"Nehmen Sie den (bildenden) Künstler. Wie schafft er es, seine Werke 'aufzuladen', wo er doch bloß mit, sagen wir, Vaseline arbeitet?" (Kahn, Oliver (2008): Ich. Ein Buch über Erfolg. München: riva Verlag, S.12)
Nun ja, wie sollen wir auf diese Frage, die von nun an als "Kahn-Frage" (optional und temporär: Torwartfrage) in die deutsche Geistesgeschichte Eingang finden wird, wohl antworten, wo uns dieses Phänomen, den Nagel mit der richtigen Mischung aus Idee, Material und Form mitten auf den Kopf zu treffen, doch seit Jahr und Tag beschäftigt. Mittlerweile fast zweijährig treibt uns noch immer um, wie es wohl gelingt, dieses Weblog mit Idee ("alternative Stadtwahrnehmung" Eisenhüttenstadts), Material (Sprache und WWW-Oberflächen) sowie Form (Formulierung, Stil und Etikette) so aufzuladen, dass wir gleichzeitig einladen und zwar zu Lektüre, Reaktion und irgendwie gar zur aktiven Beteiligung. Dies gilt umso dringlicher, als dass die fetten Jahre des süßen Nichts-Anderes-Tuns als ständig, ununterbrochen und permanent an Eisenhüttenstadt und wie es sich in seiner Mannigfaltigkeit wahrnehmen lässt zu denken, für mich offensichtlich ein Phänomen vergangener Zeiten sind. Statt
regelmäßig wird
sporadisch das Wort zum
Posten. So dreht die Zeit am Rad des Lebens und was wir tun, tun wir vergebens - solch trivialbesinnliche Vanitas-Reime entstehen natürlich nur, wenn man zu mittelspäter Stunde in eng vertrauter Runde die falsche Schallplatte abspielen lässt.
Da hilft zur Abkühlung nur ein Griff in den Zeitungsständer und zur Qualitätspresse. Wie der Zufall es will, fischt man sich ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Nikolaustag des tollen Jahres 2006 heraus und während man die Ausgabe in Richtung Populärwissenschaftsbeilage durchblättert, stolpert man doch im Feuilleton, das wie alles in der Welt (
Gold- und Benzinpreise,
Geschwisterliebe,
Formen der nationalen Konkurrenz,
Spiegel, der
Kurs der Gazprom-Aktie) früher besser und/oder anders war, über eine Besprechung gleich zweier Ausstellungen in Eisenhüttenstadt. Nun gut, kann man jetzt einwenden, wenn sich
Arnold Bartetzky schon "auf nach Eisenhüttenstadt" macht (und im Titel seines Beitrages dazu freundlicherweise auch noch einmal buchstäblich auffordert), dann ist der Schritt von der Planstadt-Ausstellung im Städtischen Museum zur Wohnkultur-Ausstellung im Dokumentationszentrum ein verhältnismäßig naheliegender. Dennoch: bemerkenswert! Dem Urteil, dass beide mit Gewinn anzusehen waren stimme ich bedenkenlos zu, aber eigentlich interessiert hier weniger die Einstellung zur Ausstellung, sondern die Wahrnehmung des Stadtraums, der sich freilich nicht ganz von der Planstadtpräsentation abtrennen lässt, führt der Eindruck der dortigen Exponate doch den sich anschließenden konkreten Blick in den Stadtraum:
"Von dieser [der auf den Fotografien in der Ausstellung gezeigten] Noblesse ging vor allem nach 1989 viel verloren: Eine Häuserzeile der Magistrale ist heute durch postmoderne Verkaufsbaracken verstellt, der Autopavillon fristet als mit ekliger Plastikfolie beklebtes Gebäude eines Billigbäckers ein kümmerliches Dasein. Trotz solcher Verluste ist es aber gelungen, das Flächendenkmal in weiten Teilen zu erhalten. Dabei kommt Eisenhüttenstadt auch der "Stadtumbau-Ost" zugute, der andernorts oft nur Abrisse produziert."(Bartetzky, Arnold: Die Lindenstraße des Sozialismus. Auf nach Eisenhüttenstadt: Zwei Ausstellungen zu Architektur und Wohnkultur der DDR. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 06.12.2006, Nr. 284, S. 38)
Dass der hiesige Stadtumbau gelobt wird, ist wahrlich selten und die lokalen Wohnungsbaugesellschaften haben sich die Zeile bestimmt ganz groß in den Kopierraum geheftet. Mir, der ich eine etwas weniger demütige Erwartung an die Stadtentwicklung hege und andererseits im Plattenbau zwar auch nicht die realit gewordenen "urbanistischen Träume" erkenne, diese Bauform aber ebenso wenig als an sich ausmerzenswert abzuurteilen bereit bin, erscheint die allein schon durch den Denkmalschutz rechtlich fixierte Erhaltung weiter Kernstadtteile nicht unbedingt übermäßig außergewöhnlich, eher selbstverständlich.
Dass die "Baracken"zeile am Nordrand der Lindenallee (und nicht etwa "Lindenstraße", wie Bartetzky im Text fast unverzeilich verkehrt schreibt), die in der positivsten Auslegung als eine kläglich misslungene Reminiszenz an die Bauten in der Alten Ladenstraße gedeutet werden kann, die vermutlich größte und leider nicht einzige Bausünde der Stadtgeschichte nach 1990 darstellt, wird dagegen sicher niemand ernsthaft bestreiten. Wobei das Attribut "postmodern" sehr euphemistisch gewählt ist, setzt diese Beschreibung doch eine gewisse architektonische Qualität voraus. Tatsächlich fällt es schon schwer, überhaupt eine Architektur in den völlig deplatzierten Funktionsbauten zu erkennen...
Nun denn: Wir lieben die Magistrale auch deformiert und ebenso die "Silos" (=Plattenbauten in der Wahrnehmung Arnold Bartetzkys) der Eisenhüttenstadt, die gar nicht so anonym sein müssen, wie der Volksmund (derer, die dort nicht wohnen, nie wohnten und es sich auch nie vorstellen können) behauptet. Und wir haben hiermit einen weiteren, nicht bahnbrechenden aber notierenswerten, Eindruck zum Ort aus der Weltpresse dokumentiert. Den wahrscheinlich nächsten gibt es demnächst - wie ich vorab erfuhr - am Kiosk zu kaufen, nämlich in der Märzausgabe von Sacco & Vanzetti ("das junge Magazin für die junge Linke"), die man vermutlich an einem der nächsten Freitage mit dem Neuen Deutschland ausgehändigt bekommt. Das Erfolgsbuch, aus dem das Eingangszitat des Rensing-Vorgängers stammt, erscheint dann am 19. Mai. Der Lesefrühling ist also gesichert.
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