich regelmäßig diese Form von Begleitmedium zu bestücken, hat sich zwischenzeitlich nichts geändert. Auch die wenigen Ausflüge dorthin lassen keine Veränderung dieser Position erwarten. Dennoch besteht, wie es bei alten Leidenschaften nicht selten der Fall ist, kein Anlass, wirklich einen Schlussstrich zu ziehen. Jedenfalls solange es einen Webdienstleister gibt, der das Weblog zu unglaublichen Konditionen vorrätig hält. Der Ex-Schwedter, Ex-Eisenhüttenstädter und nun Strausberger Silvio bleibt - so wie ich - der Idee, die ja eigentlich und ursprünglich von ihm stammt, treu, und hält die vielleicht eigenwilligste digitale Dokumentation zur Stadt in der zweiten Hälfte der Zweitausend-Nullerjahre am Netz.
Zu Recht, denn trotz spärlicher Neuigkeiten finden die Seite nach wie vor Tag für Tag um die 100 Besucher - und dies liegt überhaupt nicht mehr an unserer lang Zeit dominanten Suchmaschinen-Türöffnerin aus dem ersten Monat (Lena Gerke, eigentlich Lena Gercke, mittlerweile orthografisch simpler Lena G), sondern daran, dass sich nach wie vor und Tag für Tag Menschen für Eisenhüttenstadt interessieren. Die hier angelegte Materialsammlung ist zwar kompromisslos subjektiv. Dafür haben wir aber auch sehr viele Inhalte exklusiv.
Im Schnitt entstehen aus dieser Konstellation seither dreimal im Jahr Kontakte, die unmittelbar nach Eisenhüttenstadt zurückwirken. Abgesehen davon brummt der Motor der Erinnerungskultur mit höherer Drehzahl auf der Eisenhüttenstadt-Blog-Fanpage beim für das Streuen von Inhalten höchst unkomplizierten Facebook. Die Ursache dafür mag neben dem Komfort der Rückkopplung sein, dass dort einfach weniger Text geschrieben und gelesen werden muss - ein nicht zu vernachlässigender Gesichtspunkt im eher visuell ausgelegten Kommunikationskosmos der Digitalität.
Wer dennoch größere Textmengen bisweilen auch zu Eisenhüttenstadt sucht, findet diese in einem frischen Projekt derer, die jahrelang dieses und jenes Blog füllten. Auch im neuen Projekt geht es um eine alternative Wahrnehmung, diesmal jedoch nicht eines einzelnen Ortes, sondern einer ganzen Region. Das Weblog Negativpresse Ost macht es sich zur Aufgabe, die Presseberichterstattung über Ostdeutschland mit der - wenn man so will - Eigenwahrnehmung (der Autoren) in Beziehung zu setzen. (Mehr dazu in diesem Beitrag: Warum Negativpresse Ost?) Damit verfolgt die Autoren das nicht unbescheidene Ziel u.a. als Vertreter der so genannten Dritten Generation Ostdeutschland in all dem sich nun schon seit fast 23 Jahren vollziehenden Zusammenwachsen das zu differenzieren, was ihrer Ansicht nach in diesem Zusammenhang differenziert gehört.
Wie sich so etwas beispielsweise in Rückwirkung zu Eisenhüttenstadt konkretisiert, lässt sich in dem kleinen Text über Tom Hanks und Eisenhüttenstadt nachlesen. Das ist nicht spektakulär, mitunter etwas spielverderbend und sicher häufig kontrovers. Es scheint uns aber sinnvoll und notwendig, gerade weil wir die Freiheiten der bundesrepublikanischen Gesellschaft schätzen und ernst nehmen.
Die Möglichkeit des sachlichen, einander anerkennenden und zugleich im Argument auch Widerspruch zulassenden öffentlichen Dialoges bzw. Diskurses ist eine der Errungenschaften, die uneingeschränkt und ausnahmsweise komplett ohne Wendeverlierer seit dem Herbst 1989 in den fünf damals erst angedachten, später neuen und nun ostdeutschen Bundesländern existieren. Erstaunlicherweise wird sie jedoch eher sehr eingeschränkt genutzt.
Es scheint kurios bis ironisch, dass mit dem Ende der DDR und der darauf aufblühenden politischen Freiheit scheinbar über weite Strecken auch das Ende der politischen Öffentlichkeit in Ostdeutschland einherging. Die Dritte Generation Ostdeutschland tröpfelt da natürlich nur ein bisschen frisches Quellwasser auf die eigentlich ziemlich heißen Steine und leidet, wie so viele Projekte dieser Art, an begrenzter Wirksamkeit bzw. Partizipation.
Wie weit wir mit dem Negativpresse-Projekt kommen, ist dabei unklar. Aber dem Diskothekenalter entwachsen und erfahren genug, um allzu bemüht gedrechselte Filme wie Das System - Alles verstehen heißt alles verzeihen noch nicht für das Optimum der medialen Auseinandersetzung mit ostdeutschen Identitäten zu halten, lassen wir es ganz gern auf diesen Versuch ankommen. Material bieten die letzten Jahrzehnte genug. Und freundliche Journalisten sorgen dafür, dass uns regelmäßig neuer Stoff zugestellt wird.