Nicht selten leiden Städte wie Eisenhüttenstadt darunter, dass sie sowohl von in die Geheimnisse der Stadt uneingeweihten Durchreisenden wie von für die Geheimnisse der Stadt blinden Einheimischen als weitgehend nach dem Dreiklang stumpf, öde, langweilig empfunden werden. Dass hier wenig los zu sein scheint, sehr vieles jedoch fest, ist in bestimmter Beziehung selbst dann gültig, wenn zufällig der Spektakelmonat August oder eine Bürgermeisterwahl anstehen, in der Martin Heyne und Mitstreiter den Amtsinhaber derart aggressiv angehen, dass der RBB darüber einen
Bildbeitrag macht, sich beim
tschechischen vertippt und Martin Heyne plumperweise vorrangig als Ladendieb - damit stand er nun nicht unbedingt, wie behauptet vor 10 Jahren "im Licht der Öffentlichkeit" - und Zechpreller tituliert. Der Schein, nicht das Sein, dominiert bei allen drein - ein Reim so schwachatmig wie wahr. Man zahlt es Martin Heyne nun per
Brandenburg aktuell in der Währung heim, in der er Rainer Werner attackiert. Ob der Rundfunk Berlin-Brandenburg zu den aufeinander zeigenden Fingern noch derart eindeutig pro Rainer Werner seinen eigenen erheben muss, darf man sich als kritischer Medienbeobachter schon mal fragen.
Die Sprüchlein durch die Blume "Doch auch Püschel könnte von einer derzeit laufenden Wahlkampagne profitieren", "Vielleicht will sie [Dagmar Püschel] aber nichts sagen, weil es mittlerweile einen Solidarisierungseffekt gibt", rückt die Gegenkandidatin zum Amtsinhaber - natürlich rein hypothetisch - dann wieder in die Ecke des in der Minute zuvor völlig diskreditierten Martin Heyne, zu dessen Negativmerkmalen auch die "im Internet kursierenden" Videoaufnahmen seines aktuellen, zugegeben nicht unbedingt prestigereichen Broterwerbs als Home Shopping-Moderator addiert werden. Er erscheint jetzt brandenburgweit als kleinkrimineller Möchtegernjournalist, für den es nur zum Münz-Vertreter reichte, dem es darum geht den Bürgermeister einer Stadt zu schmähen, in der er gar nicht mehr lebt. Selbst wenn man mit diesem Bild nicht gänzlich fern der Wahrheit trudeln sollte: Redlich für den handwerklich präzisen Journalismus wäre es, nicht zu solch plumper Moralisierung zu greifen, sondern Martin Heyne direkt nach dem Motiv hinter der Kampagne zu fragen bzw. wenigstens zu versuchen, seine Motivation zu ergründen. Mir jedenfalls bleibt sie bisher ein Rätsel.
Ein weitaus zentralerer Aspekt als Werner-in-Rente oder Werner-nochmal-ins-Amt ist, wie man produktiv mit unterschiedlichen, teilweise entgegengesetzten Vorstellungen von Stadt, Stadtraum und Stadtentwicklung umgeht.
Zweifellos verfolgt der Amtsinhaber ein sehr zugeschnittenes Modell, bei dem manche Interessen stärker berücksichtigt werden und manch andere weniger. Offensichtlich fielen der Stadtentwicklung in den letzten zwanzig Jahren zahlreiche externe Faktoren vor die Füße - sowohl als Stolperfallen wie auch als Geschenke. Der Bürgermeister hat bei diesen Fundstücken einiges eher ungeschickt und einiges auch geschickt aus dem Weg geräumt und eingefädelt. Insgesamt ist es auch nur natürlich, dass sich bestimmte Abhängigkeiten und Strukturen etablieren. Hierin liegt am Ende auch das Problem zu langer Amtszeiten. Es ist ausgeschlossen - oder erfordert Qualitäten in der professionellen Selbstdisziplinierung, die Personen, die für dieses dann doch nicht so überüppige Gehalt zu arbeiten bereit sind, normalerweise nicht mitbringen - dass man, vorsichtig formuliert, nicht zwangsläufig in wechselseitige Beziehungen, Interessenlagen und Abhängigkeiten gerät, die eine durchweg faire Stadtführung beeinträchtigen.
Dies ist in jeder Regierungsverantwortung so und je komplexer die Gemengelage, desto schwieriger ist es, den guten Mittelweg zu finden. Daher sind regelmäßige Wechsel an der Kontroll- und Nahtstelle sinnvoll, um Verkrustungen und dauerhaften Parteilichkeiten vorzubeugen.
Eine solide und sachliche Gegenkampagne hätte diese Facette auszuloten versucht, anstatt auszurufen: Die Stadt ist kaputt und einer trägt Schuld. Die solide und sachliche Verteidigung würde lauten: Wir versuchen zu verstehen, warum einige eine derartige Wahrnehmung haben, die wir nicht teilen, anstatt auszurufen: Das ist alles falsch und alles negativ. Ein Bürgermeister muss verstehen, dass ein Teil der Bürger seiner Stadt Erfolg und Misserfolg an anderen Maßstäben messen, als er es tut und dies ernst nehmen. Den Willen dazu vermittelt der Amtsinhaber leider kaum.
Eine solide und sachliche Berichterstattung würde versuchen, die Standpunkte ausgewogen zu erfassen und zu hinterfragen. Den zweiten Punkt hat Michael Lietz vom RBB leider noch weniger berücksichtigt, als den ersten, was nicht unbedingt einen Vorwurf an ihn, sondern an die allgemeine Verfolgung eines Oberflächenjournalismus auch in so und meist selbst genannten Qualitätsmedien, zu denen sich der RBB wahrscheinlich zählt, darstellt.
Letztlich muss man weder den Bürgermeister noch den Gegenwind aus München zu dramatisch nehmen: In der Demokratie wählt sich eine Stadt das Führungspersonal, das es verdient. Die (wahlberechtigten) Einwohner tragen durchaus auch über ihr Wahlkreuz hinaus Verantwortung und zwar auch dahingehend, dass sie kontrollieren, was der Amtsinhaber eigentlich so tut. Eine politikbewusste Einwohnerschaft würde weitgehende Transparenz einfordern und versuchen, sich in die lokalpolitische Entscheidungsfindung einzubringen. Eine unmündige Einwohnerschaft zieht sich schüchtern an den Stamm-, Couch- oder Küchentisch zu Bierchen, Teechen, Parole und Zynismus zurück und weiß es dort immer besser.
Niemand ist gezwungen, sich sein Welt- und Stadtbild allein aus dem Rathaus vermitteln zu lassen. Niemand ist verpflichtet die Dinge, die gegen seine Wahrnehmung und sein Interesse laufen, stoisch hinzunehmen und in eine Klagestarre zu fallen. Wenn es in Eisenhüttenstadt nicht gelingt, eine kritische Gegenöffentlichkeit zu etablieren, dann scheint alles immerhin erträglich oder doch nicht so wichtig zu sein. Für die Unzufriedenen gibt es nur zwei gangbare Optionen:
Fliehen - viele tun das - oder
die Stimme erheben - wenige tun das. Der Bürgermeister wird - wie die meisten Menschen eher auf Konfliktvermeidung gepolt - den Teufel tun und den Geflohenen hinterhereilen um zu erfragen, was sie denn vertrieb. Obschon er es selbstverständlich tun sollte. Genausowenig wird er von sich aus losziehen und den kritischen Dialog stimulieren, der ihn in seiner Rolle gefährden könnte. Martin Heyne hätte ihn vielleicht in einer Auseinandersetzung zwingen können, wenn er sich mit seinen nicht einmal polarisierenden, sondern einfach nur hilflos auf Bissigkeit getrimmten Anzeigen nicht gleich wieder die Zielscheibe um den Hals geworfen hätte.
Sich mit den Verhältnissen arrangieren ist für den unzufriedenen Bürger zwar nicht sonderlich nobel, aber verständlich. Nur darf man sich dann nicht beschweren. Solange es in Eisenhüttenstadt kein kritisches bürgerliches Engagement gibt, wird die Top-Down-Struktur der Stadtentwicklung die Form behalten, die sie hat. Die meiste Ruhe hat man, wenn man im richtigen Moment den Mund hält und sich auf seine private Scholle zurückzieht. Diese Tradition aus einer Zeit lange vor Rainer Werner lebt in Eisenhüttenstadt - und nicht nur dort - bis heute munter weiter. Es ist schade, dass der äußerst seltene Ansatz einer Gegenöffentlichkeit, wie ihn Martin Heyne versucht, weitaus mehr Staub aufwirbelt, als aufklärt. Der Blickpunkt wird so in der Hand des Amtsinhabers zur willkommenen Nebelkerze.