"Wo diese Hochöfen donnern, wo diese ganz neue Stadt wächst, rauschten vor zehn Jahren noch die Wälder", freut sich Stephan Hermlin 1959 über die Großbaustelle Stalinstadt, das heutige Eisenhüttenstadt, wo jetzt die fröhlich lernenden Jungen und Mädchen von damals mit der Bierbüchse in der Hand und dem Frust im Gesicht vorm nächsten Imbiß an der Ecke stehen. Sie leben wieder in blühenden Landschaften.Die hier aus einer am 25. April 1997 im Kulturteil der Berliner Zeitung erschienenen Besprechung herauszitierte Einstellung des Dokumentarfilms "Daß ein gutes Deutschland blühe" von Joop Huisken aus dem Jahr 1959, zählt sicher zu einer wenig bekannten und selten gesehenen der Eisenhüttenstadt-Filmgeschichte. Sie ist aber sicher als Zeitdokument gehaltvoller, als die auch schon 1997 etwas einfallsarme Zuspitzung des Rezensenten, der sich völlig unnötig die typischen Klischeebilder zusammencollagierte, bis das Bild stimmte. Das ist aber immerhin schon ein Jahrzehnt her und heute wäre der Eindruck sicher ein ganz anderer. Vielleicht auch nicht. Imbissbuden gibt es durchaus noch einige. Und überhaupt: Jahrzehnte:
"... So reden sie: In der Sprache der Turmdrehkräne,So schrieb es um 1968 der junge Dichter Ulrich Völkel in seinem Gedicht "Von den neuen Häusern". Anderswo auf dieser Welt und in diesem Jahr sinnierten andere deutschsprachige Lyriker z.B. über die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt und dokumentierten die Aufstellung des 1. FC Nürnberg am 26.1.1968. Aus diesem Anlass erinneren wie an die exakt 40 Jahre später vorgenommene Aufstellung des EFC Stahl Eisenhüttenstadt am 26.01. 2008:
mit den Termini des Großblocks,
etwas überheblich vielleicht gegen die Bäume,
welche Jahrzehnte brauchen bis zum zweiten Stock;..."
Sebastian Becker - Rico Walter - Marcus Schadrack - Nico Teuber - André Keipke - Christian Zacharias - Carsten Hilgers - AndréMal sehen, ob wir jetzt auch in die Literaturgeschichte eingehen, wenigstens in die Eisenhüttenstädter.
Beuthel - Sebastian Maßmann - Marcus Kerl - Benjamin Freist
Der oben zitierte Lyriker Ulrich Völkel ist dies in gewisser Weise schon, allerdings hauptsächlich in die der DDR und dies nicht allzu tief, in jedem Fall nicht Hermlin-tief, aber für Lyriker dieser Generation war es auch kaum möglich, drei Nationalpreise abzustauben. Dennoch hat Ulrich Völkel neben der Beschreibung der neuen Häuser, die die Bäume demütigen, auch ein für uns zitierenswertes Gedicht über diejenigen verfasst, die diese neuen Häuser bewohnen sollten:
Vor dem EinzugSo knufflig lebensnah klang der sozialistische Realismus und er erklang im Einklang mit der Realität, denn die Wohnungsfrage war ein Dauerproblem und löste sie sich individuell, brachen ganz schnell die typischen kleinbürgerlichen Verhaltensweisen durch und das eigene Heim war - wenigstens kurzzeitig - nicht nur samt Herd Goldes Wert sondern auch Glück allein. Immerhin hielt man so einen Großteil der jungen Bürger der noch jungen Republik in Beschäftigung und so blieben sie von dem, was im selben Jahr in Prag für eine gute sozialistische Tschecheslowakei erblühte und auch von dem, was da beim Klassenfeind an Revolte so herumrumorte, weitgehend verschont. In der schmucken Eisenhüttenstadt, durch das zu diesem Zeitpunkt in großem Stil "die Sprache der Turmdrehkräne mit den Termini des Großblocks" hallte, hatte man sowieso und noch mehr als anderswo mit dem Aufbau des Sozialismus zu tun.
Da kommt das
Scheuerlappengeschwader, kommt,
den Besen geschultet, eimerschwingend,
gerüstet mit scharfen Essenzen,
Ata, Fit, Bürsten und Lappen.
Kommt, fröhliches Regiment
baldiger Nachbarn, gestolpert,
begeistert auf noch unfertigen Wegen
hin zum Neubaublock, der
zur Übergabe bereit, aber
zum Einziehen noch ungeeignete
mörtelbecklerte Gegend ist.
Schnell schrubben die Mieter von morgen
und fegen und putzen die Wohnungen,
wie sie vielleicht nie wieder
ihre Wohnung reinigen werden; denn
dies geschieht Jahre nach dem ersten Antrag
auf eigenen Wohnraum und
einen Tag vor dem selbstverständlichen Einzug.
[Völkel, Ulrich: Vor dem Einzug. In: auswahl 68. Neue Lyrik-Neue Namen. Verlag Neues Leben Berlin, 1968. S. 109]
Bis dahin grünt es und blüht es an dem Stadtbächlein davor, dass man man selbst mit bösem Willen nichts Negatives zum drüber schreiben findet.
An anderen Ecken im Ort würde Hermlin heute aber vielleicht ausrufen:
"Wo diese Hochöfen bollern, wo diese nicht mehr ganz neue Stadt schrumpft, rauschen in zehn Jahren wieder die Wälder."