Obwohl es nicht jeder Eisenhüttenstädter schaffte, enstprechende Versorgungslinien aufzubauen, war doch zu Zeiten des realexistierenden Sozialismus der Wunsch nach dem regelmäßigen Versorgungspaket aus dem Westen Deutschlands bei vielen Stadtbewohner nicht unbedingt ganz hinten an.
Der Inhalt der Päckchen umfasste meist leicht abgetragene Kleidung, ein paar Tafeln Milka, einem Tintenkiller, einer Packung Melitta-Kaffee und manchmal, tief vergraben zwischen den alten Karotten-Jeans, eine Ausgabe von Bravo oder Pop-Rocky, mit der man auf dem Schulhof und im Hausflur blendende Geschäfte machen konnte.
So konnten wir einst beinahe ein schmuckes Bros-Riesenposter ("When Will I Be Famous") für 50 Mark der DDR veräußern, weil eines Nachbarn neue Freundin derart in die Goss-Zwillinge verschossen war, dass er sie nur mit dieser Investition zu halten zu können glaubte. Unglücklicherweise ging irgendetwas anderes zwischendurch schief und die Beziehung in die Brüche, bevor wir den wahrhaft kapitalistischem Wirtschaftsgeist entspringenden Posterhandel abschließen konnten. Aber wir sind dann ein Bravo-Songbook von Depeche Mode für schlappen Zwacken (Zwanzig Mark) losgeworden, denn nach der Erfahrung wollte unser junger Nachbar Strangelove nicht nur erfahren, sondern auch textnah mitgesungen haben...
Das Besondere an diesen Presseerzeugnissen war - und daher waren die Pakete so wichtig - dass es sie nicht in den Intershop-Filialen, derer Eisenhüttenstadt drei besaß, zu kaufen gab. Überhaupt kann ich mich nicht erinnern, dass in den Westtante-Emma-Läden mit ihrem beinahe Vollsortiment vom Matchbox-Auto bis zum Kleincomputer, Printerzeugnisse aus dem kapitalistischen Ausland erhältlich waren. Tonkost auf Schallplatte gab es wohl und in der Zweigstelle an der Heinrich-Heine-Allee hingen sie wenn man hineinkam rechts und für die meisten unbezahlbar fern. Vielleicht trug diese unerfüllbare Sehnsucht nach der großen akustischen Freiheit, z.B. jenseits von Eden, dazu bei, dass man besonders den Duft dieser Geschäfte, der als Einziges für alle Besuchern frei erhältlich war, so verklärte: im DDR-Alltag auf Konsumverzicht und/oder Beziehungspflege zu den sich nicht immer im Dienst am Kunden sehenden HO-Verkäuferinnen getrimmt, glich der Besuch in den kleinen Vollsortimentern einem Hineinblinzeln ins materialistische Schlaraffenland und während die Bürger den historischen Materialismus schon ein paar Jahre nach dem Ingenieursstudium in der Regel nur noch in Rudimenten herunterbeten konnten, waren sie hier - buchstäblich - ganz bei der Sache und wo ihnen das Neue Forum noch kein Begriff sein konnte, so wussten sie doch meist sehr gut über die neuen Forum-Schecks bescheid. Damit konnte man beinahe alles, was das Herz begehrt, kaufen und der rüstige UNO-Pensionär, der mir jüngst bei einem zufälligen Schwatz vorm Hundertwasserkraftwerk Spittelau verriet, dass er einst gern in die DDR fuhr, weil man da mit Westzigaretten leicht und unkompliziert junge sozialistische Damen in junge allzumenschliche Betthäschen verwandeln konnte, übertreibt vermutlich nicht zu sehr, besonders wenn man sich an das Aroma von KARO erinnert.
Das ist sie also, die Musik der weiten Welt: Schon vor der Wende schrieben Mutige die Namen ihrer Helden an die Hauswände Eisenhüttenstadts. Nach der Wende war es dann noch leichter und obendrein konnte man sich auch bald fast alles auf Tonträgern kaufen. Und heute streamt man über Last F.M., wobei sich die Frage stellt, was wohl aus der DDR und ihren Intershops wohl in Zeiten des Internets geworden wäre.
Glücklicherweise sind die Eisenhüttenstädter Nostalgieexperten von Osthits.de noch nicht auf die Idee verfallen, den Duft einer verqualmten DDR-Clubgasstätte oder Bierbar nachzuempfinden. Den Duft des Westwarenschaufensters "Intershop" dagegen konnten sie nun synthetisieren lassen, was auch im englischsprachigen Ausland wahrgenommen wurde: Entrepreneurs: Smells like East Germany. Dabei bedeutete "Verduften" damals eigentlich etwas ganz anderes. Allerdings stehen dem großen Erfolg des Riechstoffs bislang noch namensrechtliche Ansprüche der Jenaer Intershop Communications AG entgegen, die sich (laut Wikipedia) vom Namen her in der Tradition der kleinen Devisensammelstellen der DDR sehen. Ansonsten geht es bei den thüringischen Softwaremachern aber, abgesehen von dem üblichen Unternehmensziel, möglichst gewinnträchtig zu wirtschaften, um etwas ganz anderes. Was allerdings nicht gegen die flauschige Idee spräche, die Flure des Unternehmens im Intershop-Tower mit dem Osthits-Duft aus alter Zeit zu durchlüften.
In Eisenhüttenstadt ist mittlerweile immer Intershop. Z.B. im City Center, dass relativ penetrant den Verkehrshinweisfunk der lokalen Radiostationen mit Spots zum Mitternachtsshopping abmoderieren lies, die wiederum unglücklicherweise den ARI-Piepser, der uns nach den Stau- und Blitzermeldungen zurück zur Tonkost aus dem CD-Spieler bringt, erst nach dem Werbeblock über den Sender schickten. Entsprechend gut waren wir darüber informiert, welchen Bereich es zur Samstagnacht weiträumig zu umfahren galt.
Die Märkische Oderzeitung hat sich dennoch ins Auge des Käuferansturms gewagt und berichtet entsprechend heute in ihrer Online-Ausgabe: Gucken, plaudern, kaufen bis in die Nacht. Klingt toll, wir wollen aber dann doch lieber 100 Jahre KaDeWe, selbst wenn man den Wermutstropfen Klaus Wowereit zum Champagnerkelch mitbekommt. Das ist trotzdem noch besser als:
An der Cocktailbar war der Andrang groß. Egal ob alkoholisch oder ohne Prozente - für jeden war hier etwas dabei.Oder auch nicht. Als eine wunderliche kleine Gemeinsamkeit zwischen der Hauptstadt und der Stahlstadt fällt nebenbei auf, dass beide erstaunlicherweise einerseits als zutiefst verarmt und herunterkommen gelten und es andererseits - jeder so, wie er es kann - lieben, sich exzessiven Konsumrauscherlebnissen hinzugeben.
Z.B. als Berliner Flohmarkt im WK VII. Und das ist auch fast ein Vollsortimenter, wenn auch der ganz anderen Art. Die Eisenhüttenstädter nehmens aber an und vermutlich wirtschaftet der Ramsch- und Entrümplungsladen sogar mit einer besseren Bilanz, als es dem zuvor hier beheimateten "Spar" gelang.
Warum das teure Intershopping zieht und das kostenfreie Kultur- und Bildungserleben nicht so ganz, wird allerdings dann nachvollziehbar, wenn man die blutleere Eröffnung der Frauenwoche im KUZ miterlebt hat, über die Mandy Timm heute ebenfalls in der Märkischen Oderzeitung rapportiert. Wer derart öde und lieblos das "Forschungsfeld Eisenhüttenstadt" präsentiert, wie es die Ethnologen der Humboldt-Universität vor ihren Untersuchungsobjekten taten, muss sich eigentlich wundern, warum das Publikum bleibt.
Es lag wohl an der Aussicht auf den Film, die die Besucher so lange auf den Stühlen hielt. Und der lief dann auch noch entschärft und geschnitten. Dabei war das Publikum, wie man aus der Anschlussdiskussion ableiten kann, durchaus in der Stimmung für ein bisschen mehr Kontroverse. Der ethnologische Stuhlkreis bot dafür leider kaum Potential. So bleibt die Hoffnung auf ein solides Buch mit den Forschungsresultaten, das den Anwesenden für den Herbst versprochen wurde und vielleicht sogar den Film als DVD-Beilage enthalten wird. Und kurzfristig die Aussicht auf die Frauenbilder der Fotoausstellung "Frauen Porträts - Kinder 1989 und 2005" von Angela Fensch, die ab 10. März im Städtischen Museum zu sehen ist.
Kein Wunder, dass das Mitternachtsshopping zur Hauptattraktion wird, treibt es doch die Subkulturschaffenden der Stadt ganz woanders herum. Immerhin ist es schön zu sehen, dass sie manchmal noch iein paar Wände abklappern. Alles natürlich legal.
Foto: x** auf Flickr
Mehr als diese zugegebenermaßen nicht ganz so hinreißenden Eindrücke gibt es heute nicht aus der Blog-Redaktion. Mal sehen, womit uns der Rest dieser Woche überraschen wird.
Wer etwas hört, sieht, empfindet und dieses - oder Erinnerungen an die Intershops der Eisenhüttenstadt samt Verkaufsraumduft - beitragen möchte, kann es hier tun.
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