Ich weiß nicht genau, wie viele Begegnungen es zwischen der Fußballmannschaft der BSG Kernkraftwerk Greifswald und der der BSG Stahl Eisenhüttenstadt gab. Aber der Begegnung der Fußballspieler aus der Toni-Kroos-Stadt mit denen aus der Stahlstadt an einem Sonntag im Dezember 1986 auf dem Sportplatz der Hüttenwerker haftet aus der heutigen Rückschau ohnehin etwas Utopisches an. Das Ergebnis ist nicht überliefert. Wohl aber ein Handzettel.
Die Konfrontation der Vertreter von Stahl- und Atomzeitalter (bzw. die Kernspalter zu Besuch bei den Stahlharten) fand in dem maßgeblichen Katastrophenjahr der 1980er statt. Zwei Tage vor dem Aufeinandertreffen kam es zu einem der schwersten Flugzeugunglücke in der Luftfahrtgeschichte der DDR. Bereits im Januar war die Raumfähre Challenger in einem dieser Jahrhundertbilder live im Fernsehen zerbrochen und in den Atlantik gestürzt. Im November gab es bei Basel einen Großbrand in einer Chemiefabrik, in dessen Folge der Rhein weitgehend zur toten Zone wurde. Und - den größten Schatten werfend - im späten April dieses Jahres stieß der Glaube an die Beherrschbarkeit der Kernenergie in Tschernobyl an eine Grenze, die bis heute als Symbol mit hoher Halbwertszeit herum menetekelt. Sowohl auf den Feldern der Ingenieurtechnik, der Chemieindustrie und der Kernkraft demonstrierte das Jahr '86, dass dort, wo der Mensch komplexe Konstellationen mit eher unkonzentrierten Fingern zu kontrollieren versucht, schnell ganz schön viel kaputt gehen kann. Mit der Challenger und Tschernobyl explodierten denn auch gleich zwei Leitstrahlen großwissenschaftlicher Träume.
Entsprechend politisiert, denkt man, müsste auch die Popkultur dieser Zeit gewesen sein. Auf Platz Eins der (west)deutschen Single-Charts fand man denn auch zum Zeitpunkt des Fußballspiels Status Quo mit You’re in the Army now – die freilich Falcos Nach-Skandaltitel Coming Home (und nicht vom Wehrdienst) ablösten. Die Überproduzenten der 1980er Rob und Ferdi Bolland zeichneten für beide Titel verantwortlich und wussten also sowohl die Lust wie auch die Pflicht zur Gewalt (und vieles mehr) popmusikalisch in klingende Münzen zu verwandeln.
Die These der politisierten Popkultur trägt freilich keine Woche, denn die Jahrescharts zeigen, dass außer Peter Gabriels Sledgehammer und The Human Leagues Being Boild (Re-Issue) und mit Berlins Top Gun-Schnulze Take my breath away Inhalte lapidar-konstruktiver Zwischenmenschlichkeit überwogen. Slayers am Nationalfeiertag der DDR (vermutlich auch ein Zufall) erschienener Durchbrecher Reign in Blood war eher noch etwas für Liebhaber der härteren Klangart, lief meines Wissens auch nie über DT 64s beliebte Mitschneidesendung „Duett – Musik für den Rekorder“ und stand genausowenig an der kleinen Schallplattenwand im Intershop im III. WK.
In Eisenhüttenstadt pflegte man ohnehin andere Vorstellungen von der Welt und konnte sich seit Mitte Oktober des Jahres mit dem offiziellen Titel „Stadt der vorbildlichen Ordnung, Sicherheit, Sauberkeit und Disziplin" schmücken. Zudem gab es in der Mittelschleuse eine Kaufhalle. Man hatte also alles ziemlich gut im Griff.
Generell blieb der 14.Dezember 1986 ein weltgeschichtlich geradezu duckmäuserisches Datum und man kann kaum anders, als sich einen kleinen nebligen und schwefligen Adventssonntag vorzustellen, an dem man irgendwo in Südwestdeutschland eine Konrad-Kocher-Festwoche eröffnete und in einer anderer Welt unter mäßiger Zuschauerbeteiligung ein Ligaspiel der Staffel A (17. Spieltag) stattfand, das dann auch folgerichtig mit dem farblosesten aller Ergebnisse nämlich einem 0:0 Unentschieden zu Ende ging.
Und hätte mir gestern nicht jemand freundlicherweise den Handzettel zum Spiel geschickt, hätte ich vermutlich nie überhaupt nur einen Gedanken auf diesen Tag verwendet. So aber erhält er immerhin eine kleine Präsenz auch in diesem Weblog.
(Für das Bild danke ich Alexander Fromm.)