Durchwandert man an einem Tag wie diesem eine Stadt wie diese, so scheint es, als könnten die Menschen gar nicht anders, als über beide Ohren in die Welt und vielleicht auch in den einen oder anderen anderen Menschen verliebt in der Sonne zu stehen, zu sitzen und vor allem zu liegen. Entlang des Oder-Spree-Kanals aber auch in den Parkanlagen der Stadt konnte man jedenfalls zahlreiche Paare auf Picknickdecken erblicken und dann natürlich den Blick galant und erfüllt mit echter Herzensfreude weiter über die Landschaft schweifen lassen. Später nahm man den Feldstecher auch mal ganz vom Auge. Manch ein Meerschweinchen erhielt ebenfalls Auslauf und durfte sich den Meerschweinebauch mit frischen Eisenhüttenstadtgras füllen, während Schmuseeinheiten mehr verteilend denn suchende Kinderhände immer mal wieder gegen den Strich durch das Fell fuhren. Und selbst die Herren, die ihre Abende mit der Flasche Pilsner in der Hand in der Fröbelringpassage verbringen und dieser entsprechend einen eher maskulinen Charme verleihen, schienen heute weniger verkniffen vor sich hin zu starren. Das Gefühl zur Jahreszeit scheint also fast ausnahmslos jeden (sichtbaren) Einwohner Eisenhüttenstadts mit einer süßen Kruste Fröhlichkeit zu überziehen und vor die Tür zu setzen.
Aber mancher, so hört man, folgte dem inneren Drängen und dem äußeren Rufen aus Licht und milder Luft verspäteter als notwendig. Anlass ist die schwelende, mitunter brennende Urfrage jedes Ausdemhausgehenden: Welcher Beutel ist wohl der richtige, wahlweise für den Rotwein, den Weißwein oder den Tafelwein sowie die karierte Decke, die Pfeffersalami, den Hartkäse, die Weintrauben oder was man sonst so zum Picknick auf der Insel mit sich führen mag. Er muss groß sein und stabil, für alle Wetter fest und obendrein gut aussehen. Und er muss idealerweise im Einklang mit dem Flair der Stadt, in der er herumgezeigt wird, stehen.
All das erfüllt der Einkaufsbeutel, den die Firma Heilmann Textildruck aus dem hessischen Nidda zwischen Wetterau und Vogelsberg anbietet, kaum. Aber er leistet etwas anderes: Mit diesem Beutel hat man auch als Eisenhüttenstädter fern der Heimat die Möglichkeit, bei allen Gelegenheiten, zu denen man einen Beutel benötigt und liebend gern auf eine Plastiktüte verzichten möchte (vorzugsweise Einkaufen im KaDeWe oder bei Saks Fith Avenue), Flagge zu zeigen. Und das für unter 2 Euro.
Unglücklicherweise hält sich die Mär, dass sich Eisenhüttenstadt durch barocke Ornamentik, besonders unter intensiver Verwendung von Putten, auszeichnet, bis ins Hessischer, so dass der Stadtname in nicht allzu überzeugender Typographie von zwei so properen wie nackten Knaben gespannt über den Sehenswürdigkeit schwebt. Das kennt man auch von anderen Stadtbeuteln aber eben nicht aus Eisenhüttenstadt. Kleine, nackte, pummelige Jungs sind weitgehend aus den Wohnkomplexen verschwunden, nachdem man die dortigen Kinderbadebecken zugeschüttet hatte. Kleine, nackte, pummelige Männer findet man dagegen manchmal noch - oft in perfekt passender Begleitung von Rubensdamen - an den Kiesgruben, etwa ab Juli, und ansonsten oft in den vielen Kleingartensparten links, rechts, über und unter der Stadt (auf der Landkarte), in denen selbstverständlich bereits das Pflanzerleben brummt wie der Rasenmäher. Bei orthodoxer Auslegung des ästhetischen Urprogramms der Planstadt hätten statt der etwas verzerrten Knaben durchaus zwei Metallurgen mit Traktoristengesichtern das Banner spannen dürfen. Das wäre vielleicht etwas für eine Nachauflage der Beutelkunst.
Die Sehenswürdigkeiten selbst werden hingegen sehr nett abgebildet: Obenauf sitzt ein Fürstenberg-Panorama, bei dem allerdings die Brücke und die Plattenbauten des Wohngebietes Seeberge, die links am Beutelrand ins Bild ragen müssten, wegretouchiert, ein schöner Uferwanderweg, wie wir ihn uns alle wünschen, wie er allerdings bisher bestenfalls am Bollwerk zu finden ist, dagegen hingedichtet wurde. Aber immerhin wissen wir nun, wie die Idealaltstadt zur Idealplanstadt aussehen könnte. Am darunter stehenden Friedrich-Wolf-Theater ist wenig auszusetzen. Dass es im Treppenbereich etwas holzschnittartig daherkommt liegt daran, dass man hier eine holzschnittartige Darstellungsmethode gewählt hat. Und dafür ist die Abbildung erstaunlich detailliert, wenn auch perspektivisch etwas dynamischer als in der Realität der Lindenallee. Das wahre Wahrzeichen des kulturellen Lebens der Stadt - auch wenn die Musik momentan ganz woanders bzw. nebenan auf einer kleineren und viel zu spärlich besuchten Bühne spielt - befindet sich zurecht auch in der Mitte des Beutels.
Abgerundet wird die Trias der Eisenhüttenstadt Erkennungszeichen durch die Heimstatt der Administration: das als Haus der Parteien und Massenorganisationen gedachte und gebaute heutige Rathaus. Auch hier passt die Darstellung wie ein Bügelbild auf Jacke wie Hose und enthüllt in der Flachdachheit des Hauses gleichzeitig, was früher war und heute fehlt: Ein als Fixpunkt wirkendes Element über dem Säulenportal. Denn so ganz ohne Leitstern wirkt das Gebäude tatsächlich etwas geplättet.
Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass der Beutel auch nach eintägiger Nutzung nichts von seinem Reiz verloren hat und hoffentlich in Zukunft häufiger in den Stadtbildern dieser Welt zu sehen sein wird. Bis auf die Präsentation des Stadtnamens selbst und eventuell der etwas biederen Farbgebung füllt das Beutelschema eine Lücke, die der lokale Tourismusverein der Stadt bislang leider ließ. Die daliegende Stofftragetasche wird uns sicher noch lange gute Dienste leisten, auch wenn sich für den Weintransport zum Picknick am Fluß etwas anderes eher anbietet.
Dass als Gestalter der Tragetasche, die von zwei maßgeblichen Bauwerken Stalinstadts geschmückt wird, ausgerechnet ein/eine A. Zaar angegeben ist, wirkt historisch schon etwas B.Zaar. Und es wirft nebenbei die Frage auf, ob es denn eine "Stalin im Stahlwerk" Adaption von Albert Lortzings Zar und Zimmermann gibt - und falls nein, warum nicht? Das Libretto jedenfalls ist schnell umvertont:
CHOR DER STAHLWERKER
Greifet an und rührt die Hände,
Walzt des Stahles stolze Bände'!
Greifet an!
Rastet nicht in der Pflicht!
Tag für Tag, Schlag für Schlag!
Metallurg hat seine Plagen,
Lust zur Arbeit hilft sie tragen.
STALIN
im Vordergrund arbeitend, für sich
Dieses Schmelzen, dieses Streben -
Wie es doch mein Herz so hoch erfreut.
Der ist glücklich, der sein Leben
Solcher Arbeit stets geweiht.
MASSELGIEßER PRAWITZ
auf der andern Seite
Froher Mut, leichtes Blut
Und dazu ein frohes Lied,
Das aus vollem Herzen sprüht -
Das ist gut.
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