Bisher kam das Eisenhüttenstädter Stadtkabarett "Die Blitz-Richter" in unserem Weblog nur wenig zur Geltung, obschon es dafür keinen wirklichen Grund gibt. Vielmehr sind wir ausgewiesene Freunde des Jokus und stellen an die Hürden, die er überspringen muss, kaum großartige Ansprüche. Auch Georg Schramm (mehr als Urban Priol) schrammelt gern gesehen über unsere Bildschirme. Die Scherze der Herkuleskeule waren genauso wie die Academixer humoristische Fixsterne der Kindheit, auch wenn dieses Alter eines ist, in dem man selten einen doppelten Boden als solchen erkennt. Man fand es schon auf der einfachen Ebene höchst lustig und warf ihre Aufnahmen auf einen Plattenteller mit der Amiga-Pressung (bzw. genaugenommen: Litera) der Mängelehr eines Emil Steinberger.
Nur die "Blitz-Richter", vielleicht weil sie so nahe lagen, spielten keine Rolle, sowohl zu den späten Kindheitstagen der jungen Nachwende, obwohl man selbst einige Jahre zuvor als schätzungsweise 8-jähriger zwei Nachmittage lang versuchte, sich bei der AG Kabarett im Pionierhaus mit dieser Kleinkunstform anzufreunden, was einerseits aufgrund anderer Interessen aber nicht so recht gelingen wollte und andererseits das Originalitätsniveau sich auf der Ebene von "Die KabaRettiche" bewegte und ein Westkakaopulver nun wirklich nichts in DDR-Scherz-Combo-Namen zu suchen hatte. Das tiefe Feuer für den hohen Witz ließ sich zu diesem Zeitpunkt nicht entzünden. Und angesichts übergewichtiger Politiker von der So-Fett-Union und der deutsch-so-fettigen Freundschaft zu flachwitzeln, wäre frühestens 1989 opportun geworden. Zudem kamen die dicken Politiker damals eher aus dem Westen. Die Dachdecker, die die DDR lenkten, waren ja eher schmächtige Gesellen und haben es sowohl dort wie auch im Handwerk der Politik nie zum Meister geschafft. Was das Gewicht angeht, gab es auch im ZK die eine oder andere Ausnahme (Werner Krolikowski). Tatsächlich kam Adipositas auch im Zentralkomitee weitaus seltener vor, als es heute in einer durchschnittlichen Grundschulklasse der Fall ist. Die dominierende Brillenmode der DDR-Staatsführung allerdings erlebt aktuell an den Germanistischen Seminaren der deutschen Universitäten ein unverhofftes Revival.
Später, als es das Ensemble der "Blitz-Richter" mit frühen Programmen auf städtischen Bühnen zu sehen gab, dominierten wiederum noch andere Interessen den Alltag. Anders verhielt es sich beim Suhrkamp-Autor Detlef Kuhlbrodt. In der Niederschrift seiner Erinnerungen an den 09. November 1989 für den Sammelband "Die Nacht, in der die Mauer fiel" (Deckert, Renatus (Hrsg.): Die Nacht, in der die Mauer fiel. Schriftsteller erzählen vom 9. November 1989. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2009) beschreibt er, wie er nach dem 09. November für den Radiofunk Gesamtdeutschlands Ostdeutschland erkundete. Erinnerungsträchtig einschneidend war für ihn ein Besuch bei den "Blitz-Richtern" in Eisenhüttenstadt:
"In einem Feature ging es um Lachen in Ost und West. Ich war dafür nach Eisenhüttenstadt gefahren, um mir das eher spärlich besuchte Programm des dortigen Amateurkabaretts "Die Blitz-Richter" anzuschauen. Die Charaktere auf der Bühne trugen lustige Namen wie: Frau Rosenlecker-Schmatzenbacher oder Ilse Gürtelschnalle." (S.177)
Allerdings muss die Stadtvisite etwas später nach dem Nineeleven der DDR gewesen sein, denn die Kabarett-Truppe gründete sich erst 1992. Egal. Nachdem Detlef Kuhlbrodt von der Darbietung einigermaßen angetan den Rückweg nach Berlin antreten wollte, gelang es ihm per Zufall und Panne noch eine andere Facette des nunmehr befreiten Post-DDR-Humors kennenzulernen:
"Als ich zurück nach Berlin fahren wollte, blieb das Auto in einem Randbezirk von Eisenhüttenstadt liegen. Es war ziemlich kalt. Ein freundlicher Nachtarbeiter hielt an und wollte mir helfen. Ich erzählte ihm, daß ich in Sachen Ost-West-Humor unterwegs war. Er sagte, er kenne auch ein paar tolle Witze. Schnell packte ich das Aufnahmegerät aus, und er erzählte ganz wunderbar und lustig viele schmutzige Klein-Emma-Witze; dann schleppte er mein Auto bis zur nächsten Tankstelle ab. Ich war glücklich über diesen tollen Schluß meines Features." (S.177f.)
Wie üblich in schlechten Filmen und im richtigen Leben war natürlich das Tonband defekt und Keiner hat die Aufzeichnung dieses Abends je zu Ohren bekommen (und Niemand hat's gesehen). Auffällig sind zwei Formulierungen, die auch heute noch auf die westliche Provinienz des Beobachters Detlef Kuhlbrodt verweisen: Nie sprach man in Eisenhüttenstadt von Randbezirken und der Nachtarbeiter war immer ein Schichtarbeiter.
Es wäre sicher ein aufregendes Thema für die Soziolinguistik - wenn es nicht schon längst bearbeitet ist, aber mir ist nichts bekannt - wie sich die besondere Beschaffenheit der Eisenhüttenstadt (Fixierung auf das Werk, erste sozialistische Stadt der DDR) in den lokalen Sprachgebrauch eingeankert hat und was davon so üblich wie übrig ist. Städte bringen immer ihre Eingeweihten-Sprache mit sich und so aus der Ferne und beim angestrengten Nachdenken wird deutlich, wie wenig man davon im Kopf behält. Falls jemand Beispiele für typisch Eisenhüttenstädtische Wendungen hat, dürfen sie gern hier als Kommentare fixiert werden. So wie Detlef Kuhlbrodt seine Erinnerungen an einen Besuch nach 1989 fixiert hat, was wir wiederum hier fixieren wollten. Ebenfalls einen Zeitausschnitt aus dem Leben der Eisenhüttenstadt haben die Filmemacher der Dokumentation "IDEAL 50 - Vom Plan zur Stadt zum Neuen Menschen" (mehr hier) fixiert und wer morgen in Berlin herumwandert, kann sich diese ab 16 Uhr im Deutschen Historischen Museum ansehen. Das nur als wertvollen Kulturhinweis für alle, die dem Text bis zu dieser Stelle gefolgt sind.
Die längste Bank der Stadt steht im Wohnkomplex II und glänzt derzeit derart in der Frühsommersonne, dass wir sie einfach mit Nostalgiefärbung abbilden müssen. Manchmal wird sie auch dieser Tage von Kindern umspielt, als wartete noch ein Holzpferd an der Ecke und ein Schwimmbecken im nächsten Innenhof.
Ob sie sich allerdings Klein-Emma- oder die noch bekannteren Klein-Erna-Witze ins Ohr flüstern, ist nicht bekannt. Die Witze selbst werden allerdings dank Internet gut - leider aber nicht in Eisenhüttenstädter Mundart - dokumentiert. Hier ein gefundenes Beispiel, das den Humor der DDR mit Groß-Erna und Groß-Emma zusammenführt und aus regionalen Gründen leicht verändert wurde:
Groß-Erna aus Ziltendorf nahe Eisenhüttenstadt schreibt einen Brief an ihre Cousine Groß-Emma in Köln:
„Liebe Emma!
Alle Vorbereitungen laufen hervorragend. Schicke mir die dringend benötigten 3 Handgranaten und 1 Kilo Sprengstoff.
Vielen Dank im voraus,
Deine Erna“
Im Frühjahr folgt Ernas nächster Brief:
„Liebe Emma!
Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Die Stasi hat den Garten
komplett umgegraben. Jetzt kannst Du mir endlich die dringend
benötigten Tulpenzwiebeln schicken.
Vielen Dank im voraus,
Deine Erna“